Der neu benannte Anna-Tervoort-Platz in der Innenstadt und der erste "Frauen-Ort" in Krefeld (v.l.): Bezirksvorsteherin Anke Drießen, Oberbürgermeister Frank Meyer, Dr. Cornelia Pier und Präsidentin Ute Bocksteeger vom Zonta-Club "Krefeld am Rhein" (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, Andreas Bischof)
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Krefeld. „Frau Werner kann hierbleiben.” Mit diesem Satz rettet Anna Tervoort wohl einer ihr völlig unbekannten Krefelderin das Leben. Denn Johanna Werner ist Jüdin und soll deportiert werden. Anna Tervoort versteckt die Frau während des Zweiten Weltkriegs auf ihrem Bauernhof in Traar vor den Nationalsozialisten. Und es gelingt tatsächlich, dass Johanna Werner bis zur Kapitulation unerkannt in der Stadt überlebt. Für ihren mutigen Entschluss und ihr Handeln ehrt die Gedenkstätte Yad Vashem 1997 Anna Tervoort (1909-2003) als „Gerechte unter den Völkern” – als einzige Krefelderin. Nun erinnert ein Platz in der Innenstadt an die stille Heldin. „Anna Tervoorts Leben zeigt, dass es sich lohnt, auf das eigene Gewissen zu hören, Menschlichkeit und Menschenwürde gerade in unmenschlichen Zeiten zu ihrem Recht zu verhelfen. Jede und jeder von uns kann das tun – niemand ist zum Zuschauen verdammt”, sagt Oberbürgermeister Frank Meyer.

Erster „Frauen-Ort” in Krefeld

An dem bislang namenslosen Ort an der Stephanstraße/Ecke Wiedenhofstraße versammelten sich rund 70 Menschen, um der Benennung beizuwohnen. Zeitgleich wurde dort auch der erste „Frauen-Ort” in Krefeld und der einzige am linken Niederrhein eingerichtet. Das Projekt des Frauenrats NRW möchte damit das Interesse auf besondere historische Frauenpersönlichkeiten im öffentlichen Raum in NRW richten – hier an Anna Tervoort. Auf Tafeln stehen biografische Angaben zu den jeweiligen Frauen. „Ich danke dem Zonta-Club Krefeld am Rhein, der sich für die Eröffnung des ersten Frauen-Ortes in unserer Stadt eingesetzt hat”, betont der Oberbürgermeister. Bis Ende 2025 sollen 50 Frauen-Orte in Nordrhein-Westfalen auf besondere Frauen-Biografie aufmerksam machen. Der Vorschlag des Zonta-Clubs Krefeld am Rhein wurde unter den ersten zehn Bewerbungen angenommen.

Mutiges Handeln trotz Lebensgefahr

Das mutige Handeln von Anna Tervoort war für die Traarer Bäuerin stets mit Lebensgefahr verbunden. Trotz aller Bemühungen wurde das Geheimnis doch entdeckt. „Geben Sie mir ein halbes Schwein, oder ich verrate, dass Sie eine Jüdin verstecken”, versuchte ein „Volksgenosse” die Bäuerin zu erpressen – ohne Erfolg. Selbst der „Besuch” von Gestapo-Mitarbeitern schreckte Tervoort nicht ab – eine Schlüsselsituation, die auch in dem Ein-Personen-Stück des Kresch-Theaters über sie beeindruckend dargestellt wird. Johanna Werner musste den Hof nach diesen Ereignissen dennoch verlassen und andere Verstecke nutzen. Nach einem Bombenangriff auf Krefeld Anfang Januar 1945 lebte sie im Bunker am Hauptbahnhof. Dort herrschte Chaos, und keiner kontrollierte sie mehr. Zusammen mit ihrem Mann und den Kindern erlebte sie, wie US-Militär Ende Februar, Anfang März des Jahres 1945 Krefeld besetzte. Anna Tervoort und Johanna Werner trafen sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder und blieben in einem freundschaftlichen Kontakt.

Tervoorts Hilfe wurde erst spät bekannt

Erst im Rahmen eines Forschungsprojektes in den 1990er-Jahren über sogenannte Mischehen berichtete die Tochter von Johanna Werner von der Rettung ihrer Mutter durch Anna Tervoort. Diese scheint ihr Handeln als selbstverständlich empfunden zu haben. „Anna Tervoort hat zeitlebens keine große Sache daraus gemacht, dass sie geholfen hat”, sagt Sandra Franz, Historikerin und Leiterin der NS-Dokumentationsstelle. „Ich hab’ halt einfach gemacht”, hat sie später bescheiden erzählt. Wegen ihres selbstlosen Handelns wurde sie in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel als „Gerechte unter den Völkern” geehrt – eine von 651 Deutschen, deren Bekanntester sicherlich der Unternehmer Oskar Schindler (1908-1974) ist. „Ein berühmter Satz aus dem Talmud beschreibt am besten, was Anna Tervoort vor rund 80 Jahren getan hat: ‚Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten'”, betonte Oberbürgermeister Frank Meyer.

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