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Kunstkenner und Auktionator David Christian Wettmann mit Margret Zerres (links) und Monika Schick-Jöres von der Caritas Mülheim (Foto: Caritas Mülheim)

Mülheim. Immer, wenn bei Verena Weisner vom Auktionshaus an der Ruhr der Hammer fällt, haben viele Menschen gewonnen. Zum Ersten freut sich der Käufer über sein neues Schmuckstück, zum Zweiten freut sich der Verkäufer ebenso wie der Auktionator über Erlös und Provision. Manchmal freut sich auch die Caritas in Mülheim/Ruhr. Dann nämlich, wenn ihr ein Teil des erzielten Verkaufspreises gespendet wird. Und darüber freut sich – zum Dritten – auch Rentner Erwin.

Was hat Erwin (Name geändert) mit einer internationalen Kunstauktion in Mülheim/Ruhr zu tun? Erwin hat von Kunst keine Ahnung. Auch von einer Auktion nicht. Erwin (67) verdient sich zu seiner kargen Rente noch Geld hinzu durchs Sammeln von Pfandflaschen, die gedankenlose Zeitgenossen – zum Glück für Erwin – einfach in den Müll schmeißen. Bei Erwins Flaschenzügen durch Mülheim zieht er sich ordentlich an, manchmal bindet er sich sogar ne Krawatte um, „damit ich nicht so auffalle“, sagt er, was zeigt: Irgendwie ist ihm die ganze Aktion ziemlich peinlich.

Diese Erfahrung hat auch die Caritas gemacht. „Die Menschen grenzen sich aus Scham selbst aus, sie müssen jeden Cent zählen und wissen oft nicht um mögliche Hilfen“, weiß Monika Schick-Jöres, die in der Gemeindecaritas in Mülheim beinahe tagtäglich mit versteckter Not zu tun hat. 

Bundesweite Erfahrungen untermauern die lokale Erkenntnis. Immer mehr Menschen im Rentenalter gehen, so die Bundesanstalt für Arbeit, einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nach. Arbeiteten 2003 noch knapp 533.000 über 65-Jährige in einem Minijob, muss die Statistik Ende 2015 geschätzt rund eine Million älterer Menschen in Arbeit zur Kenntnis nehmen. Sie tragen Anzeigen-Zeitungen aus, jobben beim Discounter, putzen, fegen, säubern Wohnungen und Häuser. Ein Trend, der vorerst wohl nicht gestoppt werden kann. Im Gegenteil. „In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden immer mehr Menschen ohne hinreichende Rentenansprüche das Rentenalter erreichen“, warnt der Direktor der Ruhrcaritas, Andreas Meiwes.

Was zur Folge hat, dass auch immer mehr Menschen zusätzlich zu Einkommen, Eigentum und/oder Rente auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind mit der alte und dauerhaft erwerbsgeminderte Menschen den grundlegenden Bedarf zum Lebensunterhalt decken sollen. So will es der Gesetzgeber. Das Problem dabei: Vielen Betroffenen ist diese Wohltat nicht oder nicht ausreichend bekannt. Und der Gesetzgeber tut kaum etwas, um das zu ändern.

Und da kommt der renommierte Auktionator David Christian Wettmann aus Essen ins Spiel. Der saß eines Tages im Frühling in einem Straßencafé auf der belebten Rüttenscheider Straße und beobachtete einen Kollegen von Erwin, der auch nach Flaschen in den Mülleimern wühlte. Wettmann sagte sich: „Da muss ich was tun. Es ist doch ein Unding, dass in unserem reichen Land Menschen vom Abfall leben müssen.“

Und so entstand die Idee der bundesweit wohl einmaligen Auktions-Spende. So funktioniert es: Wer im von außen eher unscheinbaren Auktionshaus an der Ruhr im Mülheimer Zentrum Kunst, Schmuck, Antiquitäten und ähnliche Kostbarkeiten versteigern lässt, kann einen bestimmten Teil des erzielten Preises an das Projekt „Versteckte Not“ der Caritas Mülheim spenden. Gegen Spendenquittung, versteht sich. Und Wettmann verzichtet zum Teil oder komplett auf seine Provision.

Auf der Dezember-Auktion, an der online auch Käufer aus den USA und anderen Ländern teilnahmen, kam so ein vierstelliger Betrag zusammen, der Menschen wie Erwin zugutekommen wird. „Mal ist es die verschimmelte Wohnung, die unbedingt renoviert werden muss. Mal muss dringend der Strom bezahlt werden. Mal ist es Geld für eine Zahnprothese – die Armut im Alter versteckt sich in vielen Schlupflöchern“, weiß Caritas-Fachfrau Schick-Jöres.

Eine Mülheimerin, die bei der nächsten Auktion spenden will, ist Frau S.: „Ich habe unverhofft eine Erbschaft von einem entfernten Onkel gemacht. Ich werde bedacht, und ich möchte jetzt auch an andere denken, die in Not sind.“ Bei der Wohnungsauflösung sei Einiges an Gemälden, Schmuck und alten Möbeln für eine Versteigerung aussortiert worden.

Der Anfang ist gemacht, Initiator Wettmann wünscht sich, dass viele Menschen wie Frau S., die sich von erlesenen Stücken daheim trennen wollen oder müssen, weil sie zum Beispiel ins Heim ziehen, dabei auch an ihn, die Caritas und vor allem an Menschen in Not denken. Damit noch mehr Stücke unter den Hammer seiner Partnerin und offiziellen Ausruferin Verena fallen können. Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Diesem Ziel dient auch die „Initiative Kunstcafé“, zu der die Caritas in Mülheim und das Auktionshaus an der Ruhr künftig viermal im Jahr einladen wollen. In lockerer Runde soll bei Kaffee und Kuchen über Kunst und die Not im Alter gesprochen und mitgebrachte Kunstgegenstände geschätzt werden.

Schlussendlich: Die Mülheimer Initiative gegen versteckte Armut ist eine pfiffige Aktion mit großer Außenwirkung. Aber auch anderswo an Rhein, Ruhr und Emscher, Lippe bekommt die versteckte Armut immer häufiger Gegenwind von der Gemeindecaritas. So in Duisburg, wo im „Projekt Tafelladen“ auch ältere Menschen günstig Lebensmittel abholen können. In Bochum haben die Malteser das Projekt „Menü-Paten“ initiiert, bei dem Paten auf Zeit Senioren ein Mittagessen finanzieren, das sie aus eigener Tasche nicht bezahlen können. Und in Oberhausen wurde der Hilfsfonds „Senioren im Blick“ gegründet, der alte Menschen in Not zum Beispiel sehr direkt in Einzelfällen, aber auch projektweise unterstützt.    (Alexander Richter) (cde)

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