Julia Matvejeva und ihre neueste Arbeit „Baum der guten Gedanken" im Deutschen Textilmuseum Krefeld (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation)
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Krefeld. Baum der guten Gedanken

Der kleine Ort Spiegelberg liegt in einer von Wäldern und Wiesen umgebenen idyllischen Hügellandschaft des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald. Die Landeshauptstadt Stuttgart befindet sich rund 40 Kilometer südwestlich. Es ist ein ruhiger und friedlicher Wohnort, in dem Julia Matvejeva mit zwei ihrer Kinder lebt. Dort kann die ukrainische Künstlerin wieder kreativ arbeiten – das vorläufige Ende einer Flucht. In Spiegelberg entsteht auch ihre neueste Arbeit „Baum der guten Gedanken”. Die Installation wird nun im Deutschen Textilmuseum in Krefeld gezeigt – ergänzend zur Ausstellung „Fiber Art. Asia – Europe”.

Kunsthistorikerin und Künstlerin

Die Vorstellung ihres Kunstwerkes im Museumsfoyer ist eine besondere Präsentation, weil sie in diesem Augenblick vielleicht ein Stück Normalität widerspiegelt: Pressefotos werden aufgenommen, Museumsvolontärin Silke Büchel führt ins Thema ein, Julia Matvejeva erläutert ihr Kunstwerk, Journalisten stellen Fragen. Die 49-Jährige erzählt mit Begeisterung und Freude über den „Baum der guten Gedanken” als Objekt der Hoffnung, als Schutzraum für gute Gefühle. Die Idee dazu entspringt in einem Moment auf ihrer Flucht. Professorin Julia Matvejeva ist Kunsthistorikerin und Künstlerin. Sie hat an einer der 42 Universitäten und Hochschulen in Charkiw gelehrt, mit rund 1,5 Millionen Einwohnern einst die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Mit dem Kriegsausbruch beginnt ihre Flucht. Drei ältere ihrer fünf Kinder leben schon im Ausland. Ihr Mann bringt sie und die zwei jüngeren Kinder an die Grenze. Er bleibt in der Ukraine. – Für einen Moment hält sie beim Erzählen inne. „Die erste Woche in Rumänen haben wir im Auto gelebt”, berichtet Julia Matvejeva auf Deutsch. Dann erhalten sie einen Wohnraum – mit einem Schrank. „Meine Tochter zog sich darin zurück und schloss die Türen. Ich dachte, wenn es für sie jetzt gut ist, lass ihr diese Zeit”, so Matvejeva. Diese Situation bildet den Ausgangspunkt für den „Baum der guten Gedanken”.

Sich auf eine Unterhaltung einlassen

„Kunst ist nicht nur für die Kunst da, sondern für die Menschen”, betont Matvejeva. Im Gegensatz zu herkömmlichen Objekten in Ausstellungen darf der Baum berührt werden. Er bildet mit seinem Kronendach und von dort hängenden Fäden einen transparenten Raum im Raum für Besucher. Sie sollen dort eine Abgeschiedenheit von der äußeren Welt erleben, ohne völlig von ihr abgeschnitten zu sein. Der Betrachter kann sich auf eine „Unterhaltung” mit dem Baum einlassen. „Sie sollen sich dort ein bisschen frei fühlen”, sagt Matvejeva. Und ihre Gefühle für sich, aber auch für andere in einem ausliegenden Buch festhalten. „Das ist ein Baum der guten Gedanken”, fügt sie lächelnd hinzu.

Die Installation vereint unterschiedliche Materialen

Ihre Flucht setzte Matvejeva dann nach Griechenland fort. „Ich spreche besser Griechisch als Deutsch”, sagt sie. Als Wissenschaftlerin spezialisierte sie sich auf byzantinische Ikonografie. Und sie hoffte, dort eine Anstellung zu finden. Doch ein geplantes Projekt scheiterte an fehlenden Finanzen. Dafür meldete sich eine Bekannte bei ihr, sie solle nach Deutschland, nach Stuttgart kommen. Es brauchte zwar einige Zeit, dann zog sie mit ihren Kindern nach Spiegelberg. Bereits während ihrer Zeit in Griechenland gab es einen Kontakt nach Krefeld – sie beteiligte sich an dem Projekt „The Fabric of my Life”. In einem Video-Interview berichtet sie über ihre selbst gestickten Hochzeitsikonen, die sie mit auf die Flucht nahm. Das Textilmuseum kennt sie schon seit vielen Jahren vor dem Krieg in der Ukraine. Eine wissenschaftliche Recherche über byzantinische Textilien führte sie ins Krefelder Museum. „Das Haus hat eine wunderbare Sammlung, einen Schatz”, sagt sie. Nun ist sie als Künstlerin zurückgekehrt. „So eine Installation ist für mich und meine Arbeit absolut untypisch”, sagt sie mit einem Lächeln. Die Installation vereint dabei unterschiedliche Materialen, Stoffe und Techniken. Ihr Schwerpunkt liege unter anderem auf gestickten Ikonen und Landschaftsmalerei. Immer wieder habe sie auf ihrer „Reise” an verschiedenen Orten gemalt – auch die Burg Linn. Ein Bild mehr für ihre Sammlung, und sie weiß nicht, wie viele Bilder noch folgen.

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