v. l. Notfallseelsorger Richard Bannert und Bernhard Ludwig (Foto: privat)
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Duisburg. Notfallseelsorger Bernhard Ludwig zum Love-Parade-Seelsorgeeinsatz, der 10 Jahre umfasste

Juristisch ist er abgeschlossen. Aber für viele sind das Ereignis der Duisburger Love-Parade-Katastrophe und seine Folgen noch nicht endgültig verarbeitet. Das bilanziert Pfarrer Bernhard Ludwig, der zusammen mit seinem Duisburger Kollegen Richard Bannert  das Betreuungsteam während des gesamten Loveparade-Prozesses geleitet und organisiert hat. An allen 184 Verhandlungstagen gewährten Seelsorgende, Psychologen, Psychotherapeuten und Psychotraumatologen kontinuierlich intensive Begleitung von Zeugen, Angehörigen und Besuchern. Sie führten Gespräche mit Anwälten, Angeklagten und Mitarbeitenden des Gerichtes sowie der Staatsanwaltschaft und dem vorsitzenden Richter. „Wir haben ein Stück deutsche Rechtsgeschichte begleitet und unser Team hat zum ersten Mal in diesem Umfang eine derartig dauerhafte und intensive psycho-soziale und geistliche Begleitung bei einem Strafprozess aufgeboten. Sie wurde gut angenommen.“

Während der gesamten Einsatzzeit erstellten Ludwig und Bannert begleitend eine umfangreiche Statistik, die jeden Verhandlungstag für die Staatskanzlei dokumentiert. Die hatte den Auftrag für diesen Dienst erteilt. Ergebnis: „Über 500 Gespräche unterschiedlicher Intensität und Inhalte haben wir geführt“, hat Ludwig errechnet.

„Wir kennen viele der Angehörigen und auch etliche Zeugen seit dem Tag der Katastrophe“, erinnert sich der Notfallseelsorger. Wie Bannert war er am 24.Juli 2010 selbst im Einsatz und leistete als Teamleiter vor Ort psychische erste Hilfe. „In der Stunde null des Unglücks begann für uns die Arbeit: zuerst an der Totenablage, dann mit der Benachrichtigung der Angehörigen.“ In den folgenden Jahren leistete das Team kontinuierliche Nachsorge in unterschiedlichster Form. „In dieser Zeit ist das Vertrauen gewachsen. Viele von uns sind Bestandteil dieser Schicksalsgemeinschaft von Trauernden, Traumatisierten und Helfenden geworden. Gemeinsam haben wir diese zehn Jahre gestaltet – und wir Notfallseelsorgenden durften daran Anteil nehmen und Hilfe geben. Viele konnten wir in ihrem Schmerz, ihrer Wut und ihrer Trauer begleiten, aber auch weitervermitteln in Beratung und Therapie.“

Denn parallel zum juristischen Prozess ging für viele die  eigene persönliche Verarbeitung weiter. Sie endet auch jetzt nach Prozessabschluss nicht. „Wann das für jeden einzelnen beendet sein wird, ist individuell verschieden. Eltern trauern anders als Geschwister, sie tun es gemeinsam als Familie, aber auch jeder für sich. In unterschiedlicher Intensität, zu unterschiedlichen Zeiten, jeder braucht begleitende Rituale, sucht Gespräche und braucht temporäre Unterstützung“, erklärt der 63-Jährige. „Das unterstützen zu dürfen und auch zu können, hat uns selbst tief geprägt und verändert und war auch für uns ein großes Geschenk, wenngleich es über diese lange Dauer sehr anstrengend war.“ Normalerweise ist ein Notfallseelsorgeeinsatz zeitlich begrenzt und Seelsorgende können und müssen sich  psychisch regenerieren.

Nachsorge leistete das Team zudem für die damals eingesetzten Einsatzkräften aus Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr, die als Zeugen geladen waren. „Sie waren sehr dankbar für die Ansprache und die Möglichkeit, über ihr Erlebtes und Getanes zu sprechen“, so Ludwig, der als Polizei- und Feuerwehrseelsorger im Kreis Wesel die Arbeitsbedingungen der Einsatzkräfte kennt. „Mit am meisten beeindruckte mich, dass viele noch nie über die Geschehnisse gesprochen haben, auch, weil sie zum Teil dachten, niemand verstehe sie. Deshalb waren wir froh, dass wir ein multidisziplinäres Team von Fachkräften vorhalten konnten“, führt Ludwig, ausgebildeter Fachberater für Psychotraumatologie, aus. „Für uns war wichtig, eine Retraumatisierung der Zeugen durch das Gericht und Flashbacks verhindern zu helfen und auch die unbewussten Blockaden zu erkennen, die die exakte Erinnerung verhinderten. Das hat viele vertrauensvolle Gespräche ermöglicht und war oft erschütternd.“

„Persönlich bin ich sehr dankbar, dass unser Seelsorgeteam im Kreis Wesel, aber auch mein Kirchenkreis, mich für diese Aufgabe freigestellt bzw. beauftragt und unterstützt hat. Und der Kreis Wesel stimmte dieser zusätzlichen Aufgabe ebenfalls zu und unterstützte uns.“

Nun ist für das Notfallseelsorgeteam fast alles vorbei, sagt Ludwig, und das sei gut so. Eine ausführliche Nachbesprechung und Supervision im Team und vielleicht einer Abschlussfeier, diese besondere Aufgabe und Herausforderung gemeinsam gut gemeistert zu haben, werden diesen zehnjährigen Einsatz offiziell abschließen. „Innerlich wird das jeder für sich tun müssen – Trauernde, Betroffene, Einsatzkräfte und auch Seelsorger.“

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