( © Forschungsgesellschaft für Raumfinanzpolitik/Statistisches Bundesamt, vorläufiger Schuldenstand)
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Düsseldorf/Berlin/Rhein-Ruhr. Laut eines Berichts der Funke-Mediengruppe legt das Bundesfinanzministerium keinen Vorschlag für eine Altschuldenlösung vor, weil es dafür keine grundgesetzändernde Mehrheit gebe. Dies geschieht ausgerechnet in einer Phase, in der die Kommunen bundesweit neue Liquiditätskredite in Höhe von rund drei Milliarden Euro aufnehmen müssen.

Lange haben die finanzschwachen Kommunen auf ein Signal gewartet – ohne Erfolg. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums gibt es im Bundestag und Bundesrat keine grundgesetzändernde Mehrheit für eine Altschuldenregelung des Bundes. Das geht aus einem Medienbericht hervor, der am Sonntag (29. September) erschienen ist. „Das ist eine erschütternde Nachricht für alle, die unter der kommunalen Finanzkrise leiden“, sagen Christoph Gerbersmann und Martin Murrack, Sprecher des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“.

Gerade die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen hatten zwischen 2016 und 2023 aus eigener Kraft bereits 6,9 Mrd. Euro dieser Schulden tilgen können. Dafür wurden erhebliche Einsparungen und Abgabenerhöhungen gemacht. Diese Anstrengungen verpuffen derweil in der neuen Finanzkrise.

Wie groß diese Not ist, zeigt die jüngste Berechnung des Aktionsbündnisses. Danach mussten Städte und Gemeinden bundesweit im ersten Halbjahr 2024 rund 2,4 Milliarden Euro neue Kassenkredite aufnehmen. Ohne die erstmalige Wirkung des Entschuldungsprogramms in Rheinland-Pfalz, das zu einer Senkung um 949 Millionen Euro geführt hat, beträgt der Kreditzuwachs sogar 3,34 Milliarden Euro. Auf Kommunen aus NRW entfallen davon 1,7 Milliarden Euro. Damit steigt die Summe der Liquiditätskredite in Deutschland auf rund 33 Milliarden Euro.

Im Aktionsbündnis haben sich die finanzschwachen Kommunen aus acht Bundesländern zusammengeschlossen. Es vertritt rund neun Millionen Bürgerinnen und Bürger. „Der Bund lässt die Städte und Gemeinden in ihrer Not und einer sich extrem zuspitzenden Phase allein – und das, obwohl die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Altschuldenlösung versprochen hat“, so die Sprecher von „Für die Würde unserer Städte“.

Für die jetzt eingetretene Situation sieht das Aktionsbündnis auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in der Verantwortung. Sie hatte nach langem Zögern im Sommer 2023 einen unzureichenden Vorschlag für die Landeslösung der Altschuldenfrage gemacht. Er war nicht geeignet, Grundlage für eine Bundeslösung zu sein, weil er keinen finanziellen Eigenanteil des Landes enthielt.

Der zweite Vorschlag im Juni dieses Jahres enthielt diesen Eigenanteil, wurde aber nicht passend kommuniziert. Die Landesregierung machte ihn per Pressekonferenz und Pressemitteilung öffentlich, statt mit dem Bund über die Umsetzung zu sprechen. Außerdem ist es NRW nicht gelungen, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für diese Lösung zu gewinnen. Die Altschulden-Regelung benötigt die Zustimmung der Union, weil dafür eine Verfassungsänderung erforderlich ist.

Bei allem verständlichen Ärger für diese unzureichende Kommunikation am Anfang, kann dies aus der Sicht des Bündnisses allerdings kein Grund sein, auf Bundesebene nicht doch den Versuch einer Altschuldenregelung zu unternehmen. Das Bundesfinanzministerium bringt keine Gesetzesvorlage ein und prüft nicht einmal, ob es im parlamentarischen Verfahren nicht doch eine Mehrheit gibt. Sie nimmt dies lediglich an.

Die Ursache für die verschärfte kommunale Finanzkrise ist beim Bund und bei den Ländern zu finden. Sie delegieren nach wie vor zahlreiche Aufgaben an die Städte und Kreise, ohne dabei den tatsächlichen Aufwand auszugleichen. Die Kommunen müssen Kredite aufnehmen, um Aufgaben zu erfüllen, die Bund und Land ihnen übertragen haben. Das Geld fehlt dann, um vor Ort in Straßen, ÖPNV, Kitas und Schulen sowie Digitalisierung und Klimaschutz zu investieren.

Die Konsequenzen sind vor Ort doppelt spürbar. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Kommune als erste Ebene des Staates wahr. Ist sie nicht handlungsfähig verlieren sie ihr Vertrauen in die Demokratie. Die Wut bekommen insbesondere die Menschen zu spüren, die vor Ort Verantwortung tragen. In vielen Gesprächen, die das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ führt, wird deutlich, dass sich die Betroffenen ohnmächtig und allein gelassen fühlen. Ein Beispiel dafür war der Brief, den mehr als 350 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus NRW vor einem Jahr an Ministerpräsident Hendrik Wüst geschrieben haben.

Das Aktionsbündnis schlägt deshalb drei Schritte zur Lösung der kommunalen Finanzkrise vor:

1. Altschuldenlösung im Bund und in NRW: Die meisten Bundesländer mit hoch verschuldeten Kommunen haben bereits den ersten Schritt gemacht und die Betroffenen entschuldet. Nordrhein-Westfalen hat wie erwähnt im Juni einen Vorschlag für eine ähnliche Regelung vorgelegt. Alle Länder mit betroffenen Kommunen brauchen zwingend eine Beteiligung des Bundes, damit die Städte und Gemeinde wirkungsvoll entlastet werden.

2. Reform der Förderpolitik: Die Teilnahme an Förderprogrammen ist in Deutschland so aufwändig, dass eine groteske Wirkung entsteht. Geld kommt vielfach nicht dort an, wo es dringend gebraucht wird, sondern vor allem in Kommunen, die es sich leisten können, an den Verfahren teilzunehmen. „Für die Würde unserer Städte“ schlägt deshalb Folgendes vor:

– Jedes Ministerium halbiert die Zahl seiner Förderprogramme.
– Das Geld, das so nicht verteilt wird, kommt in einen Topf.
– Die Mittel aus diesem Topf werden pauschal an die Kommunen vergeben. Bedürftigkeit muss bei der Verteilung ein wesentlicher Faktor sein.
– Die Programme, die bestehen bleiben, müssen radikal vereinfacht werden, unter anderem indem man die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt.

3. Infrastruktur- und Instandhaltungsfonds einrichten: Die finanzschwachen Kommunen sind in den vergangenen Jahren weit abgehängt worden. Selbst mit den beiden bisher genannten Lösungen würden sie diesen Rückstand bei den Investitionen und bei der Instandhaltung nicht aufholen. Deshalb braucht es über 10 bis 15 Jahre einen Sonderfonds, der hilft, diese Lücke zu schließen.

Hintergrundinformationen

Im Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ haben sich 71 Kommunen aus acht Bundesländern zusammengeschlossen, in denen rund neun Millionen Menschen leben. Mitglieder des Aktionsbündnisses sind Bacharach, Bad Schmiedeberg, Bischofsheim, Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Cottbus, Cuxhaven, Landkreis Cuxhaven, Dietzenbach, Dinslaken, Dorsten, Dortmund, Duisburg, Ennepe-Ruhr-Kreis, Essen, Frankenthal, Geestland, Gelsenkirchen, Ginsheim-Gustavsburg, Gladbeck, Hagen, Hamm, Hattingen, Herne, Herten, Kaiserslautern, Koblenz, Krefeld, Kreis Groß-Gerau, Lahnstein, Leverkusen, Löhne, Ludwigshafen, Lünen, Mainz, Mayen, Mettmann, Moers, Mönchengladbach, Mörfelden-Walldorf, Mülheim an der Ruhr, Neustadt an der Weinstraße, Neuwied, Oberhausen, Obertshausen, Oer-Erkenschwick, Offenbach, Pirmasens, Recklinghausen, Kreis Recklinghausen, Remscheid, Saarbrücken, Salzgitter, Schwerin, Schwerte, Solingen, Trier, Kreis Unna, Voerde, Völklingen, Waldbröl, Waltrop, Werne, Wesel, Kreis Wesel, Witten, Worms, Wülfrath, Wuppertal und Zweibrücken.

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