Antje Wentzel-Kassmer (Foto: privat)
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Krefeld. 22 Jahre als Krankenhausseelsorgerin am Helios Klinikum

“Ich habe gerne als Seelsorgerin gearbeitet und meine Tätigkeit ist mir ans Herz gewachsen”, sagt Pfarrerin Antje Wenzel-Kassmer. Jetzt aber geht sie nach 22 Jahren als Krankenhausseelsorgerin am Helios-Klinikum in Ruhestand. “Ich mache erst mal Pause und schaue, was ist dran, was braucht meine Familie.” Reisen wollen sie, das habe sie ihrem Mann versprochen. Als erstes nach Florenz. Aber sie möchte auch nach Kalifornien, wo die Tochter lebt und den Sohn auf einer seiner Reisen nach Japan begleiten. Japanisch lernen – das auch.

Ihren bisherigen Schwerpunktbereich konnte Wenzel-Kassmer an eine katholische Kollegin abgeben, die im März zum Team der Krankenhausseelsorge am Klinikum kam. “Ich begleitete Familien, vor allem Frauen, die eine Fehl- oder Totgeburt erlitten haben,” berichtet Wenzel-Kassmer. Direkt als sie als Krankenhausseelsorgerin in den Kirchenkreis Krefeld-Viersen kam, gründete sie zwei Gruppen für trauernde Eltern. “Mein Herz war und ist bei den trauernden Eltern”, betont sie. “Ich kann mich gut einfühlen und den Eltern einen Weg zeigen, wie sie durch die Trauer kommen können.”

Sternen – oder Schmetterlingskinder werden diese Kinder genannt. Ein Bild mit Schmetterlingen hängt symbolisch im Raum der Stille im Helios-Klinikum, der Mann von Wenzel-Kassmer hat es gemalt, er ist Künstler. “Eltern, die ihr Kind verloren, erhalten ebenfalls einen feingearbeitete Papierschmetterling, auf den sie den Namen des Kindes schreiben können”, erklärt  die Pfarrerin. “Diesen können sie in ihren Gedanken mit den Schmetterlingen auf dem Gemälde fliegen lassen.” So eine symbolische Handlung könne helfen, den Verlust zu ertragen. Auch Segensrituale zum Verabschieden, die Wenzel-Kassmer entwickelt hat. Alle zwei Monate werden die Schmetterlingskinder beerdigt. Auf dem Hauptfriedhof gibt es dafür ein extra Gräberfeld. Seit kurzem auch einen zweiten Erinnerungsort, nur wenige Meter von dem vor 15 Jahren gestalteten Ort entfernt. Dort steht eine dreieckige Stele, mit einem Regenbogen gestaltet. “Hier haben Eltern und Familien einen guten Ort, wo sie hingehen können”, sagt Wenzel-Kassmer. Zum weltweiten Kerzenleuchten (Candle Lighting) jedes Jahr im Dezember findet zudem eine religionsoffene Gedenkfeier für Eltern, die ihr Kind verloren haben, statt. Seit einigen Jahren wird dazu in die Lutherkirche eingeladen. “Manche Familien sind jedes Jahr dabei”, sagt die Krankenhausseelsorgerin.

Bevor sie zur Krankenhausseelsorge  kam, war Wenzel-Kassmer 15 Jahre als Gemeindepfarrerin in Mülheim tätig. “Ich war gerne Pfarrerin in meiner Gemeinde”, berichtet die Theologin. “Doch ich habe gemerkt, dass ich überhaupt keine Zeit zur Seelsorge hatte, es war immer zuviel anderes zu erledigen. Ich hatte nicht mal Zeit, all diejenigen in der Gemeinde zu besuchen, die ich gerne wollte.” Als eine Stelle in der Krankenhausseelsorge im Kirchenkreis Krefeld-Viersen frei war, habe sie zugegriffen und erhielt eine Zusage. Zunächst war Wenzel-Kassmer zu zwei Drittel im Krankenhaus Maria-Hilf tätig und zu einem Drittel im Helios. Seit 2010 in sie zu 100 Prozent am Klinikum. Von Anfang an habe sie das Gefühl gehabt, diese Seelsorge sei genau das richtige für sie. Sie stammt aus Duisburg, studierte Theologie in Marburg und ging fürs Vikariat wieder nach Duisburg. “Theologie fand ich so spannend während des Studiums, dass ich kurzzeitig überlegte zu promovieren”, erinnert sich Wenzel-Kassmer. “Doch dann dachte ich, nein, ohne Praxis, das ist nicht mein Weg.”

Das war die richtige Entscheidung. So wie Antje Wenzel-Kassmer in der Praxis aufgeht. Bereichernd hat sie die vielen Begegnungen mit Patienten empfunden. “Wenn Menschen Vertrauen gewinnen und ich daran anknüpfen kann, dann kommt etwas ins Fließen”, sagt Wenzel-Kassmer. “Wenn ich verstehe, kann ich auch trösten. In solchen Gesprächen gebe ich nicht nur, sondern Kraft kommt zu mir zurück.” Solche Situationen seien nicht planbar und kämen unerwartet, geschähen aber fast täglich: “Wenn ich mit offenem Herzen zu jemandem komme, dann kann so eine Verbindung entstehen.” Es gebe viele Lebensgeschichten, die so unfassbar traurig seien, dass es eigentlich keinen Trost gebe. Diese trostlose Situation aber gemeinsam miteinander auszuhalten, tröste dann doch beide und langsam beginne etwas zu heilen. “Für viele Menschen war ich genau die richtige, um ihnen einen Weg zu zeigen”, dafür ist die Pfarrerin dankbar.

Bei einer Kapazität von 1.200 Betten im Helios sei es Illusion, alles abdecken zu können.  “Manchmal bin ich geschickt worden, durch den Heiligen Geist, durch Gott”, da ist sich die Seelsorgerin sicher. “Ich habe auch noch eine onkologische Station betreut”, so Wenzel-Kassmer. “Jede Woche bin ich durch alle Zimmer gegangen. Und habe mich überraschen lassen, wer mich gerade braucht.” Häufig sei sie bei den Patienten hängen geblieben, von denen es zunächst keiner erwartet hätte.

Lange Zeit habe es wegen Corona einen Besuchsstopp für die Patienten gegeben. Während dieser Zeit war der Seelsorgebedarf von Patienten extrem hoch. “Wir haben in dieser Zeit besonders das Personal auf Intensivstationen betreut, die durch die Pflege von so vielen Patienten mit schweren Covid-Infektionen extrem belastet waren”, betont Wenzel-Kassmer. “Und wir haben Angehörige begleitet, die erst zum Abschiednehmen in voller Schutzkleidung auf die Intensivstationen gehen durften.”

Zu all dem kam lange die Sorge, sich auf der Intensivstation mit Covid selbst zu infizieren. Inzwischen ist Antje Wenzel-Kassmer längst geimpft. Sorge hatte sie, dann auch ihren Mann anzustecken. Jetzt freut sie sich darauf, gemeinsam in Ruhe zu frühstücken, ohne Termindruck zu haben. Zeit frei gestalten zu können.

Pfarrerin Antje Wenzel-Kassmer wird am Freitag, 23. Juli 2021 um 13 Uhr in der Lutherkirche am Lutherplatz in Krefeld in einem Gottesdienst verabschiedet und durch Pfarrer Christoph Tebbe, Skriba (2. Stellvertreter der Superintendentin) des Ev. Kirchenkreises Krefeld-Viersen , von ihrem Amt entpflichtet.

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