Viele Beteiligte, ein Schiff: Projektleiterin Dr. Alice Willmitzer, Schiffsbaumeister Kees Sars, APX-Leiter Dr. Martin Müller, LVR-Kulturdezernentin Dr. Corinna Franz, NRW-Ministerin Ina Scharrenbach, FZX-Geschäftsführer Ralf Berensmeier, LVR-Direktorin Ulrike Lubek, Landrat Ingo Brohl und Anne Henk-Hollstein, Vorsitzende der Landschaftsversammlung des LVR (v. l. n. r.) (Foto: Olaf Ostermann)
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Xanten. Bereits seit 2014 baut der LVR-Archäologische Park Xanten (APX) in seiner Inklusiven Werft römische Schiffe originalgetreu nach. Auf die Taufe und Testfahrt der Lastenfähre Nehalennia, der Fischerboote Philemon und Baucis und des Lastenseglers Minerva Tritonia in den Jahren 2015 bis 2018 folgten jetzt Taufe und erste Fahrt des fünften Bootes aus der Flotte des APX.

In einer feierlichen Zeremonie erhielt das Schiff durch Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, und Ulrike Lubek, Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), den Namen Quintus Tricensimanus (fünftes Schiff aus der Festung Tricensimae bei Xanten). Bei der frisch getauften Quintus handelt es sich um ein römisches Patrouillenboot vom Typ Lusorie. Das Schiff wurde auf Grundlage von Mainzer Wrackfunden rekonstruiert, die belegen, dass diese naves lusoriae neben Ruderbänken auch über Mast und Segel verfügten. Als schnelle und wendige Militärboote patrouillierten sie im 4. Jahrhundert nach Christus in großer Anzahl auf Rhein und Donau.

Die Quintus Tricensimanus entstand fast ausschließlich in Handarbeit. Sie hat eine Länge von knapp 18 Metern, eine Breite von maximal 2,7 Metern und ein Gewicht von ungefähr 4 Tonnen. Rund 3.000 Nägel halten die Bordplanken, Spanten und Ruderbänke – insgesamt 30 Kubikmeter Holz – zusammen. Doch nicht nur beim Schiffsbau wurde auf eine originalgetreue Rekonstruktion Wert gelegt: Auch die prunkvoll bemalten Schilde der Bordmannschaft mit ihren bunt leuchtenden Seewesen sind das Ergebnis ausgiebiger Forschungen und Experimente.

Drei Jahre lang arbeitete Schiffsbaumeister Kees Sars mit dem Team der Inklusiven Holzwerkstatt am Nachbau des spätantiken Patrouillenboots und seinen prachtvollen Schilden. Wie bereits in der Vergangenheit war ein fester Bestandteil des Projekts die Förderung von Jugendlichen mit Behinderung in Form von Langzeitpraktika, die unter anderem dazu dienen, traditionelles Holzhandwerk zu erlernen.

Ulrike Lubek, Direktorin des Landschaftsverbandes Rheinland, erläutert: „Heutzutage gilt Berufstätigkeit als entscheidende Voraussetzung für soziale Anerkennung und ein selbstbestimmtes Leben. Langzeitpraktika und theoriereduzierte Ausbildungen ermöglichen es gerade Jugendlichen mit intellektuellen Behinderungen, ihre ganz eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Unser Ziel besteht darin, ihnen einen gleichberechtigten Einstieg in die Arbeitswelt zu eröffnen und sie in ihren individuellen Stärken zu fördern. Das in enger Kooperation mit dem LVR-Inklusionsamt begonnene römische Schiffsbauprojekt des LVR-Archäologischen Parks Xanten ist ein Vorreiter auf diesem Gebiet, das im Zusammenwirken mit verschiedenen Förderschulen des LVR das vielschichtige Aufgabenprofil des Landschaftsverbands widerspiegelt. In diesem Projekt wurde das enorme Potential, das in der interdisziplinären Arbeit steckt, in vorbildlicher Weise genutzt. Heute widmet sich die 2017 aus dem inklusiven Projekt entstandene Inklusive Holzwerkstatt der Ausbildung von Fachpraktiker*innen für Holzverarbeitung. Dabei freut es uns umso mehr, dass die Inklusive Holzwerkstatt gut angenommen wird und wir als LVR mittlerweile schon zwei Jugendliche aus diesem Projekt dauerhaft für den Landschaftsverband gewinnen konnten.“

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen: „Leinen los für die Quintus. Mit der Restaurierung des Patrouillenboots ist der LVR-Archäologische Park Xanten um einen kulturhistorischen Schatz reicher und lässt die Wissenschaft das Leben am Niedergermanischen Limes für uns alle erlebbar machen. Genau wie die anderen fünf UNESCO-Welterbestätten in Nordrhein-Westfalen ist der Niedergermanische Limes ein kultureller Gigant und ein wichtiger Ort regionaler Identität. Die verschiedenen Welterbestätten, die den Niedergermanischen Limes ausmachen, sind in Nordrhein-Westfalen in 19 Kommunen beheimatet. Sie alle sind Teil des transnationalen Welterbes ‚Frontiers of the Roman Empire‘ – ein herausragendes europäisches Projekt. Dieses kulturelle Erbe gilt es für kommende Generationen zu bewahren und im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Wir setzen gemeinsam die Segel Richtung Zukunft.“

Die nachgebaute Flotte aus der Inklusiven Werft im LVR-Archäologischen Park Xanten zeugt von den vielfältigen archäologisch belegbaren Schiffstypen, die vor 2.000 Jahren den Rhein befuhren. Lastkähne brachten Waren aus dem ganzen römischen Imperium an den Niederrhein, während mächtige Militärschiffe die römische Herrschaft sicherten. Über mehr als 450 Jahre bildete der Rhein zwischen Bad Hönningen-Rheinbrohl in Rheinland-Pfalz und Katwijk aan Zee in den Niederlanden eine Außengrenze des Römischen Reiches und dem angrenzenden „Barbaricum“. 2021 wurde diese nasse Grenze, die heute als Niedergermanischer Limes bekannt ist, vom UNESCO-Welterbekomitee als „Grenzen des Römischen Reichs – Niedergermanischer Limes” ins Erbe der Menschheit aufgenommen.

Unter Anleitung zweier Reenactment-Gruppen konnten die Anwesenden nach der Taufe selbst zum Ruder greifen und auf Patrouillenfahrt am nassen Limes gehen. Der historische Zusammenhang ist perfekt: Denn genau dort, wo heute die Xantener Südsee liegt, verlief der Rhein und somit auch die römische Grenze. Damit patrouillierte erstmals wieder dort, wo vor 1.600 Jahren die Flottenverbände das römische Xanten schützten, ein spätrömisches Militärschiff.

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