Diskutierten über den Wirtschaftsstandort Neuss (v.l.): Christoph Napp-Saarbourg (Einhorn Apotheke), IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz, IHK-Vizepräsidentin Susanne Thywissen (Live-/Unternehmenskommunikation), Moderatorin Beate Kowollik, IHK-Vizepräsident Christoph Buchbender (RheinLand Versicherungs AG) und Bürgermeister Reiner Breuer (Foto: IHK)
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Neuss. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein und die Stadt Neuss begrüßen das positive Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Neuss ist ein starker Wirtschaftsstandort. Die Unternehmer schätzen die Qualitäten ihrer Stadt, sehen aber auch Verbesserungspotenzial. Das ist die Kernaussage einer Standortanalyse der IHK, die jetzt vorgestellt wurde. „Die Unternehmer geben dem Standort Neuss in einer Befragung die Schulnote 2 Minus – das ist ein gutes Ergebnis“, erklärte IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz. „Wenn die Stadt auch in Zukunft attraktiv für Unternehmen sein will, muss sie sich allerdings darum kümmern, dass genügend Gewerbeflächen zur Verfügung stehen.“ Die IHK-Analyse basiert auf einer Auswertung amtlicher Statistiken sowie auf einer Befragung, an der 300 Neusser Unternehmen teilgenommen haben.

Zunächst stellte Gregor Werkle, Leiter des IHK-Bereichs Wirtschaftspolitik, die Ergebnisse der Wirtschaftsstrukturanalyse vor. „Die Beschäftigtenzahl in der Stadt hat sich seit 1999 sehr positiv entwickelt“, so Werkle. Demnach waren 2018 17 Prozent mehr Menschen in Neuss sozialversicherungspflichtig beschäftigt als 19 Jahre zuvor. Das Wachstum in NRW (18 Prozent) und im Rhein-Kreis (19 Prozent) verlief leicht positiver. Allerdings: In Neuss ist das Verhältnis von Beschäftigten auf 100 Einwohner mit 47 deutlich überdurchschnittlich hoch. „Keine andere Kommune am Mittleren Niederrhein kommt auf einen so hohen Wert“, so Werkle. Deswegen sei es auch nicht besorgniserregend, dass die positive Entwicklung in Neuss zuletzt lediglich parallel zum NRW-Schnitt verlief. Aufgrund des hohen Niveaus sind die Wachstumsraten naturgemäß geringer. Blickt man auf die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre, zeigt sich, dass Neuss bei den Arbeitsplätzen in der Industrie mit plus 2 Prozent leicht und im Dienstleistungsgewerbe mit plus 18 Prozent deutlich zugelegt hat. „Ein genauer Blick auf die Wirtschaftszweige zeigt, dass Neuss insbesondere für distributive Dienste ein wichtiger Standort ist“, so Werkle. „Großhandel und Logistik sind in Neuss überdurchschnittlich stark vertreten.“ 11 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Neuss im Großhandel, 8,7 Prozent im Bereich Verkehr und Lagerei. Alleine in diesen beiden Branchen sind damit in der Stadt 14.000 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. In NRW liegen die entsprechenden Anteile bei 5,1 beziehungsweise 5,5 Prozent.

Ein weiterer wichtiger Baustein der IHK-Analyse ist ein interkommunaler Standortvergleich. Vergleicht man Neuss mit anderen großen kreisangehörigen Kommunen in Nordrhein-Westfalen, wird deutlich, dass der Wirtschaftsstandort Neuss gesund ist. Die Beschäftigung wächst stark, die Kaufkraft ist hoch, und die Steuereinnahmekraft ist auch ohne Sondereffekte wie im Jahr 2017 hoch. „Neuss schneidet beim interkommunalen Vergleich gut ab“, resümiert Werkle.

IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz ergänzte diese Bewertung mit den Ergebnissen aus der Unternehmerbefragung. „Die Note 2 Minus ist gut – aber es gibt noch Luft nach oben“, so Steinmetz. Die harten Standortfaktoren bewertete der IHK-Hauptgeschäftsführer ambivalent: „Die Verkehrsinfrastruktur ist die Stärke der Stadt. Deswegen ist der Standort so interessant für Unternehmen der distributiven Dienste.“ Allerdings müsse dieser Vorteil auch bewahrt werden. „Die Autofahrer erleben täglich, dass die Fernstraßen rund um die Stadt völlig überlastet sind.“

Die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur (IuK) wurde von den Betrieben bei der vergangenen Befragung im Jahr 2014 zwar besser bewertet. „Allerdings nehmen die Anforderungen der Unternehmen an die IuK-Versorgung auch stetig zu“, sagte Steinmetz. „Immerhin ist die für Neuss gemessene Bewertung die beste, die wir in den vergangenen Jahren im Rahmen von Standortanalysen ermittelt haben.“ Die bereits eingeleiteten Initiativen der Wirtschaftsförderung der Stadt zum Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur seien wichtige und richtige Schritte.

Besonderes Augenmerk sollten die Stadtverwaltung und die Politik auf die Ausweisung neuer Gewerbeflächen legen. Insbesondere die Unternehmen, die diesen Standortfaktor als wichtig für ihren Betrieb empfinden, kritisieren, dass zu wenig geeignete Flächen zur Verfügung stehen. „Wenn Unternehmen am Standort nicht wachsen können, führt dies zu Unzufriedenheit und möglicherweise sogar zur Abwanderung von Betrieben“, warnte Steinmetz. Er fordert unter anderem die Prüfung, an welchen Standorten neue Gewerbeflächenangebote realisierbar sind. Zudem müssten innerstädtische Flächen, die sich für gewerbliche Folgenutzungen eignen, als solche planungsrechtlich gesichert und den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. „In Zeiten knapper Flächenverfügbarkeiten ist dies eine zunehmend schwierigere Aufgabe, an der die IHK gerne gemeinsam mit Stadt und Politik arbeitet“, so Steinmetz.

Weitere Ergebnisse der Unternehmensbefragung: In der Innenstadt wird die Sicherheit gelobt. Kritisch gesehen werden dagegen das Parkplatzangebot, die Parkgebühren und die innerstädtischen Verkehrsverhältnisse. Bei den kommunalen Kosten und Leistungen sind die Unternehmer kritisch, allerdings wesentlich weniger deutlich als an anderen Standorten. „Insbesondere der Service der Wirtschaftsförderung der Stadt wird gelobt“, so Steinmetz. Allerdings wurde etwa die reibungslose Kooperation öffentlicher Ämter bei der letzten IHK-Standortanalyse für Neuss im Jahr 2014 deutlich besser bewertet.

In der anschließenden Diskussion mit Steinmetz, IHK-Vizepräsidentin Susanne Thywissen (Live-/Unternehmenskommunikation), IHK-Vizepräsident Christoph Buchbender (RheinLand Versicherungs AG) und Christoph Napp-Saarbourg (Einhorn Apotheke) bekannte sich Bürgermeister Reiner Breuer zum Industriestandort Neuss: „Neuss hat eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur mit vielen Arbeitsplätzen. Die Ergebnisse der Befragung belegen, dass wir ein sehr starker Standort sind. Wir müssen aber auch die Herausforderungen im Wandel der Industriegesellschaft angehen“, so Breuer.

„Wir sind eine Industrie- und Schützenstadt“, sagte Buchbender und empfahl der Verwaltung, die vorhandenen Industrieflächen vor neuer Wohnbebauung in unmittelbarer Nachbarschaft zu schützen. Denn das sorge für Konflikte und gefährde Unternehmen. „Bei der Entwicklung neuer Wohngebiete und gemischter Quartiere wahren wir selbstverständlich auch die Interessen der heimischen Betriebe“, sagte Breuer und erinnerte daran, dass die Stadt ebenso einen dringenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum habe.

Napp-Saarbourg appellierte an alle Akteure, sich noch mehr als bisher für die Innenstadt einzusetzen: „Dazu gehört auch, dass die Zufahrtswege attraktiver werden.“ In der Diskussion wurde deutlich, dass das Parkplatzangebot und die innerstädtischen Verkehrsverhältnisse von vielen Unternehmern und Bürgern als deutlich verbesserungsfähig empfunden werden.

Für Susanne Thywissen kommt es in der Innenstadt darauf an, dass sich die Vielfalt der Wirtschaft in Lebens- und Verweilqualität für alle Altersstufen in der Stadt widerspiegelt: „Wir brauchen mehr schöne Plätze, die Begegnungen ermöglichen, ergänzt durch weitere Außengastronomie.“

Buchbender lobte das Engagement der Stadtverwaltung beim Ausbau der Breitbandversorgung, merkte gleichzeitig auch kritisch an: „Wir müssen uns aber auch fragen: Was können wir tun, um attraktiver für Start-ups und junge Fachkräfte zu sein?“ Buchbender empfahl eine systematische Auseinandersetzung mit der strategischen Entwicklung der Stadt. „Wir sollten uns fragen, wie sich Neuss bis zum Jahr 2025 aufstellen soll?“
Zum Abschluss der engagierten Debatte machten Buchbender und Thywissen dem Publikum ein spontanes Angebot: „Was halten Sie davon, die Ergebnisse der Standortanalyse systematisch auszuwerten und gemeinsam mit einem Team mit unterschiedlichen Kompetenzen Ideen zu entwickeln, wie wir Neuss voranbringen können?“ Eine Vielzahl der Gäste signalisierte Bereitschaft, in dieser neuen Unternehmerinitiative mitzuwirken.

Die Standortanalyse steht im Internet als Download-Datei zur Verfügung: www.mittlerer-niederrhein.ihk.de/20549

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