Schiedsfrau Hildegard Guth (Foto: André Grabowski / Stadt Bochum, Referat für politische Gremien, Bürgerbeteiligung und Kommunikation)
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Bochum. Wenn es um Konflikte unter Nachbarn geht, gibt es kaum jemanden, der dazu nicht auch eine Geschichte beitragen kann. Mal wird die Nachtruhe frei interpretiert, die Weihnachtsbeleuchtung könnte auch auf einer Kirmes Erfolg haben oder – ganz klassisch – es ist etwas mit der Gartenhecke. Dass der Lösungsweg, um Streitigkeiten unbürokratisch beizulegen, ebenfalls in der Nachbarschaft liegt, das wissen nur die wenigsten.

„Wenn ich so zurückdenke, die ersten Verhandlungen, die waren anfangs schon herausfordernd. Aber jetzt ist das sozusagen ein Heimspiel – im wahrsten Sinne des Wortes“, erzählt Hildegard Guth.

In ihrem Wohnzimmer vermittelt die Schiedsfrau bei allen Streitigkeiten, die das Zusammenleben im Stadtbezirk so mit sich bringt. Dazu gehören beispielsweise Hausfriedensbruch, Beleidigung oder Sachbeschädigung. Kurz gesagt sind Schiedspersonen Streitschlichterinnen und Streitschlichter vor Ort. Wer sich bei einem Konflikt um eine Einigung bemühen möchte, kann sich an sie wenden. Möchte man bei Streitigkeiten vor dem Amtsgericht klagen, führt sogar kein Weg an ihnen vorbei.

„Das ist in NRW so vorgeschrieben. Man muss erst versuchen, sich bei einer Schiedsperson zu einigen. Klappt das nicht, gibt es von mir eine Erfolglosigkeitsbescheinigung. Damit kann man dann beim Amtsgericht klagen“, meint Guth, eine lebenslustige Frau. Wir sitzen an einem rustikalen Holztisch – das Herzstück des Wohnzimmers –, die Schrankwand im Hintergrund ist bunt gefüllt mit Büchern, das Porzellan liebevoll eindekoriert, die Verhandlungsunterlagen stets griffbereit. „Aber bei mir hat man eine günstige Alternative zum Gerichtsverfahren. Und noch ein Vorteil: Hier können sich die Parteien prinzipiell auf alles einigen, denn ich kann ja kein Recht sprechen, ich bin Mediatorin“, sagt sie, „anders ist das vor Gericht, der Richter oder die Richterin müssen sich an das Gesetz halten, ohne Ausnahme. Aber hier kann man vereinbaren, was man will. Von mir aus auch, dass die Tulpen grün sind anstatt blau. Das spielt alles keine Rolle, hier geht es um die ganz persönliche Einigung.“

Zum Schiedsamt kam Hildegard Guth, verwitwet und Mutter zweier erwachsener Kinder, vor über 18 Jahren. Zuvor war sie bereits neben ihrem Beruf als Verwaltungsleiterin bei der Kirche ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge tätig – eine gute Vorbereitung, wie sich dann herausstellte: „Dort habe ich gelernt, im Gespräch auf Menschen zuzugehen“, erklärt sie. Als sie eine neue ehrenamtliche Aufgabe suchte, kam durch Zufall der Hinweis eines Bekannten: „Der war bereits Schiedsmann und meinte, das müsstest du doch mit deinem Hintergrund können“, erzählt Guth. Darauf folgte die Bewerbung beim Rechtsamt, später die Einladung zum Vorgespräch und verschiedene Schulungen. Dort lernen künftige Schiedspersonen Grundlagen der Gesprächsführung, üben die Mediation und erhalten einen Einblick, welche Streitigkeiten auf sie zukommen könnten.

Mittlerweile kann Hildegard Guth auf eine lange Laufbahn als Schiedsfrau sowie zahlreiche Fälle zurückblicken – immer individuell und niemals langweilig. „Streit kommt meistens da auf, wo zwei verschiedene Lebensrealitäten aufeinanderprallen“, erklärt sie. Der Ablauf eines Gesprächs ist dabei anfangs immer gleich: „Zuerst legen alle erstmal ihren Personalausweis auf den Tisch. Dann lasse ich zu Beginn immer den Gegner sprechen. Denn die andere Seite hat sich ja bereits bei mir geäußert. Ja, und dann fangen die natürlich sofort an zu schimpfen“, erzählt sie und lacht, „die verschiedenen Ansichten fliegen hin und her und ich moderiere das Gespräch. Das lasse ich mir auch nicht aus der Hand nehmen.“ Wenn es verbal ab und zu mal hitziger wird, nehme sie sich zurück: „Manchmal hilft es ja auch, seinen Frust einmal rauszulassen. Was hier am Tisch passiert, bleibt auch hier.“

Trotzdem ist ihr Ziel, bei jedem Gespräch eine Einigung zu erreichen. Sind die Fronten nicht bereits verhärtet und die Parteien aufgeschlossen, stehen die Chancen gut: „Mir ist wichtig, dass die Parteien hier rausgehen und mit dem, was sie unterschrieben haben, leben können“, sagt Guth und ergänzt, „eine Einigung hier ist immer leichter zu handhaben als ein richterlicher Beschluss. Hier kann jeder seine eigenen Wünsche mit einbringen. Ich sag dann immer: ‚Ein Vergleich funktioniert so: Jeder gibt was‘. Dann ist die Situation nicht so vergiftet.“ Das kann dann zum Beispiel folgendermaßen aussehen: wenn sich zwei Nachbarn darauf einigen, einen Baum zu fällen, kümmert sich die eine Person um die Fällarbeiten und die andere steuert etwas dazu bei.

Nach all den Jahren im Ehrenamt gibt es keinen Trick, der auf jeden Fall passt. Trotzdem helfe es manchmal, alle Beteiligten auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Entscheidend dabei: der Überraschungseffekt. Zum Beispiel bei einem klassischen Konflikt in einer Hausgemeinschaft: „Manchmal frag ich ganz direkt: ‚So, wer möchte ausziehen und wer möchte verkaufen?‘ Wenn ich das sage, ist erstmal Ruhe“, erzählt sie selbstbewusst, der Schlag der Wanduhr hallt durch das Wohnzimmer. „Da rechnet ja keiner mit, dass sowas von mir kommt. Zuerst ist das ein kleiner Schock. Aber wenn sich alle dann wieder der Konsequenzen bewusst sind, entsteht auch oft eine gute Basis für einen Kompromiss“, fügt Guth hinzu.

Bei einer Angelegenheit macht Frau Guth jedoch keine Kompromisse: Diskretion. Nach über 18 Jahren als Schiedsfrau gibt es zahlreiche kuriose Fälle, die im Gedächtnis bleiben. Darüber plaudern wird sie jedoch nicht – aus guten Grund: „Zuerst bin ich natürlich der Verschwiegenheit verpflichtet. Das nehme ich ernst. Und dazu wohnen die Personen, die sich an mich wenden, ja in meinem Bezirk. Da möchte niemand seine Geschichte wiedererkennen. Dafür gibt es hier einen geschützten Raum.“

Dass es direkt um die Ecke nicht nur einen Raum zur Aussprache, sondern auch ein spannendes Ehrenamt zu entdecken gibt, ist aber oft unbekannt: „Viele haben keine Ahnung, dass es so etwas wie Schiedspersonen überhaupt gibt, dabei ist das eine wirklich spannende Aufgabe,“ erzählt sie. Trotzdem ist klar: „Diesen Job können Sie nicht machen, wenn Sie Angst haben, sobald jemand reinkommt. Man muss auf Menschen zugehen können“, sagt sie lächelnd, „aber einen Teil bringt man mit und der Rest ist Erfahrung.“

Und Unterstützung sei jederzeit willkommen: „Vor allem für Jüngere ist das Amt interessant: Das ist ja manchmal auch anders, wenn man sein Anliegen mit jemanden aus seiner Generation bespricht. Hier bringen alle Lebenserfahrung mit. Ich genauso wie jüngere Nachfolgerinnen und Nachfolger. Aber es wäre doch spannend, das ein bisschen durchzumischen.“ Wer zwischen 25 und 74 Jahre alt ist, keine Vorstrafen hat und selbst im entsprechenden Bezirk wohnt, kann sich beim städtischen Rechtsamt als Schiedsperson bewerben.

Unser Gespräch zuhause bei Hildegard Guth hat gezeigt: Hier im gemütlichen Wohnzimmer, mit einem friedlichen Ausblick auf Garten und Nachbarschaft wird – kaum zu glauben – ganz schön viel gestritten. Doch dank Hildegard Guths Einsatz als ehrenamtliche Streitschlichterin im Viertel verträgt man sich auch in zahlreichen Fällen wieder.

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