Vorstellung der Promotionsarbeit im Museum Burg Linn (von links): Melanie Teeuwen und Alexander Raitz von Frentz von der Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt, Stadtarchäologe Dr. Hans Peter Schletter, Archäologe Dr. Patrick Jülich, Fördervereinsvorsitzende Jeannine Moens und Museumsleiterin Dr. Jennifer Morscheiser (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof)
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Krefeld. Wenn die historischen schriftlichen Quellen fehlen, hilft oft nur noch der Blick in den Boden, um mehr über das Leben in der Antike, im Mittelalter oder der frühen Neuzeit zu erfahren. Das ist die Stunde der Archäologen – in diesem Fall von Dr. Patrick Jülich. Der gebürtige Krefelder widmete sich in den vergangenen Jahren mit seiner nun vorliegenden zweibändigen Promotion einer gewaltigen Aufgabe: der umfangreichen archäologischen Untersuchung Krefeld-Linns. „Keine Stadt im Rheinland ist so aufgearbeitet worden. Es ist eine Flut von Einzelergebnissen”, betont Krefelds Stadtarchäologe Dr. Hans Peter Schletter. „Für uns als Museum und für Linn ist das ein Meilenstein”, würdigt Museumsleiterin Dr. Jennifer Morscheiser die wissenschaftliche Leistung.

Eine flächendeckende Betrachtung des Ortes sei wegen der vorhandenen Bebauung nur möglich, wenn man „Puzzleteile” zu einem Gesamtbild zusammensetze. Vor allem baubegleitende Maßnahmen und klassische Grabungen ermöglichen es, Kenntnisse zu gewinnen. „Das dauert aber und macht diese Form der Stadtarchäologie schwierig”, sagt Schletter. Die von Jülich erarbeiteten und zusammengetragenen Ergebnisse lassen es nun zu, sich ein Bild von der Entwicklung der Stadt, den Bewohnern, der Wirtschaft und dem Sozialgefüge bis zum 17. Jahrhundert zu machen: Eine sogenannte Motte bildete den Vorläufer der heutigen Burg, ein in einem Feuchtgebiet aufgeschütteter Hügel mit einem Holzturm umringt von einer Holzpalisade. Um diese Motte floss in zwei Armen der Mühlenbach Richtung Rhein. Die später in Stein ausgebaute Burg bildete um das Jahr 1300 den Ausgangspunkt für die Anlage der neuen, geplanten Stadt. In dieser Zeit gründeten Fürsten, Bischöfe und Grafen zahlreiche Städte, um ihre Territorien abzusichern. Eine heute in der Geschichtswissenschaft als „Territorialstadt” bezeichnete Neugründung war eben auch Linn. Zudem sollte die angreifbare Flanke der Burg durch den Stadtbau zusätzlich geschützt werden.

Um 1366 begann der Bau der Stadtmauer

Innerhalb eines einfachen Wall- und Grabensystems bauten die Linner ihre ersten Häuser aus Holz, das sie in der direkten Umgebung fällten. Die Straßen seien wohl als solche angelegt worden, eine Pflasterung erfolgte aber erst im 14. Jahrhundert. Um das Jahr 1366 begann der Bau der Stadtmauer, die bis heute in großen Teilen erhalten ist. Und damit die Trinkwasserversorgung für die Bürger gesichert war, kanalisierten die Bürger einen Arm des Mühlenbaches, der mitten durch den Ort floss. Eine reiche Quelle von Erkenntnissen bildet der entdeckte und zahlreich vorhandene Müll, der viel über das alltägliche Leben verrät. „Knochenfunde belegen, welche Tiere man in und um Linn hielt und welche Fleischsorten hier auf dem Markt verkauft wurden”, berichtet der 49-Jährige.

Gleiche Qualität wie in Amsterdam oder Lübeck

Der Markt fand wahrscheinlich noch nicht auf dem Andreasmarkt statt, sondern im Umfeld der ersten Kirche am Margaretenplatz. „Auch Knochenschnitzer und weitere Handwerker boten dort ihre Dienste an”, schildert der Archäologe. Obwohl Linn eine kleine Stadt war, spiegelt sich der Wohlstand und die soziale Struktur der Gesellschaft in manchem „Müll” wie Schuhen wider oder in Fragmenten von buntem Kirchenglas, das in der Regel von reichen Bürgern gestiftet wurde. „Was wir gefunden haben, findet sich 1:1 auch in Städten wie Amsterdam oder Lübeck”, so Jülich. Einen Unterschied in der Qualität oder Verarbeitung sei nicht feststellbar.

Römische Ziegel in der Burg

Jülichs wissenschaftliche Auswertung beschränkt sich nicht auf die Darstellung, Dokumentation und Interpretation der archäologischen Funde. „Mir war wichtig, dass ich die Dinge zusammendenke”, so Jülich. Das hatte zur Folge, dass er diverse Materialuntersuchungen eingebunden hat, deren Auswertung und nachfolgende Auslegung viel Zeit in Anspruch nahm. Unter anderem ließ er in Häusern verbaute Steine vom Geologischen Dienst nach deren Herkunft untersuchen. „Sie kommen zum Teil aus den Ardennen und Lothringen sowie dem Siebengebirge”, sagt Jülich. Außerdem verwendeten die Linner Baumaterial aus römischer Hinterlassenschaft – ein typisches Verhalten am steinarmen Niederrhein. Sogar in die Burg Linn wurden römische Ziegel verbaut.

Öffentliche Unterstützung war notwendig

Die Publikation haben unter anderem die Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt und der Verein Freunde der Museen Burg Linn finanziell unterstützt. „Der Druck ist enorm teuer, wenn man keine Fördergelder erhält”, bedankt sich Jülich bei beiden Linner Vereinen. Die Museumsfreunde ziehen aus der Publikation auch einen direkten praktischen Nutzen: „Eine solche wissenschaftliche Arbeit ist eine Fundgrube, ein wunderbares Nachschlagewerk für unsere Museumsführer”, sagt Fördervereinsvorsitzende Jeannine Moens. Die beiden Bände „Die Archäologie der spätmittelalterlichen Stadt Linn. Topographie, Infrastruktur und Genese” (692 Seiten, Bonn 2020) kosten zusammen 139 Euro und sind im Buchhandel erhältlich.

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