Dr. Michael Elstner und Chefärztin Dr. Annik Stollenwerk setzen sich mit dem MZEB am Johanna Etienne Krankenhaus für eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen ein (Foto: St. Augustinus Gruppe)
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Neuss. Bei Zahnschmerzen steht ein Zahnarzt bereit, bei Knieproblemen hilft der Orthopäde weiter, bei Sehschwierigkeiten der Augenarzt: spezifische Probleme, spezialisierte medizinische Behandlung. Anders sieht das für Menschen mit schweren geistigen oder mehrfachen Behinderungen aus. Für sie gab es lange schlichtweg keine adäquate medizinische Versorgung. Erst eine Gesetzesänderung 2015 unter Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ebnete den Weg für eine spezialisierte medizinische Versorgung. Die bundesweit rund 40 Medizinischen Zentren für erwachsene Menschen mit Behinderung, kurz MZEB, übernehmen seither eine Lotsenfunktion in der Behandlung. So auch das MZEB am Johanna Etienne Krankenhaus, das bei komplexen Fragestellungen niedergelassenen Haus- und Fachärzten mit seiner Expertise und den Fachärzten der Klinik weiterhilft und eine umfassende Diagnostik und Behandlungsplanung bietet.

Gesundheit für alle – mit Hindernissen
Das MZEB am Etienne unterstützt, wenn die Möglichkeiten des Hausarztes erschöpft sind. „Wir verfügen hier über die verschiedenste apparative Diagnostik, können vor Ort Fachärzte der Klinik hinzuziehen oder Therapeuten der Savita wie Logopäden oder Physiotherapeuten konsultieren“, weiß Dr. Michael Elstner, Leitender Arzt im Zentrum. „Ein großer Vorteil ist vor allem, dass wir hier viel mehr Zeit für den Patienten haben.“ Denn gerade für Menschen mit schweren Behinderungen, die sich oftmals mündlich kaum oder gar nicht äußern können, ist es wichtig, Vertrauen zu fassen und eine Bindung zum behandelnden Arzt aufzubauen. „Viele unserer Patienten haben Angst vor dem Arztbesuch, weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Häufig ist die Behandlung damit verbunden, dass es weh tut, beispielsweise beim Blutabnehmen“, führt Elstner weiter aus. Mit viel Zeit und speziellem Know-how zu Behinderungen und zum Umgang damit ist das im MZEB anders. Doch es gibt auch Hindernisse, so die Chefärztin Dr. Annika Stollenwerk: „Als wir das MZEB vor rund eineinhalb Jahren feierlich eröffnet haben, war die Hoffnung groß, dass wir so die Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen verbessern. Die Realität zeigt jedoch, dass wir über viele Alltagsprobleme stolpern. Die formalen Hürden und Barrieren sind zu hoch. Wunsch und Wirklichkeit passen in diesem Fall nicht immer zusammen.“ Das MZEB kann etwa nur Patienten behandeln, bei denen ein Grad der Behinderung von mindestens 70 Prozent und bestimmte Merkzeichen wie Blindheit oder Gehbehinderung vorliegen. Außerdem ist für die Behandlung eine Überweisung des Hausarztes mit akuter und konkreter Fragestellung notwendig. Und die meisten Menschen mit schweren Behinderungen sind auf einen Transport zum Zentrum angewiesen, denn das MZEB darf nicht in die häusliche Wohnung kommen und dort behandeln. Das stellt Wohnheime und Angehörige vor eine große Herausforderung. „Wenn wir auch aufsuchend tätig sein dürften, wäre schon etwas gewonnen“, meint Dr. Stollenwerk.

Fachtag zum Thema
Um das Thema MZEB noch einmal bundesweit ins Scheinwerferlicht zu rücken, hat das Johanna Etienne Krankenhaus gemeinsam mit der Behindertenhilfe der St. Augustinus Gruppe die Fachtagung „Wunsch und Wirklichkeit“ ins Leben gerufen. Am Samstag, 18. Januar, sind von 9 bis 13 Uhr Interessierte, beruflich Tätige, Betroffene und Angehörige ins Alexius/Josef Krankenhaus, Nordkanalallee 99, eingeladen, namhafte Experten zu hören, mitzudiskutieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Hermann Gröhe hat – fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – die Schirmherrschaft für die Tagung übernommen und wird ein Grußwort halten. Zum Thema sprechen werden außerdem Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Prof. Dr. Susanne Schwalen, Geschäftsführende Ärztin der Ärztekammer Nordrhein und Prof. Dr. Peter Martin, Chefarzt Séguin-Klinik. Die Veranstaltung ist kostenfrei, eine Anmeldung nicht erforderlich.

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