Moers/Neukirchen-Vluyn. Insgesamt sechs Kandidaten bewerben sich im Wahlkreis Wesel IV, Moers und Neukirchen, für ein Direktmandat im zukünftigen Landtag: Ibrahim Yetim MdL (SPD), Ingo Brohl (CDU), Gudrun Tersteegen (B90/Grünen), Martin Borges (FDP), Jochen Lobnig (Piraten) und Gabriele Kaenders (Die Linke). Wahrscheinlich wird die Mehrheit der Erststimmen wie in den meisten Landtagswahlkreisen zwischen den Kandidaten der beiden sogenannten Volksparteien entschieden. So unterschiedlich neben den üblichen Plakatierungen und dem Straßenwahlkampf mit Info-Ständen die Wahlkampfaktivitäten und -taktiken von Yetim und seinem Herausforderer Brohl waren, so unterschiedlich waren auch ihre letzten großen Aktionen. Der Christdemokrat setzte 72 Stunden vor der Wahl auf die Unterstützung von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert, während der bisherige Mandatsträger einen Tag später zum „Feierabendbierchen“ am Alten Markt einlud.
In einem drei-gliedrigen rhetorisch perfekten Vortrag klärte Norbert Lammert (CDU), protokollarisch der zweit-höchste Repräsentant der BRD, die Fragen „Warum wählen?“, „Diesmal wählen?“ und „Warum CDU wählen?“. So schien es kein Zufall der Inszenierung vor knapp 500 Gästen im Autohaus Nühlen, dass während Lammerts Ausführungen zu den beiden ersten Teilfragen ein Gewitter über die Grafenstadt hereinzog. Anhand der letzten 4 wichtigen internationalen Wahlentscheidungen –USA, Frankreich, Türkei und Brexit– skizzierte der 68-jährige Bochumer „Wählen macht einen Unterschied“ und „die Folgen, wenn man den Anderen die Wahl überlässt“. Durch den Brexit werde die Rolle der Deutschen in Europa noch größer werden, so Lammert als er den dramaturgischen Wendepunkt hin zur dritten Frage setzte und sich just zu diesem Zeitpunkt das Gewitter mit Blitzen und einem heftigen Donner entlud.
Der Donner sowie das beifallspendende und lachende Publikum puschten den brillanten Redner bei seinen Ausführungen zu seinem Fazit sichtlich auf. Lammert führte Vergleiche an, wie gut und steigernd die verschiedenen Bundesländer die Weltfinanzkrise in 2008 und den Rückgang des Bruttosozialproduktes (BSP) überwunden hätten. Während Baden-Württemberg und Bayern mittlerweile 27 bzw. 35 Prozent mehr BSP als nach dem Wirtschaftseinbruch vor fast 10 Jahren hätten, läge NRW immer noch 5 Prozent hinter dem 2008-er Wert zurück. “Die sind nicht intelligenter als wir, aber die haben die besseren Regierungen”, bilanzierte Lammert und warb für eine Änderung durch 2 Kreuzchen an der richtigen Stelle am Wahlsonntag. Ein nicht enden wollender Applaus zeigte, dass die fast 50 minütige Rede Lammerts den Nerv der konservativen Gemeinde getroffen hatte.
Der Rheinberger Theo Köppen lobte kurz und knapp: „Ganz große Klasse – Lammerts Abschied aus der Politik ist ein Verlust.“ Ähnlich zieht Fritz Kathagen sein Fazit der gelungenen Wahlveranstaltung für Ingo Brohl: „Kunst kommt von Können und er ist ein Künstler. Wenn so ein brillanter Künstler zur Unterstützung kommt, dann sind das berechtigte Vorschusslorbeeren für den Kandidaten.“
Nicht so spektakulär zufällig inszeniert, ging es einen Tag später bei der letzten großen Aktion des bisherigen Landtagsabgeordneten Ibrahim (Ibo) Yetim auf dem Alten Markt in der Moerser Altstadt zu. Obwohl mittags schien der Wahlkampfabschluss noch durch Regengüsse sprichwörtlich ins Wasser zu fallen. Yetim hatte auf viele sogenannte Wohnzimmer- und Rote Stuhlgespräche gesetzt, nun lud er öffentlich für drei Stunden bei herrlichster Nachmittagssonne zum Feierabendbierchen, Limo und Grillwurst ein. Nicht zählbare Shopperinnen und Shopper nutzten diese Einladung für eine kurze Pause und Stärkung während ihres Bummels. Ständig war der Getränkewagen rundum mit Gästen belegt, während der SPD-Kandidat beim Zapfen ins Schwitzen kam. Kleiner Small-Talk beim Ausschenken und gleich ging es zurück und weiter am Schanktisch. Yetim war so vertieft und schien zufrieden in seinem Element, dass er die einsetzenden harmonischen Ständchen des Straßenmusikers erst nach etwa 20 Minuten bemerkte.
Zunächst beantwortete Yetim die Frage nach dem Wahlausgang mit „es wird ein enger, knapper Sieg“ bis er nach einigem Zögern 34 Prozent für seine Partei und 32 für die CDU tippte. Bis 18 Uhr am heutigen Wahlsonntag herrscht weiter Spannung und Ungewissheit, ab etwa 18.20 Uhr sind erste Tendenzen in der Frage „Ingo oder Ibo“ zu erwarten. Ibrahim Yetim wird den Wahlausgang zunächst im Rathaus Moers verfolgen, während sich das große CDU-Wahlkampfteam mit Ingo Brohl im „Diebels Alt“ auf der Homberger Straße die bange Zeit des Wartens vertreibt. Egal, wer von den beiden sympathischen Kandidaten zukünftig den Wahlkreis in Düsseldorf vertritt: Wählen gehen!
Christian Voigt/LokalKlick