Bottrop/Oberhausen. Beim 31. Karfreitagskreuzweg auf der Halde Haniel hat Bischof Franz-Josef Overbeck vor rund 700 Gläubigen vor einer wachsenden Gewaltbereitschaft gewarnt. „Wo Gewalt herrscht und die Sprache des Friedens und der Versöhnung zum Schweigen gebracht ist, herrscht auch keine Vernunft mehr.“
Bei nasskaltem Nieselregen haben am Karfreitag-Vormittag rund 700 Menschen gemeinsam mit Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck den traditionellen Kreuzweg auf der Halde Haniel gebetet. Vom Gelände des ehemaligen Bergwerks an der Stadtgrenze von Bottrop und Oberhausen zogen sie singend und betend den Weg hinauf auf die Bergehalde mit den 15 Stationen entlang, die den Leidensweg Jesu Christ von seiner Verurteilung bis zur Kreuzigung beschreiben. Zugleich steht der Kreuzweg in Bottrop für die enge Verbindung des christlichen Glaubens mit dem Ruhrbergbau: Jede Station zeigt ein Bild aus der Leidensgeschichte Jesu und ein Element aus der Arbeitswelt des Bergbaus. In diesem Jahr hatte der Verein „Karfreitagskreuzweg auf der Halde“ zu 31. Kreuzwegprozession eingeladen, die unter anderem von der RAG-Stiftung unterstützt wird.
„Dieser Kreuzweg von Tisa von der Schulenburg ist einfach einmalig“, sagt Martina aus Bottrop. Für sie sei der Karfreitagskreuzweg eine feste Tradition: „Wir sind jedes Jahr hier, es ist sehr schön, in einer so großen Gemeinschaft den Kreuzweg zu beten.“ Im Gegensatz zu ihr ist Teenager Justus heute zum ersten Mal dabei: „Ich hab‘ früher beim Kinderkreuzweg in unserer Kirche mitgemacht. Das war immer sehr schön, deswegen will ich heute mal diesen Kreuzweg ausprobieren.“ Elke aus Viersen hat den Haldenkreuzweg „mal zufällig beim Spazierengehen entdeckt“. Rein aus Neugier sei sie dann im vergangenen Jahr erstmals am Karfreitag mitgelaufen. „Da hat mich die Gemeinschaft so begeistert, dass ich in diesem Jahr wieder dabei bin.“
Bischof kritisiert politische „Deals“, bei denen die Folgen keine Rolle spielen
In seiner Predigt bei der anschließenden Andacht auf dem Haldenplateau rief Bischof Overbeck angesichts einer wachsenden Gewaltbereitschaft zu einem entschiedenen Eintreten für Frieden, Menschenwürde und Demokratie auf. „Wir leben in gewalttätigen Zeiten“, sagte Overbeck. Gewalt scheine gerade für Potentaten und skrupellose Machthaber „das einzige Mittel der Durchsetzung ihrer brachialen und oft ethisch unannehmbaren Ziele“. Doch wo Gewalt herrsche „und die Sprache des Friedens und der Versöhnung zum Schweigen gebracht ist, herrscht auch keine Vernunft mehr, Dämme des Verstehens brechen, die Menschenwürde wird mit Füßen getreten.“ Ausdrücklich kritisiert Overbeck, dass skrupellose Ziele „mit so genannten ,Deals‘ erreicht werden, bei denen die oft mit unerträglichen Ungerechtigkeiten verbundenen Folgen keine Rolle spielen“.
In der Diskussion um Deutschlands Verteidigungsbereitschaft machte Overbeck, der auch der katholische Militärbischof für die deutsche Bundeswehr ist, auf die oft synonym verwendeten Begriffe der „Kriegstauglichkeit“ und „Kriegstüchtigkeit“ aufmerksam. „Beide Begriffe sind erschreckend. Sie legen schonungslos offen, wie bedrohlich die Lage ist. Aber es nützt nichts, sich den Realitäten zu verweigern und die Bedrohungslage zu ignorieren“, so Overbeck. Der Begriff „Kriegstüchtigkeit“ sei aus christlicher Sicht allerdings problematisch. Tüchtigkeit sei eine Tugend, die ein positives Verhältnis zu einer bestimmten Sache zum Ausdruck bringt. Overbeck stellt deshalb klar: „Wir streben keinen Krieg an und wollen ihn auch nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Als Christinnen und Christen wollen wir friedenstüchtig sein.“ Deshalb sei es besser, von Kriegstauglichkeit zu reden, also der Fähigkeit, einen Krieg führen zu können, ohne ihn führen zu wollen. Vielmehr müsse zugleich alles daran gesetzt werden, ihn zu verhindern. Es gehe also darum, gesellschaftliche Akzeptanz dafür aufzubauen, dass „Friedenstüchtigkeit“ und „Kriegstauglichkeit“ keinen Widerspruch darstellen.
„Die Soldatinnen und Soldaten müssen in der Lage sein, im Ernstfall unsere Freiheit zu verteidigen“, betonte der Bischof: „Wir müssen ,kriegstauglich‘ werden – um ,friedenstüchtig‘ zu bleiben.“
INFO: Karfreitagskreuzweg auf der Halde Haniel
Die 15 Kreuzwegstationen, die von der verstorbenen Künstlerin und Ordensfrau Tisa von der Schulenburg (Schwester Paula), dem Oberhausener Künstler Adolf Radecki und Auszubildenden des Bergwerks Prosper-Haniel geschaffen wurden, gelten als einzigartig in ihrer Art und Präsentation. Jede Station besteht aus einer Tafel mit je einer Darstellung der Leidensgeschichte Christi und einem Element aus der Arbeitswelt des Bergbaus. Ergänzt werden die Darstellungen durch Schrifttafeln mit Aussagen bekannter Persönlichkeiten der Kirche.
Um den Kreuzweg und die Tradition der Karfreitagsprozession auch nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus dauerhaft zu sichern, haben 2018 Vertrerterinnen und Vertreter der RAG-Stiftung, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Bistum Essen, der katholischen Stadtdekanate Bottrop und Oberhausen und des Bistums Essen den Verein „Karfreitagskreuzweg auf der Halde e. V.“ gegründet, der seitdem die Karfreitagsprozession veranstaltet und sich um den dauerhaften Erhalt der Kreuzwegstationen kümmert. So mussten im vergangenen Jahr nach massiven Vandalismus-Schäden zahlreiche Stationen durch den Verein aufwendig instand gesetzt werden. Seit dem Herbst kann der Kreuzweg nun wieder begangen werden – nicht nur an Karfreitag, sondern während des ganzen Jahres. Weitere Informationen zum Kreuzweg und zum Verein: https://kreuzweghaniel.de/