Duisburg. Auf einem Friedhof im Duisburger Norden stellt sich ein Seelsorge-Team aus Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen der Pfarrei St. Johann regelmäßig für Gespräche zur Verfügung. Mit dabei haben sie einen kleinen roten Lieferwagen mit Kaffee, Tee, bequemen Sitzmöbeln – und reichlich Zeit.
Marienkäfer sind im November selbst auf naturnahen Friedhöfen ziemlich selten. Im Duisburger Norden ist das anders: Auf dem Friedhof an der Schwabenstraße in Marxloh macht auf dem kleinen Platz vor der Kapelle alle zwei Wochen ein knallrotes Exemplar Station, klappt seine Flügel auf und lässt wenig später verführerischen Tee- und Kaffeeduft verströmen. „Marienkäfer“ heißt das Kirchenmobil der katholischen Pfarrei St. Johann – ein kleiner „Ape”-Lieferwagen, der bei seinen Samstagnachmittag-Besuchen auf dem evangelischen Friedhof nicht nur warme Getränke, sondern immer auch ein paar Klappstühle, ein Team mit hauptberuflich und ehrenamtlich Seelsorgenden und viel Zeit zum Zuhören an Bord hat. Das passt gerade hier auf dem Friedhof gut, denn „hier haben die Leute mehr Zeit als zum Beispiel auf dem Markt“, sagt Schwester Mariotte Hillebrand. Auf den verschiedenen Märkten in Hamborn oder Neumühl machen sie regelmäßig Station – aber hier auf dem Friedhof, da sei die Atmosphäre eben anders als im Alltags-Einkaufsgewusel.
Schwester Mariotte gehört mit Schwester Ursula Preusser zur Ordensgemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern und zum Seelsorgeteam der Pfarrei St. Johann. „Bei unserem letzten Besuch habe ich hier mit Leuten darüber gesprochen, wie sie sich ihre eigene Grabstelle vorstellen“, berichtet Schwester Ursula. Manchmal gehe es auch um den letzten Trauerfall, der die Menschen noch bewegt, wenn sie auf den dicken, roten „Plauderstuhl“-Kissen Platz nehmen. Mit denen man auf den Möbeln aus dem Laderaum des „Ape“-Dreirads auch im November noch bequem unter freiem Himmel sitzen. Schwester Mariotte erzählt von dem Mann, der zweimal am Tag auf den Friedhof kam, um das Grab seiner verstorbenen Frau zu besuchen – und der sich auf einmal doch auf einen Kaffee am roten Kirchenmobil genähert hat und anfing, zu erzählen. „Manchmal ist dann halt doch Gesprächsbedarf da“, sagt die Seelsorgerin. Und manchmal ganz viel. Ein Team-Mitglied habe das Ganze aus der Entfernung beobachtet und gesagt. „Das war mein Nachbar, so viel hat der noch nie geredet.“ Vereinzelung und Einsamkeit seien im Duisburg Norden „ein Riesen-Thema“, sagt Schwester Ursula. Da bietet der Marienkäfer ein Stück unverbindliche Gemeinschaft auf Zeit. Auf eine Tasse Kaffee, oder zwei.
„Die Leute stoßen an, worüber sie sprechen möchten“
Nein, es gehe am fröhlich-roten Kirchenmobil auf dem Friedhof längst nicht immer nur um Trauer, Tod und Hinterbliebene, betonen Klemens Traut, der heute als Ehrenamtlicher dabei ist, und die beiden Ordensfrauen. „Egal, ob wir hier sind oder auf dem Markt: Wir sind immer mitten im Leben der Leute“, sagt Schwester Mariotte. „Und die Leute stoßen an, worüber sie sprechen möchten“, ergänzt Schwester Ursula. „Wir stehen hier nur rum und haben Zeit“. Das sei allerdings für einige ganz schön irritierend. „Mich hat letztens einer gefragt, welche Funktion ich denn hier habe“, sagt Traut. Mit der Rolle des „Einfach-so-Zuhörers“ konnte der Fragende offenbar nicht viel anfangen.
Das galt wohl auch für die drei US-amerikanischen Missionare, die sich das ungewöhnliche Kirchenprojekt von Schwester Ursula erst ausführlich erklären ließen, dann aber doch verwundert waren, dass weder Bibeln noch Flugblätter zur Ausstattung des Seelsorge-Fahrzeugs gehören. „Aber Sie bieten den Leuten doch Jesus Christus an?“, hätten die Männer schließlich gefragt, „Wir bieten ihnen Kaffee und Tee an, habe ich geantwortet“, sagt Schwester Ursula. Sie ist fest davon überzeugt: „Die Leute hier finden es gut, dass wir Ihnen nichts unterjubeln wollen.“ Da sein, Zeit haben, zuhören – das ist das Konzept. Und das sei ur-biblisch, sagt die Theologin Schwester Mariotte. „Auch Jesus war vor allem da, unter den Menschen.“
Zu diesen öffnen Kaffee und Tee manchmal den Zugang. Und dann sei Zuhören viel wichtiger, als immer gleich die richtigen Worte finden zu müssen, heißt es im Marienkäfer-Team. „Oft ist es für die Leute schon heilsam, bei uns einfach nur menschliche Nähe zu erfahren.“ So wie bei der Frau, die nur andeutete, dass sie beim Arzt eine schlimme Diagnose erhalten hat. „In dem Moment waren zu viele Leute hier, um das Gespräch zu vertiefen“, sagt Schwester Ursula. Aber es habe der Frau sichtlich gutgetan und sie gestärkt, einfach nur einen Moment dort zu sitzen und etwas weinen zu können. „Manchmal halten wir hier einfach nur gemeinsam mit den Leuten aus.“ Und wenig später geht es am Marienkäfer schon wieder heiter und fröhlich zu. Jetzt freuen sich zum Beispiel ein paar Friedhofsgärtner über einen perfekten Cappuccino. Eine kurze Pause, dann geht’s zurück an die Arbeit. „Wir sind mit der ,Ape‘ immer da, wo das Leben ist“, sagt Schwester Mariotte. Arbeit, Einkaufen, Arzt-Besuche, Schule, Familie und Freunde … – überall da gehören Tod und Trauer selbstverständlich mit dazu, aber eben nur als ein Teil des großen Ganzen.“
INFO: Marienkäfer sucht Unterstützung
Alle zwei Wochen ist das Kirchenmobil „Marienkäfer“ auf dem evangelischen Friedhof an der Schwabenstraße, das nächste Mal am Samstag, 16. November, von 15 bis 17 Uhr. Donnerstags steht es auf dem Altmarkt in Hamborn, freitags auf dem Hohenzollernplatz in Neumühl. Wer sich selbst als Gesprächspartnerin oder Kaffeekocher, „Ape“-Fahrer oder Tee-Bereiterin im Team engagieren möchte, kann sich bei Schwester Ursula Preusser melden. Alle Infos und Kontakte gibt es unter https://www.st-johann-duisburg.de/die-pfarrei/kirchenmobil/