In der Talkrunde der Partnerprojekte ging es um Highlights, Bedarfe und Herausforderungen aus der Praxis (Foto: © PlanB)
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Duisburg. Migrantenselbstorganisationen (MSO) aus ganz NRW trafen sich jetzt im Kulturzentrum Suryoye in Obermeiderich. Der Fachtag mit dem Thema „Mainstreaming“ ging der Frage nach, wie gut die MSO an die Regelstrukturen sozialer Arbeit angebunden sind.

Obwohl einige dieser Organisationen mittlerweile große, professionelle Akteure im Bereich der sozialen Arbeit sind, ist ihr Engagement noch immer von Ehrenamtlichkeit und unsicheren, kurzfristigen Finanzierungsformen geprägt. Meist werden sie dort eingebunden, wo es um die Themen Migration, Integration und Flucht geht – ihre vermeintlichen Kernkompetenzen. Doch die MSO verlangen eine Anbindung auf Augenhöhe in allen Bereichen, den gleichrangigen Einbezug in Gremien und Informationsketten.

Partnerorganisationen aus NRW

Am Fachtag nahmen knapp 100 Vertreter von MSO-Partnerorganisationen aus ganz NRW teil – vom Ruhrgebiet über Wuppertal, Bielefeld, Aachen bis hin zum Hochsauerlandkreis –, die ihrerseits vor Ort für die Vernetzung und Unterstützung der dortigen MSO sorgen. Organisiert wurde der Fachtag von der Fach­be­ra­tung Mi­gran­ten­selbs­t­or­ga­ni­sa­tio­nen des Paritätischen NRW mit Unterstützung des MSO-Netzwerk Herne des freien sozialen Trägers PLANB Ruhr e. V. Der Duisburger Verein Suryoye Ruhrgebiet e. V. stellte sein Kulturzentrum in einem ehemaligen Gemeindehaus in der Brückelstraße zur Verfügung und sorgte für die Verpflegung.

„Seien Sie anstrengend!“

Aslı Sevindim, Abteilungsleitung Integration des NRW-Ministeriums für Kinder, Jugendliche, Familie, Gleichstellung, Flüchtlinge und Integration (MKJFGFI), hatte in ihrem Grußwort eine klare Botschaft mitgebracht: „Migrantenselbstorganisationen sind uns im Ministerium unendlich wichtig. Sie sind unverzichtbar. Nur wenn Sie Ihre Interessen artikulieren, kann ein echter demokratischer Prozess entstehen, echte demokratische Teilhabe.“ Die Journalistin und Politologin, selbst in Marxloh aufgewachsen, appellierte in ihrem emotionalen Vortrag an die Anwesenden: „Bitte seien Sie anstrengend! Nichts, gar nichts, ändert sich dadurch, dass wir leise sind.“

Förderchancen steigen durch Personal

Carmen Martinez Valdes, Fachgruppenleitung Migration, Frauen, Psychosoziale Beratung und LSBT* beim Paritätischen NRW, rückte den Fokus des Fachtags auf die Frage: „Was sind Erfolgsfaktoren für das Mainstreaming von MSO-Projekten?“ David Konrad, Fachreferent MSO beim Paritätischen, stellte dazu im Anschluss einige Ergebnisse einer Studie vor. Danach arbeiten 41 Prozent der MSO auf rein ehrenamtlicher Basis ohne Personal, während ein ebenso großer Anteil über Beschäftigte auf Honorarbasis verfügt. 70 Prozent werden gefördert, unter anderem vom Land und den Kommunen. Dabei zeigt sich, dass die Förderchancen drastisch steigen, sobald eine MSO Personal beschäftigt – nur so lassen sich die aufwändigen Antragsprozesse meistern. So entsteht schnell ein Teufelskreis: ohne Förderung kein Personal, ohne Personal keine Förderung. Eine weitere bedenkliche Erkenntnis betrifft das Phänomen der asymmetrischen Kooperationen: Nur ein Viertel aller MSO, die mit einer Stadtverwaltung kooperieren, fühlen sich dabei als Partner auf Augenhöhe.

Betroffene oder Experten?

Ein Thema, das in der anschließenden Talkrunde der Partnerprojekte direkt aufgegriffen und bestätigt wurde. So hatte in einem Fall eine Kommune zur Entscheidung über einen Förderantrag nicht die betreffende Organisation zum Gespräch eingeladen, sondern ausdrücklich nur die Vertreterin des MSO-Vernetzungsprojekts – weniger Augenhöhe geht nicht. Ein anderer Kritikpunkt in der Runde war, dass MSO häufig in erster Linie als Betroffene wahrgenommen werden, während man ihnen einen Expertenstatus allenfalls im eng begrenzten Rahmen dieser eigenen Betroffenheit zugesteht.

Im Podiumsgespräch zeigte sich auch, dass viele Fördermöglichkeiten, etwa durch das LWL-Landesjugendamt, nicht ausreichend bekannt sind und besser verbreitet werden müssen – hier können vor allem die vernetzenden Partnerprojekte helfen.

Wertschätzung, Förderung und Mut

Der Fachtag endete mit der Frage, was sich die Beteiligten von einer imaginären guten Fee vor allem wünschen würden. Ganz oben auf der Liste standen dabei mehr Wertschätzung und Sichtbarkeit sowie mehr und vor allem verlässlichere, längerfristige Förderung. Von den Behörden wünschte man sich mehr Kooperationsbereitschaft auf Augenhöhe sowie von allen Einrichtungen der Regelstrukturen einen besseren Informationsfluss. Doch die Wünsche richteten sich auch an die MSO selber: Mehr Mut und Bewusstsein der vorhandenen Diskriminierung, mehr Selbstbewusstsein und Stärke wurden ebenso genannt wie mehr Aktivität auch jenseits der häufig zentralen kulturellen Brauchtumspflege.

Der Fachtag endete mit einem regen Austausch und dem Beschluss, die hier geknüpften Vernetzungen weiter zu vertiefen und künftig in ähnlichen Tagungsformaten auszubauen.

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