Der ehemalige Bundestagsabgeordnete für den Kreis Viersen, Uwe Schummer, in Berlin im Regierungsviertel am Spreebogen (Foto: privat)
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Willich/Rhein-Ruhr. In der Gedenkstätte Auschwitz posieren Jugendliche mit Hitlergruß. Am 20. April feiern Schüler am Niederrhein „Führers Geburtstag“. – Zwei von vielen Beispielen aus 2023 die zeigen, wie die Gräuel des Naziterrors verblassen und Tabus gebrochen werden. 80 Jahre nach dem Ende in Trümmern und Verzweiflung sind die Augenzeugen der völkisch-braunen Diktatur weitgehend verstummt. Demokratie und Wohlstand gelten als gesetzt. Doch Demokratie ist kein Selbstläufer. Es waren meine Eltern die erzählten, wie Vater im Krieg „diente“ und Mutter ihren Bruder verlor. Oft trafen sie sich mit anderen Eltern, und wenn es spät wurde, kamen die Erzählungen „vom Krieg“. – Es war eine traumatisierte Generation, die Krieg erlebte, weil es „der Führer“ so wollte, der heute pubertär „gefeiert“ wird.

80 Millionen Tote, darunter sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens, die fabrikmäßig in Konzentrationslagern ermordet wurden, teilten die Welt für Jahrzehnte. Unsere Verantwortung bleibt. Nach der braunen Barbarei war Deutschland, wie es Friedrich Meinecke beschrieb, „ein ausgebrannter Krater der Machtpolitik.“ Initiiert von einem „Führer“, der erst Kinder in den Tod schickte, um dann selbst darin zu flüchten.

Extremisten und laue Demokraten

Not, Trümmer, Krieg und Vertreibung begannen nicht mit dem Krieg, sondern mit der Kumpanei autoritär-konservativer Kräfte mit den Nazis. Am 20. Januar 1933 wurde ihnen der Steigbügel gehalten. Hitler kam demokratisch an die Macht. Es waren weniger die Extremisten als laue Demokraten, die den Prozess der Barbarei Deutschlands in Gang brachten. Joseph Goebbels 1928: „Wir gehen in den Reichstag hinein um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren Waffen zu versorgen. Wir kommen nicht als Freunde. Wir kommen als Feinde. Wie der Wolf in die Schaferde einbricht.“ – Parallelen zu den Völkisch-Braunen unserer Zeit sind offenkundig, wenn der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck am 11. Mai 2023 in Spiegel-Online erklärt, dass ihn „die Reden eines Björn Höcke an Joseph Goebbels“ erinnern. Aktionen wie der Aufstand Berliner Verkehrsarbeiter von 1932 zeigen, wie Walter Ulbricht mit Joseph Goebbels Seite an Seite gegen die Demokratie agitierte. Links- und Rechtsextreme schaukelten sich gegenseitig hoch, taktisch standen sie gemeinsam gegen die demokratische Ordnung.

Wenn Nazisymbole heute als Provokation benutzt werden, dann ist dies sicher mangelnde Kenntnis der jüngsten Geschichte. Was schwerer wiegt, es ist fehlende Empathie gegenüber den Opfern. Dies zeigt aber auch die mangelnde Aufarbeitung des Scheiterns der ersten Demokratie auf deutschem Boden. Erst nach dem Fall der Mauer 1989 können wir diese Zeit gesamtdeutsch aufarbeiten. Demokratie ist kein rechnerisches Verfahren von Mehrheit und Minderheit. Sie ist eine Werteordnung, die wir nach den Irrungen der deutschen Geschichte durch Diktaturen und Kriege im Grundgesetz verankert haben. „Die Würde des Menschen“ zu schützen ist kein völkischer, sie ist ein humanistischer und auch christlicher Grundsatz.

Bezahlte Cyberkrieger, alternative Fakten

„Wir werden die Demokratie nicht verteidigen, wenn die Demokraten miteinander Krieg führen“, warnte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold schon 1950. Über Social Media haben sich in den letzten Jahren permanente Empörungswellen entwickelt. Die politische Kommunikation reduziert sich auf skandalisierende Verkürzungen oder, wie es ein US-Präsident formulierte, auf „alternativen Fakten“. Bezahlte „Cyberkrieger“ sitzen an ihren Laptops um Fakes und Hates zu verbreiten. Dabei entwickeln Likes ein eigenes Suchtpotential. Sind sie zu wenig, muss ich stärker provozieren. Die stärkste Provokation ist der Umgang mit den Naziverbrechen. Mehr Anstand unter den Demokraten, klare Begrenzung zu den Extremisten, sollte darauf die Antwort sein.

Demokratie ist einfach, sind die Zeiten leicht. Entwickeln sich Krisen werden Rufe nach einer starken Hand und einfachen Antworten laut. Angela Merkel und Peer Steinbrück zeigten dagegen bei der globalen Finanzkrise 2008 welche Wirkung gemeinsames Agieren entfaltet. Sie gaben den Menschen Sicherheit. Ihre  Finanzgarantie beruhigte die Menschen und so die Märkte. Wie wäre es uns ergangen, hätten sie sich wie derzeit die Ampelfraktionen öffentlich zerlegt? Wenn Regierende nur noch als „Ego-Trips“ wahrgenommen werden, wenden sich kritische Betrachter ab.

Für die demokratische Opposition ist wichtig, dass sie in der Sache hart argumentiert; doch den Blick auf einen Kompromiss nicht verliert. Sie ist die Regierung im Wartestand. Wenn nach dem Vorbild der USA ein geifernder Kulturkampf ausgetragen wird, der demokratische Wettbewerb krawalligen Kampagnen weicht, dann weicht auch das Vertrauen in eine wirkliche politische Alternative. Im politischen Trash-Wettbewerb siegen die Lauten, nicht die Guten.

Wandel mit Sicherheit

Wer die Menschheit retten will, der verliert schnell den Blick auf den Menschen. Ideologisierung führt zur Radikalisierung. Auf einmal ist jedes Mittel recht. Der Klimawandel ist offenkundig, dagegen anzugehen eine globale Aufgabe. Reduziert sie nicht auf Symbolthemen. Millionen Klimaflüchtlinge zeigen, wie sich die eine auf die andere Krise auswirkt. Deshalb brauchen wir Innovation und globale Kooperation um Fluchtursachen zu reduzieren. Wir haben eine humanitäre Verantwortung in einem gemeinsamen Europäischen Haus. Oder wie es Konrad Adenauer 1947 vor den Trümmern der Kölner Universität formulierte: „Ein guter Deutscher muss auch ein guter Europäer sein.“ Das Leben der Menschen im Land zu sichern ist die zweite Seite einer Medaille. Wir schützen die Opfer, nicht die Täter. Darin zeigt sich die klassische Aufgabe des sozialen und demokratischen Rechtsstaats. Den Wandel mit Sicherheit zu verbinden und mit einfachen Worten zu erläutern sorgt für Akzeptanz. Entfernt sich die Sprache der Politik von der Wirklichkeit der Menschen, wird sie nicht mehr gehört.

Werte, Wissen und Empathie erlebe ich dort am besten, wo ich zu Hause bin. Weder Schule noch Politik können diese Erfahrung ersetzen. Anstand und Haltung erlernen wir im täglichen Leben. Zeigen wir Haltung, wenn toxische Sprüche und Zeichen Menschen verunsichern oder gar bedrängen sollen. Die Geschichte zeigt: Eine Demokratie zu schützen geht am besten in einer Demokratie.

Von Uwe Schummer

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