Schwester Martina und Schwester Jakoba (Foto: Nicole Cronauge | Bistum Essen)
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Essen. Beide sind erst über Umwege zum Ordensleben gekommen, doch nun gehören Martina Werthmann und Jakoba Huppertz schon 65 Jahre zur Gemeinschaft der Franziskusschwestern der Familienpflege. Ihre Geschichte erzählt, wie aus einer Schmuckverkäuferin eine Pflegeschulleiterin wurde und aus einem „Rabaukenkind“ erst eine Opernliebhaberin und dann eine Familienpflegerin. Und sie erzählt, wie beide Seniorinnen nun in Essen Teil eines kleinen, aber fröhlichen Senioren-Klosters sind.

Als sie 1960 in ihren Orden eintreten, ist der Zweite Weltkrieg gerade 15 Jahre vorbei, Konrad Adenauer noch Bundeskanzler und in den katholischen Messen Latein die vorherrschende Sprache. Zusammen mit zwei weiteren Ordensschwestern im Bistum Essen feiern die beiden Franziskusschwestern der Familienpflege, Martina Werthmann (Jahrgang 1936) und die ein Jahr jüngere Jakoba Huppertz, in diesem Jahr ihr 65-jähriges Ordensjubiläum. Gut gelaunt und ein bisschen aufgeregt sitzen die beiden Seniorinnen im Eingang des Mutterhauses in Essen-Bedingrade. Ihre Generaloberin Schwester Judith Schmidt – aktuelle Chefin des 1919 in Essen gegründeten Ordens – hat sie ermutigt, zu ihrem Jubiläum aus ihren fast 90-jährigen Lebensgeschichten zu erzählen.

Schwester Martina stammt aus Essen und wächst nach dem Krieg in der zerbombten Innenstadt auf. Mit der Pfarrjugend spielt sie da auch schon mal in den Trümmern des Doms. Und obwohl sie „gut katholisch“ aufwächst, „habe ich nie an ein Kloster gedacht. Ich wollte heiraten und eine Familie gründen“, so ihr Lebensplan als Jugendliche. Auch einen möglichen Partner gibt es schon: „Mit 18/19 hatte ich einen Freund.“ Doch dieser Freund wird bald schwer krank und stirbt mit Anfang 20 an Krebs. Zu sehen „wie ein Mensch immer weniger wird“ und zugleich – so war die Zeit – kaum etwas über die tatsächliche Diagnose zu erfahren, sei für sie sehr schwer gewesen. „Ich habe mich da sehr an Gott geklammert, aber auch mit ihm gehadert. Not lehrt eben beten“, zitiert sie den bekannten Volksmund. Und sie nennt ein zweites kirchliches Sprichwort: „Gott schreibt auf krummen Zeilen gerade.“ Denn über die Leidensgeschichte ihres Freundes lernt sie die Franziskusschwestern kennen, die sie auch nach dem Tod des jungen Mannes begleiten. Mit Anfang 20 beginnt Martina, die im Wirtschaftswunder-Ruhrgebiet in einem Uhren- und Schmuckgeschäft ihr Geld verdient, ehrenamtlich im Franziskus-Mutterhaus mitzuarbeiten. Darüber lernt sie die Gemeinschaft kennen und kommt immer stärker mit dem Thema Pflege in Kontakt. Vier Jahre nach dem Tod ihres Freundes tritt sie dann mit 24 Jahren dem Orden bei, der sich vor allem der Sorge um Familien verschrieben hat.

Oper oder Ordensleben?

Wie wirksam eine Familienpflegerin ist, habe sie schon als Kind erfahren, erzählt Schwester Jakoba im breiten Dialekt der gebürtigen Kölnerin. Nach der Rückkehr aus der Kinderlandverschickung „hatten wir nichts, wir haben Steine geklopft und Häuser wieder aufgebaut“. Und als dann die Mutter der acht Geschwister krank wird – Jakoba ist die dritte –, „hat sich eine Fürsorgerin um uns gekümmert“. In einer Jakoba fast unheimlichen Ruhe sei diese Schwester „mit uns fertig geworden, dabei waren wir Rabauken“. Viele Jahre später habe sie diese Ordensfrau dann einmal ins Mutterhaus der Franziskusschwestern begleitet. Dennoch hat sie – trotz einer Krankenpflege-Ausbildung – lange nicht an einen Ordenseintritt gedacht. Dafür sei sie viel zu gern in die Oper gegangen oder zum Eiskunstlauf. Lange haben sie mit einem „entweder oder“ gerungen: Hier die Vorzüge der Wirtschaftswunderzeit, dort ein Leben geprägt von ihrem Glauben, von Fürsorge und Nächstenliebe. Ende er 1950er Jahre entscheidet sie sich schließlich fürs Ordensleben, tritt 1960 bei den Franziskusschwestern ein – und bleibt.

Schwester Martina macht nach ihrem Ordenseintritt richtig Karriere. An die Krankenpflege-Ausbildung schließt sie die Mittlere Reife auf dem Zweiten Bildungsweg an. „Ich habe zehn Jahre gelernt.“ Das erfüllt die junge Ordensschwester – und doch hat sie anfangs mit Heimweh zu kämpfen. „Wenn du jetzt in die Straßenbahn steigst, bist du zum Kaffee zurück“, habe sie manches Mal gedacht angesichts des nahen Elternhauses in der Essener Innenstadt – und es doch beim Gedanken belassen. „So eine Gemeinschaft, die trägt“, nennt sie das beste Gegenmittel gegen Trübsal. Nach ihrer Ausbildung wechselt sie in die ordenseigene Pflegeschule und wird deren Leiterin. „Mit 50 wollte ich dann noch mal etwas ganz Neues machen.“ Kein Problem in dem damals noch so weitverzweigten Orden: Sie wechselt ins ostwestfälische Harsewinkel und macht neben dem Beruf eine Ausbildung zur Krankenhaus-Seelsorgerin. 17 Jahre engagiert sie sich dort, baut die Tafel- und Hospizarbeit auf und ist Oberin der Ordensfiliale – die 2015 geschlossen wird.

Mit kölschem Humor durchs Ordensleben

„Ich denke, dass mich mein Humor durch die Zeit getragen hat“, sagt Schwester Jakoba, die immer einen Witz auf Lager hat. Der Orden setzt sie in der Familienpflege ein. „Da hatte ich alle drei Wochen einen neuen Mann“, erzählt sie verschmitzt vom turnusmäßigen Wechsel der Ordensschwestern, die immer wieder in neuen Familien eingesetzt werden, in denen die Mutter zum Beispiel gerade im Krankenhaus liegt. „Leider konnte ich nicht kochen“, sagt Jakoba. Für eine anständige Grundversorgung dürfte es dennoch gereicht haben, sonst hätte sie ihr Orden kaum 20 Jahre lang in der Familienpflege eingesetzt – erst in Recklinghausen, dann in Münster. Außerdem hätten ihre mangelnden Kochkünste auch ein Gutes gehabt, sagt die Ordensfrau: „Ich durfte den Haushalt ja nicht besser führen als die erkrankte Mutter.“ Nicht, dass der Ehemann seiner wieder genesenen Gattin hinterher Vorwürfe macht. 1976 wechselt Jakoba nach Gelsenkirchen-Buer und baut dort in St. Urbanus die erste Sozialstation mit auf, in der das Ordens-Know-how in der Alten-, Kranken- und Familienpflege gebündelt wird. 14 Jahre später wechselt sie nach Paderborn und wird dort Pflegedienstleiterin. „Aber das war nichts für mich“, bilanziert sie heute. Da habe sie zu viel mit Bürokratie und zu wenig mit Menschen zu tun gehabt. Richtig aufgeblüht sei sie indes, als sie im Jahr 2000 nach Schleiden in die Eifel versetzt wird „und endlich wieder ein bisschen Kölsch sprechen kann“. 20 Jahre ist sie dort in einem Altenpflegeheim tätig, bevor sie vor fünf Jahren – mit Anfang 80 – ins Essener Mutterhaus zieht.

Einzelzimmer mit Blick in den Garten und in den Himmel

Schwester Martina ist seit vier Jahren wieder in Essen zuhause, nachdem sie zuvor die Paderborner Ordensfiliale als Oberin geleitet und dann geschlossen hat. Parallel war sie zudem als Generalassistentin die rechte Hand der Generaloberin. Und jetzt in Essen, sind die beiden End-Achtzigerinnen da im „Ordens-Ruhestand“? „Man beteiligt sich am Leben, das hier stattfindet“, sagt Schwester Martina – und berichtet von einem schwierigen Start im Mutterhaus: Sich als älterer Mensch mit jahrelanger Leitungserfahrung in eine feste Gemeinschaft einzufügen, sei nicht leicht gewesen – trotz eines tollen Einzelzimmers „mit einem schönen Blick in den Garten und in den Himmel“. Generaloberin Schwester Judith kennt diese Anpassungsprobleme: Unter den 18 Franziskusschwestern sind einige, die – wie sie – schon immer in Essen gelebt haben, und andere, die durch die verschiedenen Schließungen nun für ihren Lebensabend ins Mutterhaus kommen. Das ist schon beim Neubau vor zehn Jahren bestens auf Seniorinnen eingerichtet worden. Und für jüngeres Leben – und bei Bedarf auch Unterstützung – sorgen sechs indische Karmelitinnen in der Kloster-WG, die als Altenpflegerinnen ausgebildet werden. Mitarbeit im Haushalt, in der Quintinus-Wirtz-Stiftung, die die Familienunterstützung des Ordens fortführt, oder stundenweise Anbetung in der Hauskapelle – jede Franziskusschwester engagiert sich so, wie sie kann. Tagesstruktur geben die Gebetszeiten: Von der Laudes um 7 Uhr mit anschließender Messe über das Mittagsgebet und die Vesper um 17.30 Uhr vor dem Abendessen.

Die Schwestern wissen, dass mit ihren Leben wohl auch ihr Orden enden wird – doch statt deshalb in Trauer zu versinken heißt es fröhlich „wir gehen auf unser Ziel zu“. Und Schwester Judith betont, dass sie im Mutterhaus „seit sechseinhalb Jahren keinen Sterbefall hatten“. Dabei sind Schwester Martina und Schwester Jakoba hier längst nicht die ältesten. „Das hat auch mit unserer Gemeinschaft zu tun“, ist sich die Generaloberin sicher. Und Gott, zu dem sie hier täglich beten, scheint das nicht gänzlich anders zu sehen.

INFO: Die Franziskusschwestern der Familienpflege
Die Franziskusschwestern der Familienpflege sind ein relativ junger und heute – wieder – sehr kleiner Orden. 1919 in Essen als Reaktion auf die große Not nach dem Kriegsende gegründet, wächst die Gemeinschaft vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich an. Vom Essener Mutterhaus aus entstehen zahlreiche Filialen. Zugleich entwickelte der Orden neben der Unterstützung von Familien mit erkrankten Müttern die Alten- und die Krankenpflege als weitere Standbeine.

INFO: Ordensschwestern verreisen im Kloster nach „Assisi ohne Koffer“
Da sie in ihrem Alter nicht mehr so reisen können wie früher, machen sie die regelmäßige Wallfahrt in die italienische Heimat ihres Ordenspatrons Franziskus nun im Haus: „Assisi ohne Koffer“ nennen sie das Programm, bei dem sie eine Woche lang ihr Haus dekorieren, Fotos aus der Wallfahrtsstadt anschauen, sich über den Heiligen Franziskus austauschen, beten, „und natürlich italienisch essen und viel italienischen Kaffee trinken“, berichtet Schwester Judith.

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