v. l.: Dramaturg Florian Heller, Dramaturgin Judith Heese, Chefdramaturgin Vera Ring und Intendant Christian Tombeil (Foto: TUP)
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Essen. Intendant Christian Tombeil und sein Dramaturgie-Team haben das Programm für die Spielzeit 2019/2020 vorgestellt

„In unserer neuen Saison 2019/2020 wollen wir den Versuch unternehmen, uns unserer Geschichte mittels Geschichten zu nähern – den großen Um- und Aufbrüchen, den Jubiläen und den immer wieder neu erglimmenden Brandherden der Weltgeschichte“, so Intendant Christian Tombeil in seinem Vorwort zum Jahresprogramm der kommenden Spielzeit. Was das Publikum zwischen September 2019 und Juni 2020 am Schauspiel Essen erwartet, das hat Tombeil heute gemeinsam mit seiner Chefdramaturgin und Stellvertreterin Vera Ring sowie den Dramaturgen Judith Heese und Florian Heller im Rahmen einer Pressekonferenz im Essener Grillo-Theater vorgestellt. Insgesamt wird es unter dem Spielzeitmotto „Geschichte schreiben“ 13 Neuinszenierungen – davon vier Uraufführungen – geben.

Im Grillo-Theater geht es am 20. September 2019 mit einem „Lehrstück ohne Lehre“ los: Max Frisch beschreibt in „Biedermann und die Brandstifter“ aus dem Jahr 1957 meisterhaft, wie eine aufgeklärte Bürgerschaft nicht nur gesellschaftszersetzende Strukturen akzeptiert, sondern sie durch die eigene Passivität sogar erst ermöglicht. Regie führt Moritz Peters, dessen Essener Inszenierung von Franz Kafkas „Der Prozess“ sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern sehr erfolgreich war und 2014 zum NRW-Theatertreffen eingeladen wurde.

Knapp 60 Jahre deutscher Geschichte verdichtet Marius von Mayenburg in „Der Stein“ zu einem hochspannenden Familiendrama, das sowohl die Zeit des Nationalsozialismus als auch die innerdeutschen Ver- und Entwicklungen der Nachkriegszeit beleuchtet. Ort des Geschehens ist ein Haus in Dresden. Nach langer Abwesenheit zieht Witha mit Tochter und Enkelin dort 1993 wieder ein. 1935 hatte sie das Haus gemeinsam mit ihrem Mann einer jüdischen Familie abgekauft, 1953 waren sie aus der DDR in den Westen geflohen. Überraschend kommt nun eine Fremde zu Besuch, um „zu stören“: Auch sie hat einmal in diesem Haus gelebt und macht nun Ansprüche geltend – rechtlicher und moralischer Art. Die Inszenierung von Regisseurin Elina Finkel feiert am 26. Oktober Premiere.

Mit Cornelia Funkes geheimnisvoller Adventsgeschichte „Hinter verzauberten Fenstern“ steht ab dem 16. November wieder ein Stück für Familien und Schulklassen auf dem Spielplan. Warum sich die 9-jährige Julia zunächst überhaupt nicht über ihren neuen Adventskalender freuen kann, dann aber dank dieses unscheinbaren Häuschens das größte Abenteuer ihres bisherigen Lebens erlebt, das erzählt Regisseurin Anne Spaeter in einer bunten, turbulenten und sehr musikalischen Inszenierung. Die Bühnenfassung stammt von Chefdramaturgin Vera Ring, die Musik komponiert Dominik Dittrich. Damit speziell Schulklassen ihren Theaterbesuch frühzeitig planen können, beginnt der Kartenvorverkauf bereits am 29. Juni.

Man stelle sich vor, Eric Clapton, Johnny Cash und Leonard Cohen hätten gemeinsam ein Konzert gegeben. Dass diese Idee nicht ganz abwegig ist, wird das Stück, das am 14. Dezem­ber im Grillo-Theater zur Uraufführung kommen wird, unter Beweis stellen. Ausgangspunkt für „After Midnight“ war die Idee von Ensemblemitglied Thomas Büchel zu einem musikalischen Programm mit Songs von Clapton, Cash und Cohen. Als „Grindhouse-Liederabend“, angesiedelt irgendwo im Niemandsland zwischen Edward-Hopper-Gemälden, Tarantino und Blues, verknüpft Florian Heller seine Figuren mit Songs dieser drei Musik-Ikonen, deren Werke und Biografien exemplarisch für tiefe Einsichten, tiefe Gefühle, aber auch tiefe Abgründe stehen. Die Inszenierung übernimmt Intendant Christian Tombeil, als Musikalischer Leiter ist Hajo Wiesemann mit dabei.

1932 erschien ein Roman, der seinen Autor weltbekannt machen sollte: Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“. Die Geschichte spielt Anfang der dreißiger Jahre, in Deutschland grassieren Inflation, Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut. Keine guten Voraussetzungen für Emma und den jungen Angestellten Johannes Pinneberg, die ihr erstes Kind erwarten. Aber: „Fleißig sind wir, sparsam sind wir, schlechte Menschen sind wir auch nicht … – warum soll es uns da eigentlich schlecht gehen?“ Und so setzt das junge Paar alles daran, ihr kleines Glück gegen alle Härten des Lebens zu verteidigen. In einer eigens erstellten Fassung werden Regisseur Thomas Ladwig und Chefdramaturgin Vera Ring das Stück auf die Bühne bringen. Premiere ist am 28. Februar 2020.

Auch Hermann Schmidt-Rahmer kehrt in der kommenden Saison ans Schauspiel Essen zurück: Der Regisseur, der hier zuletzt die Deutsche Erstaufführung von Robert Menasses „Die Hauptstadt“ herausgebracht hat, inszeniert Bertolt Brechts „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern“. In seinem bissig-bösen und zugleich unterhaltsamen „Greuelmärchen“ aus dem Jahr 1936 spiegelt Brecht Aufstieg, Herrschaft und Machtmechanismen des Hitlerregimes und von Diktaturen im Allgemeinen wider und er zeigt eindrücklich, dass sich hinter fremdenfeindlichen, ausgrenzenden und menschenverachtenden Strukturen kapitalistische Strategien und wirtschaftliche Überlegungen verbergen. Das Stück mit Musik von Hanns Eisler wird im Grillo-Theater erstmals am 25. April zu sehen sein.

Mit einer Koproduktion des freien Theaterkollektivs werkgruppe2 mit dem Schauspiel Essen, dem Teatr Polski – w podziemiu / Polski Theatre in the Underground und den Ruhrfestspielen Recklinghausen endet die nächste Spielzeit. Das Stück trägt den Titel „Arbeiterinnen / Pracujące kobiety“ und zeichnet ein theatrales Porträt von drei Frauengenerationen aus Arbeiterfamilien im Ruhrgebiet und Niederschlesien. Die Uraufführung findet am 28. Mai bei den Ruhrfestspielen statt; die Premiere im Grillo-Theater ist dann für die Saison 2020/2021 geplant.

Ein ganz besonderes Projekt erlebt am 28. September in der Maxstraße 54 seine Uraufführung. Die Räumlichkeiten einer ehemaligen Tanzschule, die das Schauspiel Essen in den vergangenen Jahren bereits als Aufführungsstätte des Stückes „Skin Deep Song“ sowie als Headquarter des mixed reality games „Der Spalt“ genutzt hat, werden zum Schauplatz des theatralen Adventure-Games „Sign Here“. Die neue Produktion des vielfach ausgezeichneten Berliner Game-Theater-Kollektivs machina eX begibt sich auf ein Terrain, das die meisten nur unfreiwillig betreten. In einer Bürokratie-Simulation voller unverständlicher Zeichen, in der alles wiedererkennbar, aber trotzdem nichts vertraut ist, wird das Publikum zu Spielerinnen und Spielern und kämpft gegen Vorschriften, Paragraphen und Sonderbedarfsfeststellungser­klärungen. Das Initial für diese Game-Entwicklung des siebenköpfigen Medienkollektivs war der Wunsch des Schauspiel Essen, sich mit Analphabetismus zu beschäftigen. Betroffene erleben die Leseunfähigkeit als Stigma, das verborgen werden muss und daher oftmals tabuisiert wird. Diesem Thema nähert sich machina eX auf spielerisch-sinnliche Art und Weise.

Spannende Premieren gibt es in der kommenden Saison auch wieder auf den kleineren Bühnen. In der Box inszeniert Regisseur Thomas Krupa, der zuletzt in der Jubiläumsspielzeit den Publikumsfavoriten „Der Besuch der alten Dame“ auf die Grillo-Bühne gebracht hat, Annalena und Konstantin Küsperts „Der Reichsbürger“. Darin geht es um die Psyche eines solchen Menschen, der weit davon entfernt ist, wie ein durchgeknallter Verschwörungsfanatiker daherzukommen. Premiere ist am 21. September 2019.

Die erste Premiere in der Casa gibt’s am 13. Dezember 2019: Speziell für Jugendliche ab 16 Jahren inszeniert Karsten Dahlem (u. a. „Superhero“ und „Auerhaus“) Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Das Stück erzählt vom jungen Peer, dessen Psyche schwer gezeichnet ist: Nachdem sein Vater im Suff die Existenzgrundlage der Familie vernichtet und ihn mit seiner Mutter bankrott zurückgelassen hat, lechzt Peer nun nach Anerkennung. Er will es der Welt beweisen. Und so ersinnt er die wildesten Geschichten, flieht ebenso vor der Wirklichkeit wie seinen Verpflichtungen und jagt sich selbst abenteuerdurstig um die halbe Welt. „Ibsens Stationendrama steht für eine Einzelbiografie, aber auch für unsere Zeit, in der sich die Welt gefühlt täglich schneller dreht“, betont Dramaturgin Judith Heese.

Nachdem sie in der Spielzeit 2017/2018 mit „Metropolis“ bereits einen beeindruckenden Live-Animationsfilm-Abend in der Casa abgeliefert haben, kehren die Medienkünstler der Kollektivs sputnic in der nächsten Saison ans Schauspiel Essen zurück: Ihr neues Projekt trägt den Titel „INF2erno“ und es erzählt auf der Schablone von Dante Alighieris mittelalterlichem Versdrama „Die göttliche Komödie“ gegenwärtige und zukünftige Dystopien und Utopien als „Live Animation Cinema“. In dieser hybriden Erzählform zwischen live hergestelltem Trickfilm und Bühnenperformance durchwandert Dante die neun Kreise der irdischen Höllen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, um einen letzten Blick auf das Anthropozän zu werfen, das Zeitalter, in dem der Mensch zum dominanten Weltzerstörer geworden ist. Im „Paradiso“ gelangt er in eine transhumane Zukunft, deren utopische Versprechen jedoch nur auf den ersten Blick das neue Himmelreich sind. Die Uraufführung findet am 29. Februar 2020 in der Casa statt.

Die Tradition, Regieassistentinnen und -assistenten erste eigene Inszenierungen anzuvertrauen, setzt Intendant Christian Tombeil auch in der kommenden Spielzeit fort: In der Casa inszeniert Christopher Fromm Heinrich von Kleists „Die Marquise von O…“ (Premiere am 24. April 2020). Die Geschichte spielt zu Kriegszeiten: Während eines nächtlichen Überfalls zerren marodierende Soldaten die Marquise von O… in einen Hinterhalt. Nur das beherzte Eingreifen des Grafen F… verhindert einen noch drastischeren sexuellen Übergriff. Tags drauf werden die Täter gefasst, nach kurzem Verhör exekutiert und der edle Retter mit Lobreden überhäuft. Wochen später stellt die junge, bereits verwitwete Frau allerdings fest, dass sie schwanger ist. Und sie hat nicht die geringste Erinnerung, wer ihr das angetan hat.

Ein neues Stück für Kinder ab drei Jahren gibt’s ab Mai 2020 in der Heldenbar. In der Reihe „Das versteckte Zimmer“ werden Theaterpädagogin Aline Bosselmann und Theaterpäda­goge Marguerite Windblut „Look at me! Ich bin das Grillo!“ entwickeln. In diesem interaktiven Entdeckungsformat nimmt eine performende Person eine (Kita-)Gruppe mit auf eine Reise durch das Theatergebäude. Dort werden verschiedene Orte besucht und Spielaufgaben gelöst. Gleichzeitig erfahren die jungen Menschen auch Details aus dem (Arbeits-)Alltag im Theater. Diese Reise kann übrigens auch als Tanz- und Bewegungsstunde für die Kita gebucht werden: Performer und Gruppe erkunden dann die Kita-Räume auf ähnliche Art und Weise.

Als Wiederaufnahmen sind u. a. Anton Tschechows „Der Kirschgarten“, „Biografie: Ein Spiel“ von Max Frisch und die Komödie „Cash – Und ewig rauschen die Gelder“ von Michael Cooney im Grillo-Theater sowie Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ in der Casa und Harold Pinters „Der stumme Diener“ in der Box geplant.

Auch die Reihe „Jazz in Essen“ geht mit fünf Konzerten in eine neue Runde. So wird beispielsweise beim ersten Konzert der Saison am Sonntag, dem 22. September 2019 das Essen Jazz Orchestra mit dem „Jazz Pott“ 2019 ausgezeichnet. Zudem werden zahlreiche Sonderveranstaltungen wieder aufgelegt: darunter die Projekte „Der geschenkte Platz“, „Wunschbaum im Grillo-Theater“ und „KlassikLounge“ sowie die Kooperationen „Lesart“ mit Deutschlandfunk Kultur und der „Politische Salon“ mit EXILE-Kulturkoordination e. V.

Ein erstes Jubiläum können in der nächsten Spielzeit die TUP-Festtage Kunst⁵ feiern: Bereits zum fünften Mal laden die fünf Sparten der Theater und Philharmonie Essen – das Aalto-Musiktheater, die Essener Philharmoniker, das Aalto Ballett Essen, die Philharmonie Essen und das Schauspiel Essen – ein, um eine Woche lang Höhepunkte ihrer jeweiligen Programme zu präsentieren. „Unendliche Geschichten“ lautet vom 27. Februar bis 8. März 2020 das Motto. Im Mittelpunkt stehen monumentale Dramen und zwischenmenschliche Tragödien, internationale Beziehungen, Erzählungen und Konflikte, biblische Stoffe und große Romane. Das Schauspiel Essen beteiligt sich an diesem ungewöhnlichen Festival mit den Premieren „Kleiner Mann – was nun?“ (28. Februar) und „INF2erno“ (29. Februar).

Los geht die neue Saison am 8. September 2019 mit den Theater-Häppchen in der Casa. Und eine knappe Woche später, am Samstag, dem 14. September laden ab 14 Uhr alle fünf Sparten der TUP zum gemeinsamen Theaterfest im und rund ums Grillo-Theater ein.

Das Jahresheft 2019/2020 des Schauspiel Essen ist ab sofort im TicketCenter und in den Spielstätten der TUP erhältlich oder unter www.schauspiel-essen.de abrufbar.

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