Die Verabschiedung von Sr. Hildegard im Kreis von Ordensleuten in Jerusalem im Paulushaus (Foto: Bornemann / privat)
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Münster. Die Bombenalarm-App auf seinem Handy ist noch aktiv. Nicht nur deshalb fühlt sich Pfarrer Ludger Bornemann aus Münster Freunden und Bekannten in Israel nahe. Schließlich hat er 20 Jahre in dem Land gelebt, unter anderem von 2001 bis 2016 als Geistlicher Leiter des Pilgerhauses Tabgha in Tiberias am See Genezareth. Heute ist der 68-Jährige geistlicher Begleiter der Canisianer und Rektor der Kapelle des Canisiushauses in Münster. Israel und dem Nahen Osten ist er verbunden geblieben, unter anderem als Geistlicher Leiter des Deutschen Vereins vom Heiligen Land (DVHL). Zum Jahrestag des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel sagt er: „Das Land ist zerrissen und erschöpft.“

Bornemann weiß, wovon er spricht, im Juni war er das vorerst letzte Mal vor Ort. Anlass war die Verabschiedung einer Ordensschwester aus ihrem Dienst im „Beit Emmaus“, einem Heim für christliche und muslimische palästinensische Frauen, die wegen Alters oder Behinderung Hilfe brauchen. Auf dem Weg dorthin habe er viele Plakate mit Fotos der am 7. Oktober 2023 von der Hamas verschleppten Geiseln und dem Slogan „Bring them home“ gesehen. Viele junge Leute seien zur Demo für die Freilassung der Geiseln nach Jerusalem gefahren. Gleichzeitig hätten dort auch Demonstrationen stärker werdender nationaler Gruppen stattgefunden.

Für Bornemann war das ein weiteres Zeichen dafür, „dass die Zerrissenheit des Volkes immer tiefer wird und immer deutlicher zutage tritt.“ Liberal und nationale Israelis stünden einander gegenüber. In dieser aufgeheizten Stimmung hätten auch die Aggressionen gegen Christen zugenommen, weniger von der muslimischen als von der extrem jüdischen Seite. Eine Folge sei, dass viele Christen und liberale Juden darüber nachdenken, das Land zu verlassen. „Das Miteinander ist deutlich schwieriger geworden, dafür ist das Gefühl von ,Wir gegen die Anderen‘ deutlich extremer“, beschreibt Bornemann.

Insgesamt seine viele Menschen mit ihren Kräften am Ende. Krieg, Auseinandersetzungen in der Gesellschaft, wirtschaftliche Sorgen: „All diese Themen strengen furchtbar an“, sagt der Geistliche, „man ist dauernd in einer Aufmerksamkeitsspannung, das erschöpft furchtbar.“

Der kriegsbedingte Einbruch der Wirtschaft habe neben persönlichen Existenzsorgen einen weiteren Aspekt: „Immerhin hat die Arbeit Menschen in Verbindung gebracht. Wo man gemeinsam arbeitet, kann man anders miteinander umgehen, als wenn man immer nur Verdacht gegeneinander hegt und sich nicht kennt.“ Deshalb wolle der DVHL seine Einrichtungen und Angebote möglichst aufrecht erhalten. „Wer jetzt weggeht, der verliert das Vertrauen der Menschen, die mangels Alternative bleiben müssen“, weiß Bornemann.

Er hält genau das für eine wichtige Aufgabe der in Israel aktiven christlichen Institutionen: „Wir müssen so weit wie möglich Orte, Schulen, Gästehäuser offen halten, damit die Menschen dort etwas Normalität erfahren und spüren, dass wir noch da sind und eine Perspektive aufrechterhalten.“ Bornemann befürchtet, dass der Jahrestag des Hamas-Angriffes vor allem als Tag für politische Äußerungen missbraucht werden wird. Dagegen wolle der DVHL ein Zeichen setzen, indem er zusätzlich zwei Tage später den 9. Oktober – den die orientalischen Kirchen als Gedenktag des Patriarchen Abraham begehen – gestaltet.

Dazu verweist Bornemann auf ein Gebet der Benediktiner der Dormitio-Abtei in Jerusalem, das auf der Internetseite www.dvhl.de zu finden ist. Er lädt zum Mitbeten ein: „Wenn wir das Gebet nicht mehr haben, dann wird es noch aussichtsloser.“ Und er plädiert für Menschlichkeit auch im Kleinen als Mittel gegen den Krieg im Großen. Wo, wie beispielsweise in „Beit Emmaus“, Kranke und Alte begleitet werden, da gehe es um die wirklich wesentlichen Dinge im Leben. „Menschlichkeit und Mitgefühl eröffnen Perspektiven“, ist Bornemann überzeugt, „wo Menschlichkeit ist, da sind Dinge möglich, die man nicht für möglich gehalten hat.“

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