Sie lieben das Spiel mit den Worten: einige der Mitglieder des inklusiven Literaturkurses (Foto: © St. Augustinus Gruppe)
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Neuss. Gebannt lauschen rund zehn Hobbyautoren dem Text von Martin Bahners. Mit ruhiger Stimme trägt er ihn vor, beschreibt bildreich, detailgetreu und gefühlvoll den Anfang einer gleichgeschlechtlichen Liebesgeschichte, die an einem heißen Sommertag an einem Strand in Südengland beginnt. Als der letzte Satz beendet ist, gibt es Applaus und viele lobende Worte. „Eine schöne Bestätigung“, freut sich der 40-Jährige, der in den Gemeinnützigen Werkstätten Neuss arbeitet. Martin Bahners ist eines der ersten Mitglieder des besonderen Literaturkurses für Menschen mit und ohne Behinderung. Nach pandemiebedingter Pause fand der kreative Austausch der St. Augustinus Behindertenhilfe nun erstmals wieder statt und hat mit der Stadtbücherei ein neues, äußerst passendes Zuhause gefunden.

Ideengeber des Ganzen ist Johannes Schwelm. Der Diplom-Pädagoge arbeitet nicht nur im Ambulant Betreuten Wohnen bei der St. Augustinus Behindertenhilfe, er ist auch Autor, Künstler und Comedian. Vor zwölf Jahren brachte er seinen ersten Roman auf den Markt und rief den besonderen Literaturclub ins Leben. „Ich habe durch meine Arbeit festgestellt, dass der Wunsch für ein solches Projekt da war. Es ist einfach großartig, dass das Angebot so gut angenommen wird und dass wir hier Inklusion wirklich leben.“

Das Literaturcafé richtet sich an alle, die gerne Geschichten oder Gedichte schreiben und sich dazu ein paar Tipps holen wollen – zum Beispiel für den Fall, dass einem einmal doch die Worte fehlen. Gleichzeitig ist der Termin eine gute Gelegenheit, Gleichgesinnte zu treffen, denen Lesen und Schreiben auch wichtig sind. Menschen ab 16 Jahren mit und ohne Behinderung sind eingeladen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. „Eigene Texte können vorgelesen und diskutiert werden, fremde Texte können inspirieren und neue Wege zeigen, und jede und jeder kann versuchen, die anderen zu verstehen und zu stärken“, erklärt Schwelm das Konzept. „Dabei wollen wir niemanden unter Druck setzen. Es gibt Menschen, die ganz produktiv sind und hier jeden Monat neue Sachen vorstellen. Andere hören lieber zu, und auch das ist vollkommen okay. Denn eigene Texte sind etwas Intimes und Persönliches, da ist es verständlich, dass die Aufregung vor dem ersten Vortragen groß ist“, so der 55-Jährige. Im inklusiven Clubs müsse sich aber niemand zieren: „Man meint ja immer, man werde aufgefressen. Dabei herrscht hier ein ganz respektvoller und wertschätzender Umgang untereinander“, so der Kursleiter.

Wer sich selbst überzeugen will, kann sich der kreativen Gruppe anschließen: Das Angebot findet an jedem dritten Mittwoch des Monats von 16.30 bis 18 im Makerspace der Stadtbibliothek am Neumarkt statt – nächster Termin ist also am kommenden Mittwoch, 16. November. Die Teilnahme ist kostenfrei.

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