Alla Demotschkos Mutter, die Zwangsarbeiterin Jewdokia Landar (sitzend) 1943 in Köln (Foto: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Bp 20642)
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Köln. Biografien einiger Empfänger*innen von Hilfsgeldern des Hilfsnetzwerks

Von 1989 bis 2014 organisierte das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln gemeinsam mit der Projektgruppe „Messelager“ – einem Zusammenschluss unterschiedlicher Akteur*innen der Kölner Zivilgesellschaft – ein regelmäßiges Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Insgesamt nahmen 532 ehemalige Zwangsbeschäftigte daran teil, rund 170 von ihnen kamen aus der Ukraine. Neben einem offiziellen Programm wurden Ortsbesichtigungen an Lagerstandorten und Arbeits- und Haftstätten veranstaltet.

Mit allen Zeitzeug*innen wurden ausführliche Interviews aufgenommen, in denen sie über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen im nationalsozialistischen Köln berichteten. Mitglieder der Projektgruppe sowie Mitarbeiter*innen des NS-DOK blieben noch Jahre später in Kontakt mit den Gästen des Besuchsprogramms. Bereits 2015, nachdem Russland die Krim annektierte und der bewaffnete Konflikt im Osten der Ukraine begann, unterstützten das NS-DOK und die Projektgruppe betroffene Zeitzeug*innen in den Konfliktgebieten. Als Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 begann, war es nur folgerichtig, dass die Projektgruppe und das NS-DOK die vorhandenen Kontakte zu den Zeitzeug*innen nutzten, um die mittlerweile Hochbetagten, die die Schrecken eines Krieges erneut durchleben müssen, zu unterstützen.

Parallel dazu haben sich Anfang März 2022 rund 50 Gedenkstätten, Erinnerungsorte, Stiftungen und Vereine zusammengeschlossen und ein „Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine“ gegründet. Seitens der teilnehmenden Institutionen besteht ein dichtes Netz an formellen und informellen Kontakten in verschiedene Städte der Ukraine. Die Koordination des Hilfsnetzwerks wird durch eine Förderung der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft unterstützt. Das Netzwerk, in dem das NS-DOK unterstützend mitwirkt, akquiriert Spendengelder, die treuhänderisch vom gemeinnützigen Verein „KONTAKTE-KONTAKTЫ“ verwaltet und an die Betroffenen und deren Angehörige ausgezahlt werden.

Das NS-DOK kontaktierte zunächst 20 Zeitzeug*innen. Dabei handelte es sich um die teilweise jüngsten Gäste des Besuchsprogramms, die entweder als Kinder mit ihren Eltern nach Deutschland verschleppt wurden oder in Köln als Kinder von Zwangsarbeiterinnen zur Welt kamen. Rund die Hälfte der E-Mails kam als unzustellbar zurück. E-Mail-Adressen, über die noch kürzlich kommuniziert werden konnte, waren nicht mehr erreichbar. Der Versuch, die Personen telefonisch zu kontaktieren, war erfolgreicher, doch auch hier herrschte ein ähnliches Bild vor: Viele der bislang bekannten Nummern liefen ins Leere, waren stillgelegt, nicht mehr erreichbar oder mittlerweile anderen Menschen in der Ukraine zugeordnet. Hier konnte eine Kollegin aus dem Hilfsnetzwerk helfen, die sich vor Ort in der Ukraine befand und über ihre Kontakte zu Renten- und Sozialämtern die aktuellen Kontaktdaten der ehemaligen Gäste oder deren Angehörigen ermitteln konnte. Die Gespräche waren emotional, geprägt von Dankbarkeit, dass in Köln noch an die Zeitzeug*innen gedacht wird. Zum jetzigen Zeitpunkt haben acht Familien eine finanzielle Unterstützung im Gesamtwert von 1.900 Euro erhalten. Es ist sicher kein großer Beitrag, für die Betroffenen jedoch eine dringend benötigte Hilfe.

 

Biografien einiger Empfänger*innen von Hilfsgeldern des Hilfsnetzwerks

Grigorij Michajlowitsch Korsatschenko wurde 1943 als Elfjähriger zusammen mit seiner Mutter und vier Brüdern aus seinem Heimatdorf Suvyd in der Oblast Kiew zur Zwangsarbeit nach Köln verschleppt. Die Familie lebte in einem Lager der Deutschen Reichsbahn in Köln-Nippes. Nachdem das Lager durch Fliegerbomben zerstört wurde, hat man die Familie in das Reichsbahnlager in der Köln-Ehrenfelder Hornstraße umquartiert. Nach der Befreiung wurde Grigorij mit seiner Familie in das Heimatdorf repatriiert. 2011 nahm Grigorij Korsatschenko zusammen mit seinem Enkel am Besuchsprogramm der Stadt Köln für ehemalige Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge teil. Er lebt noch heute in seinem Heimatdorf Suvyd. 200 Euro hat Grigorij Korsatschenko im Mai 2022 vom Hilfsnetzwerk erhalten.

Grigorij Korsatschenko während seines Besuchs in Köln, Juni 2011 (Foto: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, N986-148)

 

Jewdokia Afanasjewna Landar, Mutter von Alla Nikolajewna Demotschko, wurde 1942 als 21-Jährige aus dem Dorf Jarochiwka in der Oblast Poltawa zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. In Köln arbeitete sie zunächst als Küchenhilfe im Kolpinghaus, später als Hilfsarbeiterin in einer Möbelfabrik. Am 3. Juli 1944 kam ihre Tochter Alla in der Kölner Frauenklinik zur Welt. Jewdokia wurde von ihren Kolleginnen bei der Betreuung des Kindes unterstützt. Nach der Befreiung kehrten Mutter und Tochter in die Heimat zurück. Alla erfuhr erst im Erwachsenenalter vom Schicksal ihrer Mutter. 2006 besuchte sie auf Einladung der Stadt Köln ihre Geburtsstadt. Heute lebt sie in Dikanka in der Oblast Poltawa. Im Mai 2022 hat sie 200 Euro vom Hilfsnetzwerk erhalten.

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