Im Vorraum der Kirche ist ein provisorisches Lazarett eingerichtet (Foto: Pater Oliver)
Anzeige

Duisburg. “Mit einer gewissen Ratlosigkeit schreibe ich diese Zeilen über den Petershof Marxloh | Sozialpastorales Zentrum an St. Peter. Vielleicht etwas naiv haben wir in den vergangenen Tagen überlegt, die Notunterkunft zu schließen und „nur“ noch den Tagesbetrieb für die notleidenden Menschen (mit Mittagessen, Lebensmittelausgabe, Kleiderstube, Anlaufstelle, Dusch- und Waschmöglichkeit, medizinischer Versorgung …) aufrecht zu erhalten. Einerseits ist das Wetter wieder einigermaßen soweit, dass die ursprünglich als Kälteschutz vorgesehene Schlafmöglichkeit im Container nicht mehr notwendig ist, andererseits sind die Kräfte nicht nur der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer aufgebraucht. Nachdem ich selbst nun fast drei Monate rund um die Uhr hier am Platze bin, kann ich eigentlich auch nicht mehr.

Nun habe ich heute Morgen beim Wecken im Container Marius dort tot im Bett liegend aufgefunden.

Ich will gar nicht über ein Krankenhaus in Fahrn schreiben, das unlängst einen anderen schwerkranken Patienten, der unmittelbar zuvor noch beatmet auf der Intensivstation lag „in das Sozialpastorale Zentrum an St. Peter“ (Arztbrief) entlässt, obwohl ich mehreren Mitarbeitern dort gesagt habe, dass es hier nur einen Schlafcontainer für die Nacht gibt, den sich bis zu 16 Menschen, Bett an Bett, Männer und Frauen, Alte und Junge, teilen.

Am gleichen Tag, als wir Marius tot aufgefunden haben, war wenig später erneut der Notarzt hier. Wieder ein schwer kranker Mensch mit einem Blutdruck über 240 – ebenso medizinisch unversorgt und aus dem Krankenhaus, diesmal in der Mitte, entlassen … Ich will eigentlich auch nicht über Peter schreiben, dessen Bein verfault. Mehrmals in der Woche verbinden ehrenamtliche Helfer das Bein – im Vorraum der Kirche übrigens. Dort ist ein provisorisches Lazarett eingerichtet. Ich will eigentlich auch nicht über die Antwort des Sozialdezernenten auf unseren Hilferuf schreiben: „Im Spannungsfeld dieser Problematik bedarf die institutionelle Entscheidung der sorgfältigen Abwägung aller relevanten Aspekte.“

So habe ich Marius zwei Tage vor seinem Tod auf der Straße gefunden (Foto: Pater Oliver)

Gerade komme ich vom Kirchplatz. Eine Gruppe Obdachloser hat sich versammelt, viele Tränen in den Augen. Sie sehen nicht nur Marius‘ Schicksal. Sie sehen auch ihre Zukunft.

Ich will eigentlich auch gar nicht über einen Artikel in der WAZ schreiben – ging um Obdachlose im Duisburger Süden. Der Stadtsprecher weiß zu berichten, es gäbe etwa 50 Obdachlose in Duisburg. Hier im Container schlafen in etwas wechselnder Besetzung etwa 25 Menschen. Es sind gut 10 – 20 noch in Marxloh, die ebenfalls obdachlos sind, aber woanders schlafen. Dann hätten wir hier schon 35 – mMindestens. Dann verteilen sich im gesamten Duisburger Stadtgebiet nur noch 15 Obdachlose?

Duisburg hat ein Problem mit notleidenden Menschen, die auf der Straße leben müssen, weil es keine brauchbaren Konzepte gibt. Und während hier im Notcontainer der erste Mensch stirbt, phantasiert der Sozialdezernent von einem Hilfeleistungssystem in Duisburg, das ‚europaweites Vorbild‘ ist.

Es ist ein Zufall. Die 10. Kreuzwegstation „Jesus wird seiner Kleider beraubt“ befindet sich unmittelbar neben dem Notschlafcontainer. Einem Menschen die Kleider zu entreißen, ihn nackt auszusetzen, ihm die Würde zu nehmen, ist der letzte Akt der Erniedrigung.

Der vielleicht vorletzte Akt ist es, in einem der reichsten Länder dieser Welt zuzulassen, Menschen, Männer und Frauen, Alte und Junge, Gesunde, Kranke und Sterbende, zusammengepfercht – Bett an Bett – in einem Lagercontainer schlafen zu lassen, damit sie nicht unter irgendwelchen Brücken erfrieren.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, bestimmt Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Und es folgt sogleich: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Ich will eigentlich auch nicht über Peter schreiben, dessen Bein verfault. Mehrmals in der Woche verbinden ehrenamtliche Helfer das Bein – im Vorraum der Kirche übrigens (Foto: Pater Oliver)

Machen Sie sich von der konkreten Umsetzung dieser Verpflichtung hier gerne selbst ein Bild.

Die notleidenden Menschen in Duisburg brauchen Hilfe. Wir brauchen Hilfe – dringend! Ein tragfähiges Konzept, um der Not wirkungsvoll zu begegnen – und eine Perspektive für die Menschen.

Pater Oliver”

Beitrag drucken
Anzeigen