Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus in der Aula der Scharoun-Schule. Rede von Bürgermeister Werner Arndt und Gast Johann Wessels mit seinem "Abrahamsohn-Kleiderbügel" (Foto: Torsten Janfeld/ © Stadt Marl)
Anzeigen

Marl. Stadt erinnert am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus besonders an das Schicksal von Rolf Abrahamsohn

Die Stadt Marl hat am Freitag (27.1.) in einer bewegenden Feier an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. In der Aula der Scharounschule stand das Schicksal von Rolf Abrahamsohn im Mittelpunkt. Schülerinnen und Schüler veröffentlichten mit ihren Beiträgen rührende und wichtige Botschaften.

Die Veranstaltung begann am Nachmittag mit einem ökumenischen Gottesdienst, gehalten von Pfarrer Roland Wanke (esm) und Pastoralreferent Dr. Philipp Winger (Heilige Edith Stein). Sie erinnerten an das Leben von Rolf Abrahamsohn und riefen zum Gedenken an die im Holocaust ermordeten Marlerinnen und Marler auf. Roland Wanke betonte die große Leistung Rolf Abrahamsohns, der seine Geschichte immer wieder erzählt hatte, getrieben von einem Schuldgefühl den Toten gegenüber. „Was für eine Verpflichtung, was für eine Last“, so Wanke. Pia Kretschmann eröffnete die Gedenkfeier auf der Querflöte und verknüpfte durch ihr Spiel die verschiedenen Programmpunkte.

Appell des Bürgermeisters gegen das Vergessen

Bürgermeister Werner Arndt erinnerte in seiner Ansprache nicht nur an die großen Leistungen Rolf Abrahamsohns, sondern betonte auch die Wichtigkeit des Engagements der Jugend für die Erinnerungsarbeit. Das Stadtoberhaupt dankte allen, die gegen das Vergessen arbeiten. „Das Erinnern und die Bereitschaft, unsere Vergangenheit anzunehmen, sind entscheidend“, so Arndt. „Dabei geht es nicht um richtige oder falsche Schuldzuweisungen, sondern darum, dass aus der Erinnerung Verantwortung in der Gegenwart und für die Zukunft erwächst.“ Werner Arndt teilte eine Erinnerung mit dem Publikum: „Rolf Abrahamsohn erzählte mir, wie er in schlaflosen Nächten stundenlang mit dem Auto herumfuhr oder Wandteppiche knüpfte.“ „Seine Stimme fehlt mir, fehlt uns allen sehr.“ Überraschend lud Werner Arndt Johann Wessels, einen Landwirt aus Polsum, auf die Bühne ein. Dieser brachte ein Familienerbstück mit, einen etwa 100 Jahre alten Kleiderbügel aus Holz mit der Aufschrift „Kaufhaus Abrahamsohn, Marl“. Seine Großeltern hatten dort einen Anzug gekauft.

Nachricht aus Herzliya

In einer Videobotschaft grüßte Halina Birenbaum, Auschwitz-Überlebende und Bürgerin der Marler Partnerstadt Herzliya in Israel, die Marler Bürgerinnen und Bürger und verlas ein selbstverfasstes Gedicht: „Ich war nur ein Korn, ein Stäubchen, […], aber ich war ein Tonband, das mit einem Gedächtnis ausgestattet ist.“ Genau wie Rolf Abrahamsohn hatte auch sie mehrmals Marler Schülerinnen und Schüler besucht und von ihren schrecklichen Erlebnissen berichtet. Die Anti-Rassismus-AG des Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasiums (ASGSG) führte ein Szenenbild zum Thema „Gedanken zur Reichspogromnacht“ auf. Darin versetzten sich die Schülerinnen in die Lage und die Gedanken der Familie Abrahamsohn und eines SA-Mannes, der an dem Angriff auf die Familie am 9. November 1938 beteiligt war.

Eindrücke aus Buchenwald

Die Jugendlichen aus dem Leistungskurs Geschichte des Gymnasiums im Loekamp griffen verschiedene Aspekte aus ihrem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald auf. So analysierten zwei Schülerinnen die Häftlingskleidung, die den Menschen ihre Individualität und ihre Privatsphäre geraubt hat. Ein Mitschüler erzählte eine Geschichte von der Rettung eines kleinen Jungens durch andere Häftlinge, die damit zeigten, dass Menschen auch in den schlimmsten Zeiten ihre Humanität nicht verlieren müssen. Ein weiterer Schüler zeigte die enormen Dimensionen der perfiden Tötungsmechanismen der Nationalsozialisten, dargestellt am Bild der Verbrennungsöfen. Eine Zeichnung eines Gefangenen deuteten die Jugendlichen als Symbol der Unzerstörbarkeit der künstlerischen Freiheit, der Freiheit des Geistes und der Zuflucht in die Kunst.

Rolf Abrahamsohn als Zeitzeuge

Der Zusatzkurs Geschichte der Willy-Brandt-Gesamtschule zeigte ein Interview mit zwei Schülerinnen, die von ihren Erfahrungen mit Rolf Abrahamsohn als Zeitzeugen berichtet hatten. „Wir waren persönlich viel betroffener als vor der Begegnung und fühlten die Distanz zum Thema Holocaust schwinden. Wir waren schockiert über das, was er berichtete und dankbar für die Erfahrung“, so die Schülerinnen. Rosa und Rusef Alkousa von den Kulturmäusen e.V. trugen einen Brief vor, den sie mit anderen syrischen Kindern und Jugendlichen an Rolf Abrahamsohn geschrieben hatten: „Wir bewundern deinen Mut und danken dir, […] wir wünschten, das wäre alles nicht passiert.“

Friede für alle

Zum musikalischen Abschluss spielte die „Music forever AG“ des ASGSG den Friedensgruß „Hevenu shalom alechem“ / „Wir wollen Friede für alle“ auf Klavier, Keyboard, Gitarre, Querflöte und Saxophon. Cengiz Caliskan, Vorsitzender des Integrationsrates, betonte zum Schluss den großen Verlust, den der Tod Rolf Abrahamsohns bedeutet, aber auch die Inspiration, die er darstellt: „Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, eine bessere Zukunft zu erschaffen.“

Bürgermeister Werner Arndt lobte insbesondere das Engagement der jungen Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Lehrerinnen und Lehrer: „Ihr habt unsere Herzen erreicht. Es war eine bewegende und wichtige Veranstaltung. Friede für uns alle!“

Beitrag drucken
Anzeige