Es grenzt fast an einem Wunder, dass Michael Risthaus (links) heute gemeinsam mit seiner Frau Dianne und dem Kardiologen Dr. Lutz Lefringhausen lachend im Herzkatheterlabor stehen kann (Foto: KKO)
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Oberhausen. Es erscheint wie eine Ironie des Schicksals: Seit einigen Jahren engagiert sich Michael Risthaus in dem Projekt „Herzenssache“ seines Arbeitgebers, der BKK VBU, und bringt seitdem vielen Menschen die Laienreanimation nahe. Sie soll dazu befähigen, im entscheidenden Moment rettend einzugreifen. Und dann, eines Nachts, erleidet er selbst eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung, die im Allgemeinen als plötzlicher Herztod bekannt ist. Dass er sie überlebt hat, verdankt er seiner Ehefrau.

Ungewöhnliche Geräusche und Bewegungen weckten Dianne Risthaus auf. „Ich habe gedacht, mein Mann träumt schlecht.“ Sie schaltete das Licht ein und sah in die weit aufgerissenen Augen ihres Mannes, der neben ihr im Bett krampfte, sich aufbäumte und nach Luft rang. Geistesgegenwärtig rief sie den Rettungsdienst und begann mit der Herzdruckmassage. Immer wieder pressen, pressen, pressen – die schwangere Frau hat nur noch funktioniert.

Es fällt ihnen sichtbar schwer, über die dramatischen Ereignisse zu sprechen. Und dennoch haben Michael und Dianne Risthaus sich dazu entschlossen, offensiv mit dem Erlebten umzugehen. „Vielleicht ist unsere Geschichte eine Chance für andere“, so Risthaus, der heute umso mehr als Multiplikator das Bewusstsein dafür schärfen möchte: Erste Hilfe rettet Leben. „Es könnte der eigene Lebenspartner sein, dem man das Leben rettet.“ Er hatte dieses Glück. „Dass jemand außerhalb eines Krankenhauses solch eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung lebend und ohne bleibende Schäden übersteht, liegt bei gerade einmal fünf Prozent“, betont Dr. med. Lutz Lefringhausen, Oberarzt der Klinik für Kardiologie im Katholischen Klinikum Oberhausen. Nur wenn Herz und Gehirn durch das Eingreifen der Ersthelfer ausreichend mit Blut versorgt werden, besteht eine Chance, dass der Patient überlebt.

Als der Notarzt eintraf, hatte Dianne Risthaus ihren Mann bereits fast zehn Minuten reanimiert. Weitere 45 dramatische Minuten vergingen, in denen das Notärzteteam ihren Mann so lange reanimiert hat, bis sein Herz stabil genug schlug, um ihn in die Kardiologische Notaufnahme im St. Clemens-Hospital zu fahren. Dort war bereits alles auf seine Ankunft vorbereitet. „Wir haben die besondere Situation, dass wir immer mit zwei eingespielten Pflegekräften im Dienst sind und wir dank der eng aufeinander abgestimmten Arbeitsschritte keine Zeit verlieren“, so Lefringhausen. „Herr Risthaus wurde uns mit Kammerflimmern angekündigt. Das ist eine Herzrhythmusstörung, bei der es im Bereich der Herzkammern zu einem so schnellen Herzrasen kommt, das zu einem funktionellen Herzstillstand und damit zum sofortigen Kreislaufzusammenbruch führt“, erklärt der Kardiologe. Risthaus Herz machte es den Ärzten nicht einfach. Über die Herzkatheter-Untersuchung als auch die Computertomografie konnte man nicht finden, was das Kammerflimmern begründet hätte. Erst eine spezielle Herzultraschalluntersuchung über die Speiseröhre zeigte schließlich eine bedeutende Undichtigkeit der Aortenklappe. Die Kardiologen vermuteten einen verdeckten Anriss der Hauptschlagader und verlegten Risthaus noch am selben Tag auf die Intensivstation im Uniklinikum Essen. „Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, ob der Patient überlebt und wenn ja, in welchem Zustand er sich dann befindet“, sagt Lefringhausen. Es folgten Tage des Wartens und Bangens. Das Warten darauf, dass der 42-Jährige aus dem Koma erwacht, darauf, dass er stabil genug ist, um eine künstliche Herzklappe eingesetzt zu bekommen. Das Bangen darum, wie es weitergeht. Ob kognitive Schäden zurückbleiben. „Ich habe alle Szenarien durchgespielt. Wir bekommen ein Baby. Was ist, wenn ich plötzlich allein dastehe oder mit einem schweren Pflegefall“, beschreibt die werdende Mutter ihre Gedanken.

Mitbekommen hat ihr Mann von alledem nichts. Er überstand die fünfeinhalb Stunden andauernde Operation, wachte aus dem Koma auf, blickte in ihm bekannte, erleichterte Gesichter und ließ sich berichten, welch lebensbedrohliche Situationen hinter ihm lagen und was noch vor ihm liegt. Denn: „Ein Aorten-Anriss bestätigte sich nicht. Weil aber eine fehlerhafte Herzklappe allein nicht verantwortlich für ein Herzflimmern ist, konnten wir das Risiko eines erneuten Auftretens der bedrohlichen Rhythmusstörung nicht ausschließen“, so Lefringhausen. Die Kardiologen im KKO beschlossen, ihrem Patienten, der eine Woche nach der OP wieder nach Oberhausen zurückverlegt wurde, einen subkutanen Defibrillator einzusetzen. Dieser erkennt bedrohliche Herzrhythmusstörungen und kann sie mit der Abgabe  eines Elektroschocks beenden. Im Gegensatz zu konventionellen Defibrillatoren wird ein subkutanes Modell im Fettgewebe unter der Haut eingesetzt, greift weniger ins Herz und Venensystem und ist weniger anfällig für Infektionen und Störungen. „Im näheren Umfeld sind wir die einzigen, die diesen Eingriff regelmäßig durchführen. Denn das Einsetzen des Implantats bedarf einer noch intensiveren OP-Planung als es bereits bei einem herkömmlichen Defibrillator der Fall ist.“

Bis zum OP-Termin musste Risthaus eine „LiveVest“ –  eine tragbare Weste mit der Möglichkeit, einen lebensrettenden Schock abzugeben –  tragen, die im Notfall eingreifen kann. Aber auch Ängste waren stetige Begleiter des Ehepaares. „Sobald mein Mann das Haus verließ, musste er sich regelmäßig melden. Duschen und dafür die Weste abnehmen, durfte er nur, wenn ich zu Hause war“, erinnert sich Dianne Risthaus. „Mit dem implantierten Defibrillator haben wir unser Vertrauen zurückgewonnen“, sagen beide. Stück für Stück erobert sich Risthaus die Normalität des Alltags zurück. Unterstützt wird er dabei durch die kardiologische ambulante Reha des Reha-Zentrums Oberhausen. Aber auch die Defi-Selbsthilfegruppe von Dr. Lefringhausen hilft durch den Austausch mit anderen Betroffenen, Antworten auf Fragen rund um den Alltag mit einem Defibrillator zu finden. „Ich darf zum Beispiel nicht zu lange im Bereich der Diebstahlscanner im Eingangsbereich von Geschäften stehen, weil dieser elektromagnetische Strahlen aussendet. Aber ich darf wieder Tischtennis spielen, die Armbewegung schadet dem Defibrillator nicht“, so Risthaus. Er ist glücklich darüber, am Leben zu sein, aber auch am Leben teilhaben zu können. Und dafür mobilisiert er all seine Kräfte. Er möchte andere ermutigen, zu handeln. Seinen neuen zweiten Geburtstag plant er daher genau unter dieses Motto zu stellen und einen Erste-Hilfe-Kurs anzubieten. Seine Arbeit, die er vorher schon mit tiefster Überzeugung gemacht hat, hat für ihn noch einmal eine völlig andere Qualität bekommen.

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