Anja Stahl, Yvonne Rosengart und Claudia Niedermeyer (v.l.n.r.) bilden das Team der Beratungsstelle in Dinslaken (Foto: MARC ALBERS)
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Dinslaken. Wenn Frauen ihre Wohnung verlieren, dann schlafen sie in den seltensten Fällen unter der Brücke. Sie suchen sich eine neue Bleibe, schlüpfen unter bei Freund*innen und Bekannten. Und schaffen sich damit vielleicht ein neues Problem, denn wer weiß, welche Gegenleistung für das improvisierte Bett auf der Couch erwartet wird. Aber sie sind erst einmal untergebracht, und das ist für viele Frauen ganz wichtig – weil so kaum jemand erfährt, dass sie wohnungslos sind. Yvonne Rosengart kennt die Problematik ganz genau. Sie gehört zum Team der Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose des Kreisverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und ist zuständig für Frauen, die an der Schillerstraße in Dinslaken Rat suchen.

Frauen gehen anders mit Wohnungslosigkeit um, und um ihrer besonderen Problematik gerecht zu werden, gibt es seit 2011 Beratungsangebote ausschließlich für Frauen. Der Landschaftsverband Rheinland und der Kreis Wesel teilen sich die Kosten für den Anteil der Stunden von Yvonne Rosengart. „Frauen“, sagt sie, „kommen entweder sehr früh in die Beratungsstelle, also dann, wenn sie ihre Wohnung noch haben, oder sehr, sehr spät, wenn sie schon woanders untergekommen sind.“ Bei einem Freund, der vielleicht Entgegenkommen einfordert, welcher Art auch immer. „Wohnungsprostitution“, fasst Yvonne Rosengarts Kollegin Claudia Niedermeyer diese Art der Abhängigkeit zusammen.

Wie kommen die Frauen in die Beratungsstelle? Diejenigen, die bereits ihre Wohnung verloren haben, schickt oft das Jobcenter. Wer Transferleistungen bekommen möchte, muss zumindest postalisch erreichbar sein, sonst gibt es kein Geld. Also lassen sich Betroffene die Post in die Schillerstraße schicken. „Durch Mund-zu-Mund-Propaganda hören die Frauen von uns, sie finden uns im Internet oder werden von anderen Beratungsstellen auf uns aufmerksam gemacht.“ Denn Wohnungslosigkeit ist häufig nur ein Problem von vielen: Verschuldung, Sucht- oder psychische Krankheiten, Gewalt- und Missbrauchserfahrung sind nur einige Beispiele. Auch Flüchtlingsfrauen kommen verstärkt in die Beratung, genau wie junge Frauen, die nicht mehr nach Hause können oder wollen. Frauen mit Kindern brauchen ebenfalls Hilfe, bei ihnen kommt die Angst vor dem Jugendamt dazu, wenn sie kein Dach mehr über dem Kopf haben. Rund ein Viertel der Hilfesuchenden in Dinslaken sind inzwischen Frauen. Beim Start vor neun Jahren waren es zehn Prozent. Und: Inzwischen kommen Frauen aus allen Schichten. „Auch eine Ärztin hat schon bei uns Rat gesucht.“ Wer in die Beratungsstelle kommt, hat sogar die Möglichkeit, einen Eingang nur für Frauen zu nutzen und den Männern im Haus komplett aus dem Weg zu gehen.

Die Geschichte der Frauen findet Yvonne Rosengart in vielen Gesprächen heraus. Es gibt einen Fragebogen, mit dem bestimmte Dinge erhoben werden, „aber den fragen wir natürlich nicht einfach so ab, wir klären das behutsam im Gespräch“, erklärt Claudia Niedermeyer. Sie, Yvonne Rosengart und Anja Stahl sind das Team der Beratungsstelle und unterstützen sich gegenseitig. Denn die knapp zehn Stunden, die Yvonne Rosengart wöchentlich für die Beratung der Frauen zur Verfügung hat, reichen nicht aus. Und wenn eine Frau vorbeikommt, die Sozialarbeiterin aber nicht da ist, dann wird sie nicht wieder weggeschickt. Deshalb gibt es einmal pro Woche eine Teambesprechung, „in der die brisanten Fälle durchgesprochen werden, damit jeder auf dem neuesten Stand ist“, sagt Regelind Holzwarth, die Abteilungsleiterin für den Bereich Beratung und Inklusion.

Die Arbeit mit Frauen, hat Yvonne Rosengart festgestellt, unterscheide sich von der mit Männern: „Sie ist engmaschiger, intensiver und zielorientierter.“ Deshalb können sie und ihre Kolleginnen viele Geschichten erzählen, die gut ausgegangen sind. Von einer psychisch kranken Frau, die einfach ihre Wohnung verlassen und sich bei ihrem Ex-Mann einquartiert hatte. Der war mit der Situation überfordert, wandte sich an den Allgemeinen Sozialen Dienst des Kreises, der wiederum die Beratungsstelle der AWO in Dinslaken informierte. In Gesprächen baute das Team Vertrauen auf, half der Betroffenen, ihren Weg zu finden, sich behandeln zu lassen. In der Psychiatrie lernte sie einen Mann kennen, zog zu ihm, wurde eine Zeitlang im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens unterstützt, „und kann ihr Leben jetzt vollständig alleine meistern“. Was bei der Arbeit hilft: das umfassende Netzwerk aus vielen Trägern und den unterschiedlichsten Beratungsstellen.

Es gibt aber auch andere Geschichten, solche, die nicht gut ausgehen. Von Frauen, die kurzfristig auf eigenen Beinen stehen und dann wiederkommen. Und wiederkommen, und wiederkommen… Manche kommen jahrelang in die Schillerstraße. Andere sind auch aggressiv. Vor nicht allzu langer Zeit wollte eine psychisch kranke Frau Yvonne Rosengart attackieren. Die Situation eskalierte nicht, da ein anderer Besucher geistesgegenwärtig eingriff und die Frau nach draußen brachte. „Das kommt nicht jeden Tag bei uns vor, aber es passiert eben.“ Schulungen, wie sich die Mitarbeiterinnen schützen können, gehören zum Programm der AWO.

Zum Angebot der Beratungsstelle gehört das ambulant betreute Wohnen. Für manche der Frauen ist es eine große Hilfe, wenn sie in einer neuen Wohnung für eine Weile unterstützt werden. „Aber nicht jeder muss ins ambulant betreute Wohnen“, stellt Regelind Holzwarth klar. Das könne eine Möglichkeit sein. Die AWO selbst besitzt zwei Häuser, eins mit Einzelzimmern, eins mit regulären Mietwohnungen – meistens voll belegt. Auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt haben die Frauen oft so gut wie keine Chance. Ein Dauerthema im Team. Es gebe zwar die Notunterkunft der Caritas in Dinslaken, aber dort wolle nicht jede Frau hin. Das Frauenhaus wiederum sei keine Notschlafstätte und auch meistens voll belegt. Das Lühlerheim sei zum Beispiel für Frauen, die Gewalt erlebt hätten, nicht zumutbar. Dort gebe es gerade einmal sechs Plätze für Frauen.

Mehr Platz muss also her. Eine Art Hülsemannhof für Frauen. In diesem Haus in Dinslaken unterhält die AWO eine Wohngemeinschaft mit sechs Plätzen – für Männer. Pläne, ein solches Haus auch für Frauen zu realisieren, sind bislang gescheitert. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, sagt Regelind Holzwarth, habe ein Projekt ausgeschrieben, das sich mit dem Thema Wohnraum für Wohnungslose, gerade auch für die Frauen, beschäftige. „Wir hoffen sehr, ebenso wie der Kreis Wesel, dass wir mit unserem Antrag berücksichtigt werden. Wir würden das Projekt in Kooperation mit den Caritas-Verbänden Moers-Xanten und Dinslaken-Wesel umsetzen, es würde bedeuten, eine Stelle zu bekommen, die sich nur mit der Wohnungsakquise befasst.“

 

Kontakt:

AWO Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose
Schillerstr. 62a, 46535 Dinslaken
Telefon (0 20 64) 1 88 84
E-Mail: whd@awo-kv-wesel.de

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