Der Biologiestudent Jonathan Kix zeigt seinen Kommilitoninnen im Watt den Gang eines Wattwurms (Foto: Institut für Neurobiologie / Christine Rose)
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Düsseldorf. Als UNESCO-Weltnaturerbe ist das niedersächsische Wattenmeer nicht nur ein beliebtes Reiseziel, es ist auch ein Eldorado für Flora und Fauna. Studierende des Bachelorstudiengangs Biologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) machten im Sommer 2024 unter der Leitung des HHU-Instituts für Neurobiologie eine Exkursion dorthin, um tiefergehende Einblicke in dieses einzigartige Ökosystem zu erhalten. Sie arbeiteten an der von der Universität Münster betriebenen Wattstation in Carolinensiel.

Ausgestattet mit Ferngläsern erkundeten die Studierenden die Marschlandschaft – ein Gebiet, dass die Friesen in vielen Generationen dem Meer abgerungen haben. Heute wird die Marsch vielerorts der Natur zurückgeführt. Somit entstehen sich einzigartige Biotope: die Salzwiesen. Sie sind neben dem Wechselspiel von Ebbe und Flut und dem eigentlichen Watt charakteristisch für die Landschaft. Vor allem die Salzwiesen weisen eine große biologische Vielfalt auf und sind mit für die besondere ökologische Bedeutung der Landschaft verantwortlich.

Um die beeindruckende Fauna der verschiedenen Biotope näher zu erforschen, unternahmen die Studierenden zahlreiche Exkursionen unter Beteiligung der Nationalparkverwaltung und der Nationalparkhäuser Carolinensiel und Spiekeroog. In einem Feldversuch untersuchten die Studierenden der Biologie des Wattwurms. Zusätzlich entnahmen sie Proben des Schlickbodens, die sowohl direkt vor Ort als auch im Labor der Wattstation untersucht wurden.

Unter dem Mikroskop erschloss sich der Mikrokosmos des Watts. Zum Vorschein kamen vielfältige Kleinstlebewesen, darunter Kieselalgen, Einzeller sowie Muschel- und Krebslarven. Letztere sind nach dem Schlüpfen nicht einmal einen Millimeter groß, wachsen dann aber auf bis zu zehn Zentimeter Größe heran.

Ein weiterer Schwerpunkt war der Nachweis von Mikroplastik im Schlick mit einem simplen Verfahren: Mittels Speiseöl und Eisenoxid extrahierten die Studierenden das Mikroplastik und machten es unter dem Mikroskop sichtbar. Dr. Sara Eitelmann, eine der mitgereisten Betreuerinnen: „In jeder einzelnen Probe war Mikroplastik nachweisbar – dies beweist, dass auch die streng geschützte und weitgehend intakte Natur dieses Lebensraums bereits von Mikroplastik durchdrungen ist.“

Täglich steht das Personal des Nationalparks Wattenmeer Gefährdungen der Natur gegenüber. Um sie zu unterstützen, nahmen die Studierenden an diversen Naturschutzaktionen teil. Gemeinsam entfernten sie Stacheldraht von den Begrenzungen landwirtschaftlich genutzter Flächen, welcher den dort ansässigen Vögeln oftmals zum Verhängnis wurde, und sie befreiten einen Deichabschnitt von Müll.

Wichtige Erfahrung für Biologiestudierende

Prof. Dr. Christine Rose, Leiterin des Instituts für Neurobiologie der HHU: „Die Exkursion zur Wattstation bot unseren Studierenden eine einzigartige Gelegenheit, die komplexen und dynamischen Ökosysteme des niedersächsischen Wattenmeers hautnah zu erleben. Die intensive Auseinandersetzung mit Flora und Fauna, gepaart mit praktischen Naturschutzaktionen, hat nicht nur ihr wissenschaftliches Verständnis vertieft, sondern auch das Bewusstsein für die Bedrohungen und die Notwendigkeit des Schutzes dieses empfindlichen Ökosystems geschärft.“

Dr. Karl Kafitz aus der Neurobiologie, der die Exkursion mit organisierte: „Die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen werden die Studierenden nicht nur in ihrem weiteren Studium, sondern auch in ihren zukünftigen Karrieren als Biologen prägen. So bleibt die Nordsee nicht nur ein unvergessliches Erlebnis, sondern auch ein inspirierendes Lehrbeispiel für den nachhaltigen Umgang mit unserer Natur.“

Invasive Arten

Matthias Piegeler, ein teilnehmender Biologiestudent, berichtet über die Gefährdung durch invasive Arten: „Kontrovers wird die Bedrohung der einzigartigen Natur durch neue und invasive Arten diskutiert. Dieses weltweite Phänomen wird primär durch den globalen Schiffverkehr verursacht. Ein prominentes Beispiel ist die Pazifische Auster: Sie wurde Anfang der 1960er Jahre durch kommerzielle Zucht in der Nordsee eingeführt und zeigte sich in der Nordsee überlebensfähig.“ Diese Auster konkurriert mit heimischen Arten, sie wird mit der schwindenden Miesmuschelpopulation im Wattenmeer teilweise in Zusammenhang gebracht, was wiederum starke Auswirkungen auf andere Arten haben kann. So ernähren sich Vogelarten wie die Eiderente beinahe ausschließlich von Miesmuscheln.

Der Biologiestudent Maurice Groß: „Heute weiß man, dass der Einfluss der Pazifischen Auster auf das Miesmuschelsterben deutlich geringer als angenommen. Sie hat auch nicht die heimische Europäische Plattauster verdrängt; diese starb bereits Ende der 1940er Jahre durch Verschmutzung der Nordsee und Überfischung aus.“

Aktuell findet an vielen Stellen ein Umdenken statt; die Nationalparkverwaltung beurteilt die Pazifische Auster heute eher positiv: Sie bildet Riffstrukturen, welche verschiedenen Tieren Lebensraum bietet und angespültes Sediment festhalten. Dennoch birgt die Pazifische Felsenauster einige Probleme: Aufgrund ihrer harten Schale hat sie kaum Fressfeinde, kann nur in einem jungen Alter bejagt werden und breitet sich so relativ unkontrolliert aus.

Hintergrund Nationalpark Wattenmeer: Drei Kriterien für die Einstufung als UNESCO-Weltnaturerbe

Die Salzwiesen bestehen aus einem Bewuchs von zumeist knöchelhohen, besonders salztoleranten Pflanzen. Unter ihnen findet sich der Queller: Bei Ostfriesen beliebt als Salat und Beilage, bei Biologen bekannt als die Pflanze mit der höchsten Salztoleranz unseres Planeten – 100 Gramm Kochsalz pro Liter Wasser, was der dreifachen Salzkonzentration von Meerwasser entspricht. Die besondere Vegetation bietet bodenbrütenden Vögeln der Nordsee, wie dem Austernfischer oder dem Säbelschnäbler, ein ideales Refugium zur Aufzucht der kommenden Generation. Die hohe Biodiversität des Marschlands und des Wattenmeeres ist eines der drei Kriterien, welche das Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe auszeichnet.

Im Gegensatz zu den Salzwiesen mit ihrer großen biologischen Vielfalt finden sich im Wattenmeer nur wenige unterschiedliche Arten. Denn das Wattenmeer ist ein absoluter Extremlebensraum. Insbesondere der Gezeitenwechsel führt zu einem ständigen Wechsel des Salzgehaltes und der Temperatur des Watts. Die Arten, die sich an diesen extremen Umständen angepasst haben, treten jedoch in hoher Zahl auf; es gibt hier die eine weltweit einzigartig große Anzahl an Individuen pro Quadratmeter: Von der nur wenige Millimeter kleinen Wattschnecke leben bis zu 100.000 Tiere auf einer so großen Fläche. Mit diesen geologischen Prozessen erfüllt das Wattenmeer das zweite Kriterium für das UNESCO-Weltnaturerbe.

Der Lebensraum Wattenmeer weist eine unglaubliche Dynamik auf, zu der auch viele ökologische und biologische Prozesse gehören. Durch seine Ökosystemleistungen erfüllt das Wattenmeer schließlich das dritte Kriterium für den UNESCO-Weltnaturerbestatus.

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