Prof. Dr. Günter Krings MdB (Foto: Tobias Koch)
Anzeigen

Mönchengladbach/Berlin. Seit annährend einem Jahr tobt ein skrupelloser Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Wir erleben das brutale und rücksichtlose Verhalten eines Autokraten, der versucht, seine Machtphantasien mit Gewalt durchzusetzen. Dabei unterdrückt er die Proteststimmen seines eigenen Volkes, der Opposition und sämtlicher demokratischer Nachbarländer. Leichen von ukrainischen Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, Panzerwracks und geplünderte Häuser säumen seit dem 24. Februar 2022 den Weg der russischen Armee. Die Bilder von Butscha sind uns allen noch im Kopf. Angaben von Bundesjustizminister Marco Buschmann zufolge, sind bis dato an die 45.000 Kriegsverbrechen dokumentiert (Stand: Januar 2023). Kurzum: Russland verstößt eklatant gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker und stellt elementare Werte der westlichen Welt in Frage.

Dieses menschenverachtende Verhalten der russischen Führung muss geahndet werden. Täten wir dies nicht, bliebe nicht nur das den Opfern angetane Unrecht und das erlittene Leid der vielen Millionen Ukrainer ungesühnt, wir würden auch einen Anreiz für andere Staaten schaffen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Bleibt die Frage nach dem ‚Wie‘: Wie kann die Aggression Russlands gegen das ukrainische Volk, wie kann die Planung und Ausführung eines Angriffskrieges geahndet werden? Wie können die Verantwortlichen, allen voran Staatschef Wladimir Putin, zur Rechenschaft gezogen werden? Die Frage ist klar, die Antwort aus völkerrechtlichen Gründen jedoch schwierig und Vertreter aus Politik und Rechtswissenschaft kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat seine Ermittlungen bereits im März 2022 aufgenommen. Allerdings sind seine Befugnisse beschränkt. Denn der IStGH, der seine juristische Grundlage im multilateralen Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 findet, kann zwar russische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf ukrainischem Gebiet verurteilen. Der Straftatbestand des Verbrechens der Aggression, also der Planung oder Ausführung des Angriffskrieges, kann dagegen nicht vom IStGH verhandelt werden. Denn weder die Ukraine noch die Russische Föderation haben das Römische Statut und seine Änderungen im Zusammenhang mit dem Verbrechen der Aggression ratifiziert. Gemäß Art. 15 des Statuts kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression aber nicht ausüben, wenn das Verbrechen von Staatsangehörigen eines Staates (oder auf dem Territorium eines Staates) begangen wurde, der nicht Vertragspartei des Statuts ist. Nur über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in dem aber Russland als ständiges Mitglied über ein Vetorecht verfügt, könnte eine Befassung erreicht werden. Dieses Dilemma zeigt, wie dringend erforderlich eine Reform des Völkerrechts wäre.

Ich selbst habe mich bereits kurz nach Ausbruch des Krieges, im März 2022, einer internationalen Initiative angeschlossen, denn für mich ist die Antwort eindeutig: Wir brauchen ein Sondertribunal, einen ad hoc einberufenen Strafgerichtshof der Vereinten Nationen, der eingerichtet werden kann, um die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord in einem bestimmten Konflikt aufzuklären. Bisher wurden Sondertribunale zur Verfolgung der Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien (1993), in Ruanda (1994), in Kambodscha (2003) und im Libanon (2005) einberufen. Ein solches Sondertribunal fordern auch die Ukraine selbst und viele weitere Länder, darunter Estland, Lettland, Litauen, Tschechien und die Niederlande, aber auch das Europäische Parlament, der Europarat, die parlamentarischen Versammlungen der OSZE sowie die Nordatlantikpakt-Organisation.

Ich begrüße, dass sich jetzt auch endlich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Den Haag und Bundesjustizminister Marco Buschmann dieser Forderung angeschlossen haben. Zu lange hat sich die Bundesregierung in dieser Frage weggeduckt – wie so oft in letzter Zeit. Doch gerade Deutschland darf sich – auch aufgrund seiner Geschichte – seiner Verantwortung nicht länger entziehen. Wir wollen keine Lippenbekenntnisse mehr. Deutschland muss in der EU und in der UNO zum Treiber für die Einrichtung eines Sondertribunals werden; denn die Völkergemeinschaft muss nicht nur die vielen einzelnen Kriegsverbrechen vor Gericht bringen, sondern auch das Kriegsverbrechen, das Verbrechen der Aggression, das, wie es schon im Nürnberger Urteil gegen die NS-Kriegsverbrecher 1946 hieß – „alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt“.

 

Ein KlarKlick von Prof. Dr. Günter Krings MdB, Mönchengladbach – rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Vorsitzender der NRW-Landesgruppe der CDU/CSU-Fraktion, Vorsitzender des Bundesarbeitskreis Christlich Demokratischer Juristen, Vorstandsmitglied der CDU Mönchengladbach

Anmerkung der Redaktion: Unter KlarKlick versteht die LokalKlick-Redaktion Gastkommentare, die zur gesellschaftlichen Diskussion führen. Sie geben nur die Meinung des Gastkommentatoren wieder und sind nicht unbedingt die Meinung der Redaktion.

Beitrag drucken
Anzeige