Dr. Carolin Nestle-Krämling_Chefärztin Frauenklinik im EVK Düsseldorf (Foto: EVK Düsseldorf/Robert Poorten)
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Düsseldorf. Dr. Carolin Nestle-Krämling ist Chefärztin der Frauenklinik im EVK Düsseldorf. Die erfahrene Senologin leitet das zertifizierte Brustzentrum im Düsseldorfer Innenstadtkrankenhaus. Auch dieses Jahr nimmt sie wieder am Düsseldorfer Aktionstag „ICH BIN DABEI“ teil, der am Samstag, 24. September auf dem Schadowplatz stattfindet. Nestle-Krämling diskutiert mit ausgewiesenen Experten über „Prophylaktische Operationen bei Familiärem Risiko – was spricht dafür und was dagegen?“

70.000 Frauen erkranken jedes Jahr an Brustkrebs. Hatte die Mutter Brustkrebs, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es eine familiäre Disposition für diese Krebsart gibt. Das betrifft fünf bis acht von 100 Frauen. Was soll man tun? Sich testen lassen und sich Gewissheit verschaffen, oder abwarten und darauf hoffen, nicht auch betroffen zu sein?

Vielen ist noch der Umgang der amerikanischen Schauspielerin Angelina Jolie im Gedächtnis, die sich aufgrund eines stark erhöhten Risikos für genetisch bedingten Brustkrebs beide Brüste entfernen ließ. Damals löste sie einen Ansturm an Nachfragen auch an deutschen Brustzentren aus: Bin ich betroffen? Wie kann ich ein erhöhtes Risiko feststellen? Und wie gehe ich mit der Diagnose „erblicher Brustkrebs“ um? Bietet nur die Brustamputation ausreichend Schutz vor Krebs? Nach wie vor ist der Beratungsbedarf groß.

Wir haben Frau Dr. Carolin Nestle-Krämling interviewt:

Wann sprechen Sie von einem Risiko, einen erblichen Brustkrebs haben zu können? Wenn die Mutter daran erkrankt ist? Oder auch andere Verwandte?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Erblicher Brustkrebs wird vermutet, wenn mindestens zwei Familienangehörige an Brustkrebs oder an Eierstockkrebs erkrankt sind oder wenn Familienangehörige besonders jung erkrankt sind. Hier gibt es eine Reihe von sog. Einschlusskriterien, die sich auf eine bestimmte familiäre Risikosituation beziehen. Allerdings finden sich auch in bis zu 40 Prozent der erblich bedingten Brustkrebsfälle keine erkrankten Familienangehörigen, da Familien klein sind oder keine weiblichen Verwandten mehr leben.

 

Das betrifft auch Männer, also die Söhne der Mütter, die Brustkrebs haben?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Ja, Männer mit einer ererbten Tumorrisiko erkranken deutlich häufiger an Prostatakrebs, Darmkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs aber auch an Brustkrebs.

 

An wen sollen sich diese Frauen (und Männer) wenden? In welchem Alter?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Eine erste Beratung erfolgt in der Regel durch die Frauenärztin. Viele verfügen über eine Zusatzweiterbildung in medizinischer Genetik. Wenn nicht, leiten sie die Frauen an ein Zentrum weiter. Wer in seiner Familie erblichen Brust- oder Eierstockkrebs vermutet und ausschließen möchte, sollte sich an ein spezialisiertes Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs wie z.B. in der Universitäts-Frauenklinik Düsseldorf oder auch an einen Facharzt für Humangenetik wenden.

 

Wann kommen Frauen (und Männer) zu Ihnen in Ihr Brustzentrum der Frauenklinik im EVK? Wie ist dann der Weg in Ihr Brustzentrum?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Frauen kommen am häufigsten zur Abklärung von Brustkrebs oder auch schon mit der Erstdiagnose Brustkrebs in unser Brustzentrum. Erkennen wir bei der Befunderhebung ein familiäres Risiko, können wir in unserer Spezialsprechstunde zum erblichen Brust- und Eierstockkrebs spezialisiert beraten und bei entsprechenden Einschlusskriterien die genetische Blutuntersuchung in die Wege leiten. Diese Beratung und Untersuchung erfolgt dann in enger Kooperation mit dem Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs an der Universitätsfrauenklinik Düsseldorf.

Wurde dann eine erbliche Genveränderung mit hohem Tumorrisiko entdeckt, erfolgt eine zweite Beratung über die bereits im Erstgespräch angesprochenen Optionen: hierzu gehört die intensivierte Früherkennung z.B. mit regelmäßigen Mammografie-, Ultraschall- und MRT-Untersuchungen der Brust sowie andere Möglichkeiten der Prävention wie prophylaktische Operationen.

Die Entfernung der Eierstöcke nach abgeschlossener Familienplanung ist ein eher kleiner Eingriff zur Vermeidung einer gefährlichen und häufig tödlichen Eierstockkrebserkrankung und somit eine klare Empfehlung. Die prophylaktische Entfernung beider Brüste ist dagegen eine Entscheidung, der eine äußerst detaillierte, ausführliche Beratung über Möglichkeiten und individuelle Risiken vorausgehen muss. Hierzu kommen auch Frauen aus anderen Zentren zu uns, die bereits vorinformiert und zu dem Eingriff entschlossen sind.

 

Was raten Sie? Abwarten bis der Krebs sich zeigt? Oder vorsorglich operieren?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Eine immer sehr individuelle Frage, die mit jeder einzelnen Frau, nicht selten auch in mehreren offenen Gesprächen erarbeitet werden muss. Unsere Aufgabe ist tatsächlich eine offene Beratung, da die Entfernung eines gesunden Organs keine medizinische Empfehlung im engeren Sinn sein kann, sondern vielmehr eine sehr vielschichtige Risikoabwägung darstellt: Risiken einer Tumorerkrankung, die glücklicherweise auch häufig heilbar ist gegen Risiken einer Operation mit u.U. langfristigen Beschwerden oder einem für die Patientin nicht befriedigenden ästhetischen Ergebnis.

 

Trotzdem entscheiden sich manche Frauen, die Trägerinnen eines mutierten Gens sind und aufgrund der Familiengeschichte eine hohe Erkrankungswahrscheinlichkeit haben, lieber für ein engmaschig kontrolliertes Abwarten als für eine sofortige Operation. Haben Sie dafür Verständnis?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Dieses Verständnis habe ich absolut, und die Entscheidung für eine prophylaktische Operation ist schwierig und immer sehr individuell. Aber ich sehe auch, dass viele früh entdeckte Tumore die ganze Belastung von Operation, Bestrahlung und Chemotherapie mit sich bringen. Das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, liegt bei diesen Frauen bei bis zu 80 Prozent – also nur zu 20 Prozent erkrankt eine Frau nicht.

 

Engmaschiges Abwarten bedeutet auch immer wieder Untersuchungen, und damit auch immer wieder die Sorge, dass doch etwas gewachsen sein könnte, das bei der letzten Untersuchung noch nicht da war?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Ja, so ist es. Manche Frauen entscheiden sich doch, lieber eine vorsorgliche Mastektomie durchführen zu lassen, statt sich lebenslang dem psychischen Stress der halbjährlichen Untersuchungen und gegebenenfalls notwendigen Abklärungen auszusetzen.

 

Was genau bedeutet eine prophylaktische OP für die Betroffenen? Was kommt auf sie zu?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Der Eingriff umfasst die gründliche Entfernung des gesamten Drüsenkörpers mit Erhalt des gesamten Hautmantels und der Brustwarze durch Ausschälen unter der Haut und Ersatz des Volumens durch Implantate. Der Eingriff dauert etwa drei Stunden und die Erholung vier bis sechs Wochen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann bei Wunsch oder bei Implantatkomplikationen auch eine aufwändige Eigengewebsrekonstruktion aus dem Bauch- oder Pobereich erfolgen.

 

Kümmern Sie sich im EVK professionell um die Seele der Frauen? Was leistet die Psycho-Onkologie?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: In unserem zertifizierten Brustzentren im EVK Düsseldorf wird jeder Patientin die Mitbetreuung durch Psycho-Onkologen angeboten. Im Idealfall bereits bei der Diagnosemitteilung.

 

Es hat sich insgesamt viel geändert in der Behandlung des Mammakarzinoms, Was gibt es Neues?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Sehr viel hat sich tatsächlich geändert, es gibt neue Operationstechniken, neue Materialien zur Brustrekonstruktion wie resorbierbare Netze oder biologische Gewebematrix – und vor allem gibt es immer bessere ästhetische und onkologische Ergebnisse. Im Hinblick auf die Beratung und Betreuung von Frauen mit hohem Brustkrebsrisiko hat das Deutsche Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs als Zusammenschluss der spezialisierten Zentren auch in den letzten Jahren weiterhin viele Daten gesammelt und wichtige Erkenntnisse publiziert. So können immer präzisere individuelle Risiken aus der Blutuntersuchung gelesen werden, so dass künftig auch bei Frauen ohne die bekannten Einschlusskriterien und die „klassische“ familiäre Belastung ein individuelles Risiko benannt und entsprechende präventive Maßnahmen veranlasst werden können.

 

Mammografie-Screening startet erst im Alter von 50 Jahren, reicht das?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Im Normalfall, also bei Frauen ohne erhöhtem Brustkrebsrisiko, ist das gut und ausreichend. Bei Frauen mit mäßig erhöhtem Risiko aber würde zum Beispiel ein früherer Beginn mit 45 Jahren oder eine jährliche statt der üblicherweise alle zwei Jahre vorgesehenen Mammografie die Zahl der sog. Intervallkarzinome reduzieren. In jedem Fall wissen wir aus aktuellen Studiendaten, dass beim Mammografie-Screening der Nutzen den Schaden bei weitem überwiegt.

 

In Deutschland gehen trotzdem nur knapp 50 Prozent aller angesprochenen Frauen zum Mammografie-Screening. Sind das genug?

Dr. Carolin Nestle-Krämling: Das ist sicherlich kein zufriedenstellendes Teilnahmeresultat. Das Screening-Programm strebt eine mindestens 70-prozentige Teilnahmerate an, um bestmöglichen Nutzen zu entfalten. Daher wird sowohl durch immer weiter verbesserte Information und Erreichbarkeit der Zugang zum Mammografie-Screening erleichtert und verbessert.

 

InfoKlick: www.ich-bin-dabei.org/ und www.evk-duesseldorf.de/frauenklinik

 



Klinikporträt – Frauenklinik am EVK Düsseldorf

Die Frauenklinik am EVK Düsseldorf unter Leitung von Chefärztin Dr. Carolin Nestle-Krämling gliedert sich in die Bereiche Geburtshilfe, Gynäkologie mit dem Gynäkologischen Krebszentrum und Senologie mit dem Zertifizierten Brustkrebszentrum.

Senologie mit dem Zertifizierten Brustkrebszentrum

Das Team der Senologie behandelt sämtliche Erkrankungen der Brust. Dabei ist das im Herbst 2021 von der Deutschen Krebsgesellschaft mit dem Gütesiegel „Zertifiziertes Brustkrebszentrum“ ausgezeichnete Brustzentrum interdisziplinär aufgestellt, um bösartige Erkrankungen der Brust optimal zu behandeln. Angeboten werden sämtliche operativen Therapien inklusive onkoplastischer sowie rekonstruktiver Verfahren mit Implantaten. Zudem gehören zum operativen Spektrum unter anderem die Behandlung gutartiger Erkrankungen der Brust, die prophylaktische Brustdrüsenentfernung mit sofortigem Wiederaufbau bei familiärem Brustkrebs, Korrekturen angeborener Fehlbildungen und der Gynäkomastie beim Mann sowie Brustverkleinerungen und -vergrößerungen.

Zum Team von Chefärztin Dr. Carolin Nestle-Krämling gehören fünf Oberärztinnen und Funktionsoberärztinnen, eine speziell ausgebildete Brustschwester (Breast Care Nurse, kurz: BCN), vier Fachärztinnen, acht Assistenzärztinnen und ein Assistenzarzt sowie das Pflegeteam.

Brustkrebs ist in Deutschland nach wie vor die häufigste Krebserkrankung der Frau – mit steigender Tendenz. Jährlich erkranken deutschlandweit 70.000 Frauen neu an Brustkrebs. Die Mortalität hingegen ist mit etwa 19.000 Todesfällen pro Jahr nahezu konstant. Das ist auf eine verbesserte Diagnostik und neue zielgerichtete Therapien zurückzuführen, von denen auch die Patientinnen des Brustzentrums im EVK Düsseldorf profitieren.

 

Kontakt:

Frauenklinik im EVK Düsseldorf

Chefarztsekretariat: Susanne Weenink-Krüger
Telefon: 0211 / 919 – 1405
Fax: 0211 / 919 – 1423
frauenklinik@evk-duesseldorf.de

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