Martinszug 1962 in Krefeld (Foto: Stadtarchiv Krefeld)
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Krefeld. Die Verehrung des heiligen Martin und die Bräuche um ihn herum sind teilweise Jahrhunderte alt. Einige Traditionen sind inzwischen verlorengegangen wie das wilde, lärmende Treiben der Kinder im 19. Jahrhundert. Mancherorts waren die Erwachsenen froh, als der Abend vorüber war.

Der Überlieferung nach kam Martin von Tours im Jahr 316 in einer römischen Provinz im heutigen Ungarn zur Welt. Als römischer Soldat versetzte man ihn später nach Gallien (Frankreich). Dort soll er der Legende nach um das Jahr 334 vor dem Stadttor von Amiens an einem kalten Wintertag einen Bettler angetroffen haben. Spontan teilte Martin seinen Mantel und überreichte dem Mann den anderen Teil. In der Nacht nach der Begegnung mit dem Bettler erschien Martin im Traum Jesus Christus. Dies war für ihn der Anlass, sich taufen zu lassen. Er trat aus dem Militärdienst aus, wurde Priester und Bischof von Tours. Wegen seines vorbildlichen Lebens verehrten ihn zahlreiche Menschen seit seinem Tod um das Jahr 400. Der 11. November ist der Martinstag, jener Tag, an dem er als Bischof von Tours begraben worden ist.

Martinszug 1962 in Krefeld.  Foto: Stadtarchiv Krefeld
Martinszug 1962 in Krefeld (Foto: Stadtarchiv Krefeld)

Die Martinszüge sind bis heute ein Ausdruck dieser Verehrung. Der Ursprung der Laternenumzüge ist allerdings nicht eindeutig geklärt. Einen heidnischen Hintergrund scheinen sie jedoch nicht zu haben, sondern sollen aus der christlichen Liturgie herrühren. Zum Martinstag wurde beispielsweise im 10. oder 11. Jahrhundert in Italien ein Lukas-Evangelientext verlesen. In diesem steht, man solle brennende Laternen in die Hände nehmen, wobei das Licht symbolisch für das Licht des Glaubens stehe. Ob die Menschen auch schon im Mittelalter Umzüge unternommen haben, ist nicht klar. Diese lassen sich sicher erst für das 19. Jahrhundert nachweisen. Im Zusammenhang mit Bibelschriften und der Lichtsymbolik wurden und werden auch die Feuer an diesem Tag entfacht.

Ende des Weidejahres

„Martini” markierte am 11. November aber auch einen wichtigen Tag im Kalender: Es war das Ende des Weidejahres für die Bauern, an dem sie ein reichliches Mahl zu sich nahmen, oft mit einer Gans. Vielerorts wurde die Pacht an diesem Tag gezahlt und das Gesinde durfte den Arbeitgeber wechseln. Diesen arbeitsfreien Tag nutzten sie, um zu feiern und dabei reichlich zu trinken. Denn der Martinstag war zugleich der Tag vor dem Beginn der Fastenzeit vor Weihnachten. Neben Fleisch durften dann auch keine Eier mehr gegessen werden, deswegen gehörten zu den Speisen am Martinstag auch Gebäck und Pfannekuchen.

Wer eine Rübe erwischte, wurde ausgelacht

Auch am Niederrhein speisten die Menschen am Martinstag ausgiebig. Dann wurde dort geschlachtet, wie es in einigen Martinsliedern besungen worden ist. In Krefeld-Linn ist der Brauch überliefert, dass die Frauen Äpfel, Rüben und Nüsse in die Wohnstube brachten. Das Licht wurde gelöscht, und Jung sowie Alt stürzten sich auf die Früchte. Wer eine Rübe erwischte, wurde von den anderen ausgelacht. Ein vergleichbares Ritual ist aus Krefeld bekannt. Dort wurde ein Martinssack gefüllt mit Äpfeln, Nüssen, Kartoffeln und Zuckerware an die Decke gehängt. An dem Sack befestigten die Erwachsenen ein Stück Papier, das sie anzündeten während die Kinder sangen. Als alles bei Dunkelheit zu Boden fiel, suchten die Kinder nach den Sachen – wer eine Kartoffel oder Rübe erwischte, dem war die Schadenfreude sicher.

Traditionell gab es am Niederrhein in den Familien auch noch Buchweizenkuchen zu dem Festtag. Und das Stehlen dieser Kuchen erfreute sich in Krefeld großer Beliebtheit. Nach dem Martinsfeuer gingen Kinder und Jugendliche zu befreundeten Familien, um dort den Kuchen zu stibitzen – sie sollten sich jedoch dabei nicht erwischen lassen. Die Hausfrauen ließen das Küchenfenster einen Spalt auf, um den „Dieben” ihre Arbeit zu erleichtern. Gerne backten sie auch einen Lappen in den Kuchen, um die Kinder zu ärgern. Manchmal wurden die Kuchen mit Ungenießbarem versehen unter anderem mit Asche. Die so Reingelegten wurden von anderen ausgelacht.

Singende Kinder eine Plage?

Immer seltener wurde in den vergangenen Jahren das Ziehen der Kinder mit ihren Laternen von Tür zur Tür. Bei den Nachbarn singen sie und erhalten Obst oder Süßigkeiten dafür. Dieses Bitten um Gaben zu St. Martin ist im Rheinland ein alter Brauch, der sich bereits im 16. Jahrhundert in Köln nachweisen lässt. Im 19. Jahrhundert zogen die Kinder mit Laternen unter anderem aus Rüben, die auf einen Stock gestelzt wurden, von Nachbar zu Nachbar. Dort sangen sie ihre Lieder. Aber einige Erwachsene verbarrikadierten sich an diesem Abend regelrecht. Öffnete einmal jemand seine Türe nicht, verspotteten sie ihn in ihren Liedern als „Geizkragen”. Mancherorts artete dies in lärmendes und wildes Treiben mit Schellen und Trompeten aus, in Zeitungen wurde gar von einer Plage gesprochen. Zumal die Kinder nicht gerade zimperlich ihre Spottlieder vortrugen. Bei Gerangel entpuppten sich außerdem die Rübenlaternen zu einer Brandgefahr in den Städten.

Erster geordneter Martinszug am Niederrhein 1869 in Dülken

Dieses wilde Umherziehen fand sein Ende: So kam es schließlich 1869 in Dülken zum ersten geordneten Martinszug am Niederrhein. Es entstanden in der Folgezeit regelrechte Martinsvereine wie im Kreis Kempen-Krefeld um das Jahr 1900. Dort ritt der Heilige Mann auf einem Ross vorweg. Am Martinsfeuer wurde die Legendenszene nachgespielt. In der Regel zogen die Kinder mit Musikkapellen von einer Schule ab, was dann auch wieder ihr Ziel war, und wo dann die Martinstüten ausgeteilt wurden. Diese sorgten dafür, dass das rohe Treiben weitgehend unterbunden wurde – so wie es heute noch ist.

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