Essen. Auf Station Agnes im Essener Elisabeth-Krankenhaus ist Walter Jansen „unser Goldstück“. Wenn der ehrenamtliche Klinikseelsorger einmal in der Woche durch die Krankenzimmer geht, hat er nicht nur ein offenes Ohr für Patientinnen und Patienten, sondern auch viel Zeit. Gerade jetzt im Advent gibt es viel zu besprechen.
Walter Jansen hat etwas, das im Krankenhaus meist Mangelware ist: Zeit. Immer donnerstags kommt er ins Essener Elisabeth-Krankenhaus und bietet sich auf Station Agnes als Gesprächspartner an. Der pensionierte Ingenieur ist ehrenamtlicher Krankenhausseelsorger – und gerade jetzt im Advent sind seine Dienste besonders gefragt: „Vor Weihnachten rückt bei vielen das Thema Einsamkeit in den Fokus“, sagt Jansen. Und selbst wer noch Kontakt zu Angehörigen hat – „wenn man so kurz vor dem großen Familienfest plötzlich durch Krankheit oder Unfall herausgerissen wird und hier im Krankenhaus landet, ist das für viele nicht einfach“. Aber dann kommt Jansen mit viel Zeit und offenen Ohren, damit die Menschen in den Krankenhaus-Zimmern das, was ihnen vielleicht schon seit Tagen durch den Kopf geht, einfach mal aussprechen können. „Bei diesen Gesprächen gibt’s keine Uhr“, sagt Jansen. Und nicht wenige sagen am Ende, dass ihnen das Gespräch gutgetan habe.
Über 40 Jahre lang war der Mülheimer Jansen in der Stahlindustrie tätig, von der Lehre in der Thyssen-Hütte in Duisburg-Beekerwerth über das Abi auf dem zweiten Bildungsweg und das Ingenieurstudium bis in die höheren Etagen des ThyssenKrupp-Konzerns. Ende 2020 war Schluss, Jansen im Ruhestand – und offen für neue, ganz andere Herausforderungen. „Meine Cousine hat mir damals den Flyer mit den Infos zum neuen Kurs für Ehrenamtliche in der Krankenhausseelsorge mitgebracht.“ Wie es in einer Klinik läuft, wusste er damals nicht nur als Patient, sondern auch über verschiedene Angehörige, die in Krankenhäusern arbeiten. Und ehrenamtliche Seelsorge-Erfahrungen hatte er bereits in der Arbeit mit Kommunionkinder-Eltern in seiner Mülheimer Heimatgemeinde St. Mariä Geburt gesammelt. Also meldete er sich zu der umfangreichen, fünf Wochenenden umfassenden Qualifizierung an – und engagiert sich seit Mai 2022 im Essener Elisabethkrankenhaus. Nach ein paar Monaten „an der Hand“ der hauptberuflichen Seelsorgerin Petra Kerperin, wie Jansen beschreibt, „dann hat sie mich allein laufen lassen“. Mittlerweile „ist er unser absolutes Goldstück“, sagt Stefanie Schnurer, die die Pflegekräfte auf Station Agnes koordiniert. „Sein Einsatz ist eine so große Bereicherung für uns.“
Sein Dienst beginnt oft in der Kirche: 10 bis 15 Minuten, dann ist er gut vorbereitet
Mit Schnurer oder den anderen Pflegekräften auf der kardiologischen Station stimmt sich Jansen jeweils vor seinen Besuchen ab. „Sie sagen mir, ob es Patienten gibt, die ein besonderes Thema haben oder einen konkreten Gesprächswunsch – oder ob ich bestimmte Patienten nicht besuchen kann, weil sie zum Beispiel in einem Isolierzimmer liegen.“ Jansens Dienst beginnt aber woanders: „Meist gehe ich erst in die Kirche.“ Da sitzt er dann 10 oder 15 Minuten, bis er sich gut vorbereitet fühlt. Oft gibt es auch noch ein Gespräch mit Petra Kerperin: neueste Informationen aus der Klinik, die auch für den Teilzeit-Seelsorger wichtig sind, bevor er auf Station Agnes die erste Tür öffnet.
Seelsorge? „Oh danke, aber so weit ist es bei mir noch nicht.“
„Guten Tag, ich komme von der Seelsorge des Krankenhauses“, lautet dann Jansens Begrüßung – und eine häufige, oft humorig gemeinte Antwort darauf kennt er natürlich auch schon: „Oh danke, aber so weit ist es bei mir noch nicht.“ Dann macht er deutlich, dass er nicht nur für die ganz großen, existenziellen Themen da ist, sondern dass man mit ihm „über Gott und die Welt“ sprechen kann. Manche nehmen das Angebot an, andere winken ab – und Jansen geht ein Bett weiter. „Wir drängen uns niemandem auf“, betont er. Allerdings sei in der Seelsorge des Elisabeth-Krankenhauses ein festes Prinzip, „dass wir zu den Menschen hingehen – bei uns muss sich niemand anmelden und um einen Besuch bitten,“ betont er. Das funktioniert in der großen katholischen Klinik wohl auch dank einer vergleichsweise guten personellen Seelsorge-Ausstattung: Fünf Ehrenamtliche – zwei katholische, zwei evangelische und ein Muslim – unterstützen die beiden hauptberuflichen Seelsorgenden Petra Kerperin und Jens Schwabe-Baumeister. Zudem betont Jansen den intensiven ökumenischen und interreligiösen Austausch, nicht nur im Elisabeth-Krankenhaus, sondern auch mit anderen Klinik-Seelsorgenden.
Kranke sorgen sich um Hilfsbedürftige daheim
Oft geht es bei den Gesprächen im Krankenzimmer nicht nur um „Gott und die Welt“, sagt Jansen und berichtet von Seniorinnen und Senioren, „die kommen krank ins Krankenhaus und haben oft zuhause den Ehepartner, um den sie sich sonst kümmern.“ Dann kreisen im Krankenbett die Gedanken nicht nur um die eigene Krankheit, sondern auch um hilfsbedürftige Liebe daheim. „Oder wir haben hier Menschen, die sind 50 Jahre oder noch länger verheiratet und erfahren hier, dass diese gemeinsame Zeit bald zu Ende geht. Das bedrückt schon sehr, da fangen dann auch Männer an zu weinen“, berichtet der Seelsorger. Manchmal gebe es dann aber auch in solch‘ schwierigen Situationen kleine Lichtblicke. So sei es letztens gelungen, dass ein Senior, der nur noch wenige Wochen zu leben gehabt hat, durch eine große Kraftanstrengung vieler Beteiligter für diese letzte Zeit mit seiner Frau in eine Senioreneinrichtung ziehen konnte.
Der nahe Tod ist immer wieder ein Thema
Gerade der Umgang mit dem nahen Tod sei immer wieder ein Thema in seinen Gesprächen, sagt Jansen. Da gebe es Menschen wie die ältere Frau, „die ganz klar mit sich und der Welt im Reinen war. Die hat ihre Familie eingeladen, mich um den Sterbesegen gebeten und ist dann wenig später friedlich eingeschlafen.“ Andere wären sehr unruhig und würden sich viele Fragen stellen, wenn sie wüssten, dass sie bald sterben werden. „Sie haben mir gerade noch gefehlt!“, habe ihm eine Frau ziemlich brüsk entgegengeworfen, als er sich als Klinikseelsorger vorgestellt hat. „Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass ihr kurz zuvor bei der Visite erklärt worden war, dass sie einen Lungentumor hat. Trotzdem sind wir dann aber doch noch in ein gutes Gespräch gekommen.“ Und für Jansen ist heute klar: Er hatte dieser Frau tatsächlich noch gefehlt.
Anruf aus der Zentralen Notaufnahme
Doch es sind nicht nur Tod und Trauer, die die acht bis zehn Gespräche dominieren, die Jansen an einem Donnerstagvormittag absolviert. „Es geht um das ganze Leben!“ Klar dreht sich vieles um Krankheiten, aber auch um Beziehungen, Partnerschaften, Kinder, dazu Freundschaften, die Arbeit, der Ruhestand… Jansen blickt in alle möglichen Leben und die verschiedensten Kulturen – und bewahrt alle Namen und alle anderen Details in seinem Herzen. Verschwiegenheit ist ein wichtiges Prinzip seiner Arbeit. Diese Arbeit ist auch für die Klinik insgesamt eine wichtige Ressource, nicht nur für Station Agnes: Als Petra Kerperin im Urlaub war, hat die Zentrale Notaufnahme bei Walter Jansen angerufen und um Hilfe gebeten. „Da war ein Patient, der sich von allen verfolgt fühlte.“ Jansen fuhr zur Klinik, hatte Zeit, konnte zuhören – und so die Situation entspannen.
„Man muss das ertragen können, was die Leute manchmal auf einen niederprasseln lassen“, nennt Jansen eine hilfreiche Eigenschaft für ehrenamtliche Seelsorgende in der Klinik. Ihm helfe da seine Erfahrung aus vier Jahrzehnten in der Stahlindustrie mit den verschiedensten Typen von Menschen und einer oft klaren, manchmal auch derben Sprache. Hinzu kommt der regelmäßige Austausch mit Petra Kerperin. „Ich fühle mich hier wirklich als Teil des Teams“, betont Jansen – nicht nur angesichts seiner Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge, sondern auch hinsichtlich der Station Agnes. So habe er sich das immer vorgestellt, als er sich auf dieses Ehrenamt vorbereitet habe. „Dieser Rückhalt ist für mich sehr wichtig!“ Daneben gibt es die Zeit, die er sich in der Stille der Kirche nimmt – und seine Frau daheim. „Die engagiert sich auch ehrenamtlich, aber als Notfallseelsorgerin.“ Zwei verwandte und doch ganz unterschiedliche Aufgaben – die vielleicht gerade deshalb reichlich Gesprächsstoff an Jansens‘ Küchentisch bringen.
INFO: Ehrenamtliches Engagement in der Krankenhausseelsorge
Wer sich ebenfalls für ein ehrenamtliches Engagement in der Krankenhausseelsorge interessiert, kann bei Gemeindereferent Johannes Schoenen, Leiter des Projekts „Ehrenamtlich in der Krankenhausseelsorge im Bistum Essen“, mehr erfahren: Tel.: 0208-6957312, E-Mail: johannes.schoenen@bistum-essen.de