Die Konsenspartner ziehen Bilanz: Dietmar Gutschmidt (Geschäftsführer JobCenter Essen), Franz Roggemann (Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Essen), Andrea Demler (Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Essen), Dieter Hillebrand (Vorsitzender des DGB, Region Mülheim-Essen-Oberhausen) und Wolfgang Dapprich (Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Essen) (v.l.n.r.) (Foto: privat)
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Essen. „Duale Ausbildung kann nur gelingen, wenn das System eine Win-Win-Situation für beide Seiten ist“

Lösungsansätze entwickeln, statt Probleme anprangern – dieses Ziel hatten sich Agentur für Arbeit, JobCenter, IHK zu Essen, Kreishandwerkerschaft Essen und DGB für die diesjährige Bilanz zum Ausbildungsmarkt in der Agentur für Arbeit gesetzt, denn: die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt sind seit Jahren dieselben und verschärfen sich.

Essen hat wieder weniger Ausbildungsplätze. Nach einem Anstieg des Ausbildungsplatzangebots im Ausbildungsjahr 2017/2018, meldeten Essener Unternehmen im vergangenen Jahr wieder weniger Ausbildungsstellen. Insgesamt lag die Anzahl der angebotenen Ausbildungsplätze bei 3.372 und ging damit gegenüber dem Vorjahr um 197 Stellen zurück. Gleichzeitig meldeten sich in diesem Jahr 3.923 Jugendliche und junge Erwachsene bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Essen, um bei der Suche nach dem passenden Ausbildungsplatz unterstützt zu werden. Gegenüber dem vergangenen Ausbildungsjahr bedeutet das einen Zuwachs von 49 Bewerbern. Damit kam rein rechnerisch nicht mehr auf jeden gemeldeten Bewerber ein freier Ausbildungsplatz; 264 Bewerber blieben zuletzt unversorgt, 41 Bewerber mehr als im Jahr davor.

Gleichzeitig blieben aber auch viele Ausbildungsstellen unbesetzt. 341 freie Ausbildungsplätze konnten nicht besetzt werden. Damit blieben wesentlich mehr Ausbildungsplätze unbesetzt als Bewerber unversorgt. Das Passungsproblem auf dem Ausbildungsmarkt hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert. Das unterstreicht wie schon im Vorjahr die Notwendigkeit, dass Betriebe auch schwächeren Bewerbern eine Chance im Rennen um einen Ausbildungsplatz geben und Unternehmen und Ausbildungssuchende vorhandene Unterstützungsangebote zum Kennenlernen und Ausprobieren nutzen.

Um das alte Passungsproblem und neue Versorgungsproblem zukünftig effektiv anzugehen, gilt es ganzheitliche Lösungsansätze zu finden. Vor diesem Hintergrund stellt sich vor allem die Frage: wer bildet eigentlich noch aus? Insgesamt verzeichnet Essen seit Jahren einen Rückgang der Ausbildungsbetriebsquote. Aktuell liegt sie in Essen bei 19,6 Prozent und sank damit im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte; im Vergleich zu vor fünf Jahren sogar um 1,8 Prozentpunkte. Von 13.005 ausbildungsberechtigten Betrieben vor Ort bilden aktuell lediglich 2.555 Betriebe aus. Dass immer weniger Essener Betriebe ausbilden, ist vor allem auf Verluste im kleinstbetrieblichen Bereich zurückzuführen. Ursache für den Rückgang ist unter anderem der zunehmende Wettbewerb um junge Nachwuchskräfte.

„Kleinere Unternehmen haben bei der Suche nach Auszubildenden gegenüber größeren Firmen oft das Nachsehen. Deshalb bleibt die Besetzung angebotener Stellen in kleinen Betrieben immer häufiger aus und kleinere Unternehmen bieten zunehmend weniger Ausbildungsstellen an“, resümiert Andrea Demler, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Essen. „Auf die Frage, wie man das Potenzial für die Region so wichtiger kleinerer Betriebe zukünftig stärker für den Ausbildungsmarkt nutzen kann, könnten Ausbildungsverbünde eine Antwort bieten. So könnten sich auch die Betriebe beim Thema Ausbildung beteiligen, die aufgrund der Konkurrenz bisher keine geeigneten Bewerber finden oder so spezialisiert sind, dass sie alleine keine vollständige Ausbildung durchführen konnten. Gerade diese Spezialisten brauchen aber oft gut ausgebildete Fachleute – während unser Fachkräftenachwuchs in der Zukunft noch mehr Ausbildungschancen braucht. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten.“

Dietmar Gutschmidt, Geschäftsführer des JobCenter Essen erklärt: „Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ist ein hohes Gut. Jugendliche müssen verstehen, dass sie auch Botschafter für nachrückende Jahrgänge von Ausbildungsinteressierten sind und deshalb einen guten Eindruck beim Unternehmen hinterlassen müssen. Wo Noten oder andere Hindernisse den Jugendlichen auf seinem Ausbildungsweg behindern, können JobCenter und Arbeitsagentur unterstützen, z.B. über die sogenannten ausbildungsbegleitenden Hilfen.“

Franz Roggemann, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der IHK zu Essen erläutert: „Auch die IHK blickt mit Sorge auf den Ausbildungsmarkt. Leider setzt sich der Trend zu akademischen Abschlüssen weiter fort. 341 offene, unversorgte Ausbildungsplätze sprechen eine deutliche Sprache. Damit bleiben 341 Chancen für die betriebliche Fachkräftesicherung ungenutzt. Offenbar gelingt es immer weniger, junge Menschen von den Vorteilen einer betrieblichen Ausbildung zu überzeugen. Das ist einer der Gründe für einen Rückgang der eingetragenen Ausbildungsverhältnisse um 5,6%. Zum 30.09.2019 waren 2205 Ausbildungsverträge bei der IHK registriert. Während im gewerblichen Bereich ein leichtes Plus von 1,6% erzielt werden konnte, gab es im kaufmännischen Bereich deutliche Rückgänge, namentlich im Handel und im Verkehrs- und Transportgewerbe. Positiv ist ein leichter Anstieg bei den Banken. Jetzt sind Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung das Gebot der Stunde. Mit den IHK-Ausbildungsbotschaftern haben wir zu Jahresbeginn ein neues vielversprechendes Projekt gestartet.“

Wolfgang Dapprich, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Essen, resümiert: „Wir bewegen uns im Essener Handwerk etwa auf Vorjahresniveau. Zum 30. September sind insgesamt 720 neue Verträge abgeschlossen worden, im letzten Jahr waren es 725. Spitzenreiter ist weiterhin der Kfz-Bereich mit 110 neuen Vertragsabschlüssen, gefolgt von Elektro mit 108, Maler mit 74 und Anlagenmechaniker SHK mit 73. Gleichwohl ist die Situation der Handwerksbetriebe nicht zufriedenstellend. Die Anzahl der unbesetzten Stellen im Handwerk steigt. Wir müssen jungen Leuten deshalb nach wie vor die Vorteile einer dualen Ausbildung, gerade auch im Handwerk, aufzeigen: Familienfreundlichkeit, Gestaltungsfreiheit, Verantwortung, Teamgeist, Arbeitsplatzsicherheit, regelmäßige Arbeitszeiten, Wertschätzung. Gleichzeitig verlangt das Werben für eine Ausbildung im Handwerk aber auch immer mehr Engagement von den Ausbildern.“

“Es ist nicht in Ordnung, wenn immer mehr klein- und mittelständische Unternehmen sich ihrer Verantwortung entziehen und keine Ausbildungsplätze anbieten. Es geht um Perspektiven der jungen Generation genauso wie um bereits heute fehlende Fachkräfte”, betont Dieter Hillebrand Regionsgeschäftsführer des DGB.

 

Nach dem Ausbildungsbeginn ist vor dem Ausbildungsbeginn!

Melden Sie sich frühzeitig bei der Agentur für Arbeit, wenn Sie im nächsten Jahr Ausbildungsplätze zu vergeben haben oder auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind!

–    Jugendliche, die Kontakt zur Berufsberatung oder eine Berufsausbildungsstelle suchen, können sich unter der gebührenfreien Service-Rufnummer 0800 4 5555 00 an die Agentur für Arbeit wenden und einen Beratungstermin vereinbaren. Informationen gibt’s auch im Internet auf www.arbeitsagentur.de

–    Unternehmen, die über Fördermöglichkeiten informiert werden oder vakante Ausbildungsstellen melden möchten, erreichen den Arbeitgeber-Service per E-Mail: essen.arbeitgeber@arbeitsagentur.de oder melden sich unter 0800 4 5555 20.

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