Vom gemeinsamen Training profitieren sowohl die ukrainischen als auch die Leverkusener Fechter (Foto: privat)
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Leverkusen. Wer derzeit beim TSV Bayer 04 Leverkusen beim Fechttraining in der Kurt-Rieß-Halle 3 zuschaut, wird als Außenstehender nicht viel Außergewöhnliches bemerken.

Außer vielleicht, dass die Halle etwas voller ist als sonst und dass mehr englisch gesprochen wird als üblich. Im Fechtkeller der Herbert-Grünewald-Halle sieht es da im wahrsten Sinne des Wortes schon anders aus: Dort sind Feldbetten aufgebaut, im Flur darüber steht ein großer Kühlschrank, der eigentliche Besprechungsraum wurde zum Speise- und Aufenthaltsraum umfunktioniert. Hintergrund: Seit Anfang April sind zehn Degenfechter der ukrainischen Nationalmannschaft zu Gast beim TSV, da sie in ihrer Heimat im Kriegsgebiet derzeit keine Trainingsmöglichkeiten haben.

Über einen in Essen arbeitenden ukrainischen Trainerkollegen, an den sich die ukrainische Sportdirektorin gewandt hatte, wurde der Kontakt nach Leverkusen vermittelt. Hilfreich war dabei sicherlich, dass der Essener Trainer mit dem Leverkusener Stützpunktleiter Dieter Schmitz und dessen Frau gut bekannt ist.

Für das osteuropäische Team stand und steht mit Weltcups und WM-Qualifikationen sportlich einiges auf dem Spiel – allerdings ist das kein Vergleich zu dem, womit sie außerhalb des Sports konfrontiert werden. Igor Reizlin beispielweise, Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Tokio, kam komplett ohne Ausrüstung in Leverkusen an. Sein Equipment war von einer Bombe zerstört worden. Er selber und sein Haus sind verschont geblieben – das der Nachbarn nicht.

Es sind unzählige Schicksale, die diese Gruppe verbindet. In Leverkusen haben sie nun die Möglichkeit, sich unter vergleichsweise guten – oder zumindest sicheren – Rahmenbedingungen auf ihren Sport zu konzentrieren. Für Fecht-Abteilungsleiter Guido Quanz, Stützpunktleiter Dieter Schmitz und TSV-Geschäftsführerin Anne Wingchen stand außer Frage, jede mögliche Hilfe zu geben. Dieter Schmitz: „Dank der finanziellen Unterstützung des TSV Bayer 04 Leverkusen und des DOSB konnten wir die Fechter der ukrainischen Nationalmannschaft kurzfristig aufnehmen – da wurde viel improvisiert, Feldbetten von der Feuerwehr geliehen, Lebensmittel organisiert, usw. Die Hilfsbereitschaft auf allen Seiten ist enorm“, berichtet der verantwortliche Trainer und Mitglied des Abteilungsvorstands Fechten. Der DOSB beispielsweise stellte 4.000 Euro aus dem „Soforthilfefonds“ zur Verfügung.

Den Dank der „Gäste“ spürt Dieter Schmitz Tag für Tag: „Unsere ukrainischen Gäste sind sehr dankbar und inzwischen hat sich eine Freundschaft entwickelt, die sicher in den kommenden Jahren zu wechselseitigen Besuchen und weiteren gemeinsamen Trainingslagern führen wird.“

Die Top-Fechter sind ganz normal in das tägliche Bayer-Training eingebunden. Darüber hinaus absolvieren sie zusätzliche Einheiten. Die Leverkusener Sportler profitieren ihrerseits von den neuen Trainingspartnern: „Das sind absolute Weltklasse-Athleten. Beim Weltcup in Paris haben sie trotz der widrigen Umstände Bronze gewonnen“, berichtet Dieter Schmitz. Für die TSV-Fechter, die mit dem deutschen Team in Paris Platz 13 belegt hatten, also eine perfekte Möglichkeit, sich permanent mit der sportlichen Spitze zu messen. So auch beim kurzfristig anberaumten Benefiz-Turnier in der Kurt-Rieß-Halle, das im U23-Bereich Leverkusen und bei den Senioren die Ukraine gewinnen konnte.

Die Freude darüber, aktuell eine sichere Bleibe gefunden zu haben, wird deutlich getrübt von den Aussichten: Ende Mai läuft die Vereinbarung mit dem ukrainischen Verband aus. Dann müssen sie zurück nach Kiew, dem Trainingsstützpunkt der Nationalmannschaft, und wo der Nationaltrainer aktuell ausharrt.

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