Kinder und deren Eltern in Kabul, Afghanistan im Februar 2023 (Foto: Friedensdorf Oberhausen)
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Oberhausen/Dinslaken. Bedarf an medizinischer Hilfe steigt ins Unermessliche

Nicht selten musste das Friedensdorf-Einsatzteam um Birgit Hellmuth, Claudia Peppmüller und Jan Jessen in den vergangenen zwei Wochen schlucken. Groß war die Not, tief die offenen Wunden, ergreifend die Schicksale, die sie bei den Kindervorstellungen in den Räumlichkeiten des Afghanischen Roten Halbmonds in Kabul zu Gesicht und zu Ohren bekamen. Gemeinsam mit dem afghanischen Arzt Dr. Marouf sichtete das Team innerhalb von sechs Tagen über 1500 teils schwer verletzte und kranke Kinder, die für eine medizinische Behandlung in Deutschland in Frage kamen. Letztendlich konnten rund 80 Mädchen und Jungen eine Zusage für den Charterflug des Friedensdorfes im März erhalten. Während die 80 kleinen Patient*innen mit der dringenden Behandlung die Chance auf eine gesunde Zukunft erhalten, steigt in ihrer Heimat der Bedarf an medizinischer Hilfe in dramatische Höhen.

Katastrophale Versorgungslage: Spitze bald erreicht

Die desolate Mangellage der afghanischen Kinder erfährt mit jedem Besuch eines Einsatz-Teams einen neuen, traurigen Höhepunkt. Ein Großteil der Mädchen und Jungen, die das Friedensdorf Ende März am Düsseldorfer Flughafen in Empfang nehmen wird, leidet unter den Folgen schwerer Verbrennungen. Teilweise liegen die Verletzungen Monate zurück, doch das Hilfseinsatz-Team sieht ebenso viele Kinder mit derart frischen Brandwunden, dass es im selben Moment nicht möglich ist, die Verbände zu lösen. Diese Kinder werden noch einmal wiederkommen müssen. Auch schwerwiegende Knochenentzündungen waren ein gängiges, schreckliches Bild. Wie schon bei den Vorstellungen im letzten Jahr wurden unzählige Wunden – wenn überhaupt – nur mit Kleidungsstücken oder schmutzigen Verbänden abgebunden. Das nötige Geld für Verbandsmittel oder einfache Schmerzmittel haben die Wenigsten. Fast 90 Prozent der Familien verfügt über kein oder nur ein so geringes Einkommen, dass sie selbst Lebensmittel nicht mehr kaufen können. „Die medizinische Situation und der Zustand der Kinder war in der Winterzeit immer schon schlimm“, schildert Birgit Hellmuth, die die Friedensdorf-Hilfseinsätze nach Afghanistan schon vor 30 Jahren begleitete. „Jetzt, bei der aktuellen wirtschaftlichen Lage, bei bis zu minus 15 Grad in den Nächten und der vorherrschenden Hungersnot im Land ist die Situation aber besonders dramatisch. Wir könnten theoretisch drei Charterflieger füllen mit Kindern mit Verbrennungen und Knochenentzündungen.“ Wegen der so hohen Zahl an hilfsbedürftigen, verletzten und kranken Kindern, hielt das Einsatz-Team vor Ort intensiver als ohnehin Ausschau nach Lösungen, um Schützlinge in Inland behandeln zu können. „Der Bedarf an medizinischer Hilfe ist höher denn je“, mahnt Friedensdorf-Leiterin Birgit Stifter. „Wir müssen die Situation der Kinder, die wir nicht sofort mit nach Deutschland nehmen können, unbedingt verbessern. Daher versuchen wir, in Absprache mit unseren Partnern, dem ARCS, neue Möglichkeiten zu finden, vor Ort zu helfen. Nur so haben wir eine Chance, die Situation der Kinder in Afghanistan effektiv und langfristig zu verbessern.“

Hoffnung auf bessere Versorgungslage durch Projektarbeit

Angesichts der katastrophalen Zustände bei den Kindervorstellungen war es für das Friedensdorf-Team umso schöner, die Auswirkungen der finanziellen Unterstützung für die „Marastoon“-Projekte, die vom Afghanischen Roten Halbmond betrieben werde, zu sehen. Im Sozialprojekt „Marastoon“ in Kabul finanzierte das Friedensdorf kürzlich einen Brunnen, der nicht nur die etwa 200 Waisen und 37 alleinerziehenden Mütter, sondern auch etwa 1.000 Schüler*innen der Bayat Mashal Schule auf dem Gelände mit sauberem Wasser versorgt. Zusätzliche Unterstützung erhielten Mütter und Kinder des Projektes von Journalist Jan Jessen, der die Friedensdorf-Einsätze in Afghanistan seit August 2021 begleitet, und seinem Verein „Caritas Flüchtlingshilfe Essen e.V.“: Ein großes Gewächshaus soll einigen der Frauen nicht nur die Möglichkeit der Selbstversorgung mit Gemüse und Obst bieten, sondern auch ein Einkommen generieren. Das nötige Wissen um den Anbau von Lebensmitteln wird ihnen durch diverse Schulungen nähergebracht. Perspektivisch könnte ein solches Gewächshaus-Projekt auch den Müttern und Kindern im „Marastoon“ in Jalalabad eine Versorgungsmöglichkeit bieten. In Jalalabad hatte zunächst ein anderes Projekt Priorität: Teile des Gebäudekomplexes waren marode, in den Küchen bestand akute Verletzungs- und Verbrennungsgefahr. Dank der Friedensdorf-Hilfe konnten die Räumlichkeiten renoviert und die Küchen saniert werden, sodass nicht mehr auf dem Boden, sondern auf Hüfthöhe gekocht werden kann. Somit wurde eine massive Gefahrenquelle für die Kleinen gebannt. Ein besonderes Highlight wurde für die Kinder mit der kürzlichen Fertigstellung eines großen Spielplatzes geschaffen, den „Sternstunden e.V.“, eine Benefizaktion des Bayrischen Rundfunks, finanzierte. „Das Kinderlachen und die ehrliche Freude über die vielen Spielgeräte werden uns noch lange in Erinnerung bleiben“, freut sich Claudia Peppmüller. „Durch den Spielplatz können die Kinder einfach mal Kinder sein und sich richtig austoben. Wenn sie zwischendurch mal eine Spielpause brauchen, stehen ihnen außerdem 10 Bänke zur Verfügung. Dafür möchten wir, aber besonders der Rote Halbmond, ganz herzlich Danke sagen.“

Aufruf zum Dialog: Sanktionen vergrößern nur das Leid

Noch während sich das Einsatz-Team nach zweiwöchiger Reise in Kabul auf seine Rückreise nach Deutschland vorbereitet, verkündete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Vorbereitung neuerlicher Wirtschaftssanktionen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan seitens der Europäischen Union. Das Friedensdorf, das zur selben Zeit wieder einmal Zeuge der unbeschreiblich großen Not im Land wird, sieht diese Ankündigung als fatal an: „Die von der EU geplanten Sanktionen werden mit voller Härte die Zivilbevölkerung treffen und die Not von Millionen Menschen im Land auf ihren traurigen Höhepunkt treiben“, betont Birgit Stifter. „Noch vor wenigen Wochen haben die Vereinten Nationen gewarnt, dass bestehende Sanktionen die so wichtige Nothilfe, an der Millionen von Menschenleben hängen, blockieren. Weitere Einschränkungen werden das Land in den Abgrund stoßen. Wir stimmen den Forderungen der UN und der International Crisis Group zu: Die Bundesregierung und die Staatengemeinschaft müssen die Sanktionen lockern und endlich Wege finden, mit den Taliban zu verhandeln. Nur so kann immerhin eine Basisversorgung der Bevölkerung gewährleistet werden. Ohne Hilfen wird die Lage eskalieren. Ohne Hilfen wird es keine Zukunft für das Land geben!“

Die Bevölkerung und besonders die Kinder in Afghanistan benötigen dringend Unterstützung. Wenn Sie das Friedensdorf bei seiner Hilfe für das Land unterstützen möchten, können Sie unter dem Stichwort „Afghanistan“ auf folgendes Konto spenden: Stadtsparkasse Oberhausen, IBAN: DE59 3655 0000 0000 1024 00, SWIFT-BIC: WELADED1OBH.

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