Ausschnitt von der Kantine der belgischen Besatzung an der Hochstraße Höhe Tückingsgasse (Foto: Stadtarchiv Krefeld)
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Krefeld. Vor dem Krefelder Rathaus hatte sich am späten Nachmittag eine Menschenmenge versammelt. Viele waren wohl aus Neugier gekommen, um mitzuerleben, wie die Stadt nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit verliert. Ein belgischer Offizier in khakifarbener Uniform betrat an diesem Nikolaustag 1918 um 17 Uhr das Rathaus. Er kündigte Oberbürgermeister Johannes Johansen (1870 bis 1945) den Einmarsch von Truppen für den kommenden Tag an. Die letzte Besatzung Krefelds fand Ende des 18. Jahrhunderts, Anfang des 19. Jahrhunderts durch französische Truppen statt. Über 100 Jahre Selbstbestimmung endete am folgenden Vormittag mit dem Eintreffen von 500 Mann eines Radfahrer-Bataillons. Einige Tage später kamen weitere 4000 Soldaten in die Stadt. Über das erste Jahr der belgischen Besatzung bereitet das Stadtarchiv Krefeld nun eine Ausstellung vor, die ab dem 7. Dezember gezeigt wird.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mussten die Monarchen abdanken, aus dem Reich sollte eine Republik werden. „Das Ende des Kaiserreiches bildet einen erheblich Bruch“, sagt Dr. Olaf Richter, Leiter des Stadtarchivs Krefeld. In den ersten Wochen nach Kriegsende übernahmen Arbeiter und Soldaten in Krefeld ruhig und friedlich die Macht. Dann besetzten die Belgier von Eupen über Aachen, Neuss, Krefeld bis Kleve das Rheinland. Das Misstrauen der Belgier wegen der zahlreichen Massaker und den enormen Zerstörungen durch die deutsche Wehrmacht im Nachbarland war groß. „Sie sind mit Vorsicht in die Stadt gekommen“, so Richter. In einem geheimen Schreiben von Februar 1919 heißt es, dass man bei großen Unruhen auch Artillerie einsetzen und die Stadt räumen wolle. „In den ersten Wochen wurden in Krefeld auch Geiseln gestellt“, berichtet der Archivleiter. Deren Namen veröffentlichten täglich die Zeitungen. Für einen Tag blieben Arbeiter, Unternehmer und Bankiers dann im Rathaus unter Arrest.

Die Verkehrs- und Telefonverbindungen in das rechtsrheinische Gebiet wurden mit erheblichen Folgen für Unternehmen und Händler umgehend unterbrochen. Reisen in das Deutsche Reich waren nicht möglich. In der Besatzungszone wurde die belgische Uhrzeit, plus eine Stunde, eingeführt. Über dem Rathaus und anderen öffentlichen Gebäuden wehte die schwarz-gelb-rote Trikolore. Die alten Verwaltungsstrukturen blieben zwar erhalten, aber die Belgier hatten nun bei allem das letzte Wort. Unter anderem zensierten sie Zeitungen und Briefe. „Es durfte auch nicht mehr in Platt geschrieben werden“, sagt Richter. Und der Oberbürgermeister musste wegen eines Versammlungsverbotes die Sitzungen der Stadtverordneten jedes Mal neu beantragen.

Im belgisch besetzten Rheinlandgebiet bildete Krefeld bis zum Ende der Besatzungszeit 1926 mit durchgehend 5000 bis 6000 Soldaten die größte Garnison. Die hohen Offiziere quartierten sich bei hiesigen Familien oder im Krefelder Hof ein, die Soldaten lebten in Schulen. „Das städtische Bild hat sich stark verändert“, sagt Richter. Zwischen den Einheimischen und den Besatzern kam es immer wieder zu Konflikten, die für die Krefelder oft mit Geld- oder Gefängnisstrafen endete. Trotz der Besatzung kehrte nach dem Krieg eine Form der Normalität wieder zurück: in den Cafés saßen wieder vermehrt Menschen, das Theater wurde wiedereröffnet.

Der Kontakt zwischen den Belgiern und den Einwohner blieb allerdings distanziert, jedenfalls nach der bisher ausgewerteten Quellenlage. Und diese ist wegen der Zerstörung von Archivbeständen im Zweiten Weltkrieg nicht gut. „Es wäre für uns interessant und hilfreich, wenn wir von den Krefeldern Fotos aus der Zeit vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Besatzungszeit zur Verfügung gestellt bekämen“, wünscht sich Richter. Die Aufnahmen würden im Archiv digitalisiert.

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