Katrin Göring-Eckardt MdB (Foto: Laurence Chaperon)
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Kaarst/Berlin. Knapp 15 Prozent holten die GRÜNEN bei der Bundestagswahl 2021. Mit Umfragewerten von 28 Prozent unmittelbar nach der Nominierung von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wurde die einstige „Öko-Partei“ gar als neue deutsche Volkspartei gehandelt. Seit über zwei Jahrzehnten mit dabei: Katrin Göring-Eckardt (55). Die gebürtige Thüringerin ist seit 2013 Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag; zuvor war sie acht Jahre lang Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Der Kaarster Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, sprach mit Katrin Göring-Eckardt über Demokratie, Klimawandel und Flüchtlingspolitik.

 

Frau Göring-Eckardt, vielen Dank, dass Sie sich trotz laufender Koalitionsgespräche Zeit für ein Interview nehmen. Legen wir direkt los: Welchen Stellenwert haben Demokratie und unsere demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Demokratie bedeutet für mich Augenhöhe. Augenhöhe zwischen Politik und Bürger*innen. Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen. Eine Politik, die im Auftrag und zum Wohle der Bevölkerung handelt und nicht gegen sie agiert, ist mir aufgrund meiner eigenen Biographie, der Diktaturerfahrung, ein ganz besonderer Antrieb. Und natürlich bedeutet Demokratie Freiheit. Was es braucht, um diese Freiheit zu schützen, müssen wir immer wieder neu justieren. Das zeigt sich nun an der Klimakrise ganz akut. Nur wenn wir die Klimakrise bekämpfen, können wir unsere Freiheit und die Freiheit künftiger Generationen sichern.

 

Ob Klimawandel, Corona-Pandemie oder Flüchtlingskrise: Globale Krisen werden zunehmend zum Stresstest für Demokratien; die Auswirkungen – auch in Deutschland spürbar. Braucht unsere Demokratie ein „Update“?

Demokratie ist nie fertig. Die Krisen unserer Zeit setzen unsere Gesellschaft unter Spannungen. Es fordert uns alle, wenn andere Ansichten akzeptiert und respektiert werden müssen; wenn es den einen zu schnell und den anderen zu langsam vorangeht. Doch unsere Demokratie ist das erfolgreichste Rezept gegen diese Spannungen. Demokratie ist vor allem Stärke: Zuhören, den Dialog suchen, inhaltlich ringen. So haben wir als demokratische Gesellschaft große Herausforderungen der letzten Jahrzehnte gemeistert. Nun gilt es, mit voller Gleichberechtigung und mehr Beteiligung unsere Demokratie zu stärken.

 

Apropos Klimawandel: Aus Ihrer Sicht wird die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen mit keinem Koalitionspartner leicht. Zu welchen Kompromissen wären Sie bereit und wo ist Ihre rote Linie in Sachen Klimaschutz?

Es ist zentral, dass Deutschland auf den Pfad des Pariser Klimaabkommens zurückkehrt. Das ist eine große Aufgabe. Ich möchte von meinen Enkelinnen und Enkeln später gefragt werden: wie habt Ihr das eigentlich geschafft – und nicht, warum habt Ihr nicht genug gegen die Klimakrise getan.

 

Die Presse- und Meinungsfreiheit spielt im demokratischen Wertekanon eine entscheidende Rolle. Doch wie mit Hass und Hetze umgehen? Sind Schmäh-Kampagnen wie „Grüner Mist“ eine Gefahr für die Demokratie?

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes demokratisches Gut. Der um sich greifende Hass, der sich im Netz und leider zunehmend auch in unserem analogen Alltag entlädt, hat damit jedoch nichts zu tun. Hier versuchen Menschen vor allem jene, die sich tagtäglich für unsere Demokratie stark machen, einzuschüchtern und aus der Öffentlichkeit zu drängen. Das trifft Journalist*innen, Kommunalpolitiker*innen, Engagierte aus der Zivilgesellschaft, häufig Person of Color oder Frauen. Das betrifft uns nicht alle gleich, geht uns als Demokrat*innen aber alle etwas an. Umso wichtiger ist es, dass wir Hass, Hetze und rechte Gewalt gemeinsam und in aller Entschiedenheit bekämpfen.

 

Unsere Initiative ist im Rhein-Kreis Neuss beheimatet, wo gerade erst CDU und FDP einen Antrag der GRÜNEN zum Betritt zur Initiative „Seebrücke“ abgelehnt haben. Was muss sich an der Flüchtlingspolitik ändern?

Die Flüchtlingspolitik der letzten Jahre war auf deutscher und europäischer Ebene von einem Gedanken der Abschottung dominiert. Das unfassbare Leid, das mit dieser Politik einhergeht, sehen wir in Flüchtlingslagern wie Moria oder auf dem Mittelmeer. Wir brauchen eine Flüchtlingspolitik, die die Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum rückt. Dazu gehören faire Asylverfahren und ein solidarischer Verteilmechanismus innerhalb Europas. Aber darauf können und müssen wir nicht warten. Über 200 Kommunen in Deutschland haben sich schon bereit erklärt, Geflüchtete aus den Lagern aufzunehmen. Zudem müssen wir legale, geordnete Fluchtwege schaffen, damit sich Menschen erst gar nicht auf eine so gefährliche Flucht begeben müssen. Das große Engagement in Initiativen wie der „Seebrücke“ zeigt, wie hoch die Akzeptanz für eine andere Politik gerade auch in den Kommunen ist.

 

Bundestagswahl 2021: Die Einbußen von AfD und Linkspartei stärken die politische Mitte in Deutschland. Ist das gut oder schlecht für die Demokratie und wie sehr nervt Sie die teilweise Gleichstellung von AfD und Linkspartei?

Eine Gleichsetzung von AfD und Linkspartei geht fehl. Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme Partei, die immer wieder versucht, unsere Demokratie zu unterwandern. Das müssen alle Demokrat*innen auch immer wieder ganz klar so benennen und die Abgrenzung hinbekommen.

 

Frau Göring-Eckardt, Sie mischen seit über zwei Jahrzehnten in der deutschen Spitzenpolitik mit. Was hilft Ihnen – außer um Mitternacht Erdbeermarmelade zu kochen – abzuschalten und den Kopf wieder frei zu bekommen?

Mein politischer Alltag und die Begegnung mit den Menschen bei Terminen vor Ort geben mir viel Energie. Aber natürlich brauche auch ich einen Ausgleich. Am liebsten ist mir ein voller Tisch mit Familie und Freunden, Jung und Alt, es geht laut zu und die Themen gehen wild durcheinander. Und für einen kühlen Kopf gehe ich bei so ziemlich jedem Wind und Wetter laufen. Danach bin ich bereit für alles, was der Tag zu bieten hat.

 

Vielen Dank für das Interview Frau Göring-Eckardt!

 

InfoKlick: Initiative Gesichter der Demokratie

© Sven Lilienström/LokalKlick

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