Niema Movassat MdB (Foto: Robin Nickel)
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Oberhausen/Rhein-Ruhr. Jeder Grundrechtseingriff bedarf der parlamentarischen Legitimation. Deshalb ist das übliche Verfahren, dass das jeweils zuständige Parlament ein Gesetz verabschiedet, in dem die Voraussetzungen und Grenzen („Rote Linien“) des Grundrechtseingriffs definiert werden. Je schwerer der Grundrechtseingriff ist, desto bestimmter und klarer muss das Gesetz sein. Es geht nicht nur um eine Formalie: in der Demokratie bestimmt der Gesetzgeber und damit die Volksvertretung, wie weit die Regierung in die Grundrechte der Bürger*innen eingreifen darf. Damit wird notwendigen Grundrechtseingriffen eine demokratische Grundlage gegeben.

Am vergangenen Mittwoch hat der Deutsche Bundestag das sogenannte „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mit Mehrheit angenommen. 414 Abgeordnete stimmten mit ,Ja‘. Das maßgebliche Ziel des Gesetzes ist es, die COVID19-Maßnahmen, die landesweit auf Grundlage von Landesverordnungen ergehen, auf eine gesetzlich hinreichende Grundlage zu stellen.

Ich habe mit ‚Nein‘ gestimmt, wie auch meine Fraktion DIE LINKE. Ja, wir brauchen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, weil es Leib und Leben von Menschen gefährdet und das Gesundheitssystem droht an seine Kapazitätsgrenzen zu gelangen. Allerdings hat die Koalition aus CDU/CSU und SPD die lange Zeit seit dem März nicht genutzt, eine vernünftige Novelle des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg zu bringen.

Eine Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes war dringend nötig, da die bisherige Rechtsgrundlage maximal unbestimmt war, wie nun auch zunehmend Verwaltungsgerichte betonten. Die jetzigen Änderungen sorgen nur für einen graduellen Anstieg der Bestimmtheit, indem einige der möglichen staatlichen Eindämmungsmaßnahmen im neuen § 28a Infektionsschutz genannt werden und für einige besonders gravierende Maßnahmen wie Versammlungs- und Gottesdienstverbote erhöhte Voraussetzungen gelten. Doch wird dies der Schwere der Grundrechtseingriffe nicht gerecht. Erforderlich wäre es vielmehr gewesen, die möglichen Maßnahmen einzeln aufzulisten und für jede mögliche Maßnahme Voraussetzungen und Grenzen zu benennen. Ich bin überzeugt davon, dass das Infektionsschutzgesetz auch nach den Änderungen den verfassungsgerichtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Klarheit nicht gerecht wird.

Die schärfsten Grundrechtseingriffe seit Bestehen des Grundgesetzes in einem Eilverfahren durch das Parlament zu boxen, zeugt von einer besonderen Ignoranz von CDU/CSU und SPD. Das neue Infektionsschutzgesetz bindet weiter die Parlamente nicht in die Pandemiebekämpfung ein. Denn weiterhin werden die wesentlichen Entscheidungen in der Runde der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten im Hinterzimmer diskutiert. Hat der Bundestag einmal die pandemische Lage erklärt, ist er aus dem Spiel. Auch sind einige Regelungen im neuen Infektionsschutzgesetz verfassungsrechtlich sehr bedenklich, etwa die Möglichkeit nächtlicher Ausgangsbeschränkungen.

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz und dem eiligen Verfahren, in dem es beschlossen worden ist, erweisen CDU/CSU und SPD der Legitimation des neuen Infektionsschutzgesetzes und der dringend notwendigen Akzeptanz der Pandemiebekämpfung in der Bevölkerung leider einen Bärendienst.

 

Ein KlarKlick von Niema Movassat (DIE LINKE),
Oberhausener Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Geschäftsführer, Verfassungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag

 

Anmerkung der Redaktion: Unter KlarKlick versteht die LokalKlick-Redaktion Gastkommentare, die zur gesellschaftlichen Diskussion führen. Sie geben nur die Meinung des Gastkommentators wieder und sind nicht unbedingt die Meinung der Redaktion.

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