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Essen. Nach dem heutigen Bundestagsbeschluss werten drei Essener Bundestagsabgeordnete die Wahlrechtsreform von “historischer Tag” bis “Attacke auf Verfassung”. Hier in ungekürzter Fassung jeweils die Statements von den Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut (SPD), Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) und Matthias Hauer (CDU):

 

Die Ampel schreibt Geschichte …

… indem sie den Bundestag erstmalig verkleinert

Der Bundestag stellt derzeit rund 736 Abgeordnete. Ein Rekordhoch. Damit diese Zahl nicht ins Unermessliche steigt, wird die Zahl der Mandate künftig fest auf 630 begrenzt. Die 299 Wahlkreise und die zweite Stimme bleiben bestehen. Das hat der Bundestag heute in 2./3. Lesung beschlossen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut aus Essen (Foto: www.susieknoll.de)

„Es ist ein historischer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte schrumpft das Parlament sich selbst. Mit 736 Sitzen sind so viele Abgeordnete wie noch nie zuvor im Bundestag vertreten. Abgeordnete bestimmen heute, dass es sie künftig eventuell nicht mehr geben wird“, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut, der die Verkleinerung des Parlaments begrüßt. Künftig können Direktkandidatinnen und –kandidaten weiterhin mit der Erststimme in den Wahlkreisen gewählt werden. Anders als bisher erhalten Kandidat:innen aber nur ein Mandat, wenn dies durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt ist. Gewinnt eine Partei also mehr Wahlkreise direkt als prozentual durch die Zweitstimme vorgesehen, gehen jene Kandidat:innen mit dem schlechtesten Ergebnis leer aus. Auch fällt die Grundmandatsklausel künftig weg, sodass Parteien, die an der 5 % Hürde scheitern, aber drei Direktmandate hätten, künftig nicht mehr einziehen können. „Mit der Wahlrechtsreform setzen wir ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um und sorgen gleichzeitig dafür, dass wir uns der ursprünglichen Regelgröße des Bundestags wieder annähern“, so Heidenblut.

Mit der Wahlrechtsreform soll ein unkontrolliertes Anwachsen des Bundestags vermieden werden. Die Reform soll ab 1. Januar 2026 zur Bundestagswahl 2029 (Anm. der Red.: Die Reform soll schon zur BTW 2025 greifen) in Kraft treten.


 

Wir verkleinern den Bundestag wirksam und dauerhaft

Zur Wahlrechtsreform, die heute vom Bundestag beschlossen wurde, erklärt Kai Gehring, grüner Bundestagsabgeordneter für Essen:

Kai Gehring MdB (Foto: Büro Gehring)

„Die Reform des Wahlrechts ist lange überfällig. Wir als Ampel haben sie nun beschlossen. Damit beenden wir das jahrelange Ringen um die Wahlrechtsreform und geben dem Parlament die Kraft, sich selbst zu begrenzen. In den letzten Jahren ist der Bundestag immer weiter angewachsen, weil sich die Parteienlandschaft verändert. Das steigert nicht nur die Kosten, sondern gefährdet auch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit dieser demokratischen Herzkammer. Es ist deshalb eine Frage der Reformfähigkeit und der Glaubwürdigkeit von Politik, dass wir nun diese Reform vornehmen.

Der Bundestag wird künftig eine Regelgröße von 630 Sitzen haben, das sind über 100 Abordnete weniger als derzeit. Gleichzeitig schaffen wir Überhang- und Ausgleichsmandate ab und schließen damit endgültig aus, dass der Deutsche Bundestag weiter anwächst. Die 299 Wahlkreise bleiben wie bisher erhalten. Damit setzen wir den Grundcharakter unseres Wahlsystems, das Verhältniswahlrecht, konsequent um.

Heutiger Tweet von Kai Gehring MdB

Wir Grüne arbeiten seit Jahren konstruktiv an einer wirksamen Wahlrechtsreform und sind froh, diese nun endlich beschließen zu können. Wir haben in den vergangenen Wochen viele Gespräche auch mit den anderen demokratischen Fraktionen geführt und Änderungen am ursprünglichen Reformvorschlag vorgenommen. Die Reform hat ein gerechtes Wahlrecht zum Ziel. Die Änderungen haben Auswirkungen auf die Fraktionsstärke aller Parteien, also auch auf uns selbst. Dass es nun gelungen ist, das Wahlrecht auf die Höhe der Zeit zu bringen und den Bundestag zu begrenzen, ist ein wirklich wichtiges Signal.“


 

Wahlrechtsreform ist Attacke auf die Verfassung

Der Deutsche Bundestag hat heute mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP die Wahlrechtsreform beschlossen – gegen die Stimmen von CDU/CSU und LINKE. Dazu erklärt der Essener Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer MdB:

“Heute hat die Ampel über ihre Wahlrechtsreform abstimmen lassen. Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik, dass sich eine Regierungskoalition ein Wahlrecht so konstruiert, dass es sich einseitig gegen Oppositionsparteien richtet. Ich halte dieses Ampel-Wahlrecht für verfassungswidrig und habe deshalb dagegen gestimmt.

Matthias Hauer MdB (Foto: © Laurence Chaperon)

Die Ampelfraktionen haben auf den letzten Metern weitreichende Änderungen vorgelegt, die aus meiner Sicht eindeutig gegen die Verfassung verstoßen. Die geplante “Hauptstimmendeckung” im Ampelvorschlag besagt, dass Wahlkreissiegern nur dann ein Mandat zugeteilt wird, wenn die von ihrer Partei im jeweiligen Land errungenen Zweitstimmen, die künftig Hauptstimmen heißen sollen, dies zulassen. Werden mehr Direktmandate gewonnen als das Hauptstimmenergebnis ermöglicht, gehen die Wahlkreissieger mit dem in Relation schlechtesten Erststimmenergebnis leer aus. Dies wird voraussichtlich dazu führen, dass einige Wahlkreise nicht mehr durch einen Abgeordneten vertreten werden. Die Erststimmen der Wählerinnen und Wähler in diesen Wahlkreisen haben dann keinerlei Wert. Das bewährte Direktmandat – mit örtlicher Bindung des Abgeordneten und Verantwortung im Wahlkreis – will die Ampel entwerten. Künftig sollen vor allem Landeslisten entscheiden, wer ins Parlament einzieht und wer nicht. Damit zielt die Ampel darauf ab, zwei Oppositionsparteien (CSU und Linke) komplett aus dem Bundestag zu drängen und die Wahlkreisstimme zu entwerten. Das ist eine heftige Attacke auf den Wählerwillen!

Der Bundestag muss kleiner werden. Gleichzeitig muss das Wahlrecht verständlich und verfassungsgemäß sein. Aus meiner Sicht würde das am besten durch ein “Echtes Zweistimmen-Wahlrecht” ermöglicht. Die Wählerinnen und Wähler könnten mit ihrer Erststimme entscheiden, wer für den Wahlkreis vor Ort in den Bundestag einzieht. Neben diesen 299 Direktmandaten könnten sie mit ihrer Zweitstimme (unabhängig von den Direktmandaten) über 299 Listenmandate bestimmen. Dieses einfach zu verstehende Modell würde verlässlich eine Verkleinerung auf 598 Mandate garantieren und wurde von der Union frühzeitig vorgeschlagen. Es hätte also verlässlich weitere 32 Mandate weniger zur Folge als das Ampel-Wahlrecht. Die anderen Parteien haben sich geweigert, dies überhaupt nur zu diskutieren. Um den anderen Parteien weiter entgegenzukommen, hat die Union – alternativ zu dem “Echten Zweistimmen-Wahlrecht” – zudem vorgeschlagen, durch mehrere konkrete Veränderungen im aktuellen Wahlsystem eine Verkleinerung zu erreichen. Auch diesen Vorschlag hat die Ampel ignoriert.

Es war über Jahrzehnte Konsens unter Demokraten, dass das Wahlrecht nur in breiter Übereinstimmung der politischen Kräfte geändert wird, obwohl es durch eine einfache Mehrheit im Bundestag geändert werden kann. Diesen Konsens kündigt die Ampel nun auf und legt sogar einen Vorschlag vor, der sich gezielt gegen die Opposition richtet. Denn “Einsparungen” will die Ampel vor allem auf Kosten der Opposition vornehmen: Der Beschluss entwertet die Wahlkreisstimmen, benachteiligt die Städte und verhindert in manchen Regionen auf absehbare Zeit eine Vertretung im Bundestag. Besonders krass ist der Angriff auf die Unionsfraktion: Hätte die CSU bei der Bundestagswahl 0,3 Prozentpunkte weniger erzielt, wäre sie aus dem Bundestag rausgefallen, sodass Bayern mit einer Ausnahme ohne direkt gewählte Abgeordnete auskommen müsste. In 45 von 46 Wahlkreisen hätte die Erststimme der Wählerinnen und Wähler dann gar keinen Wert gehabt. Auch die drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten hätten nach dem neuen Ampel-Wahlrecht nicht in den Bundestag einziehen dürfen.

Während die Ampel diesen Angriff auf die Opposition als Reduzierung der auf vier Jahre zu wählenden Bundestagsmandate verkauft, bläht sie ihre eigenen Stellen maßlos auf. Hunderte zusätzliche hochbesoldete Beamten-Stellen auf Lebenszeit (!) wurden geschaffen, eine Höchstzahl teurer Staatssekretäre und Beauftragter ist für die Regierung tätig sowie insgesamt eine noch nie dagewesene Stellenanzahl im Regierungsapparat. Gespart werden soll lediglich öffentlichkeitswirksam beim Parlament (und dort v.a. bei CSU und Linke), während sich die Ampel klammheimlich neue Regierungsstellen am laufenden Band schafft.

Das Wahlrecht ist ein hohes Gut in einer Demokratie und sollte nur mit breiter Mehrheit geändert werden. Was bisher Konsens unter Demokraten war, haben SPD, Grüne und FDP heute über Bord geworfen. Zum Ende der Debatte hat Friedrich Merz für die Unionsfraktion dann nochmal das Wort ergriffen und der Ampel die Hand ausgestreckt, um ein verfassungsgemäßes Wahlrecht mit breiter parlamentarischer Mehrheit zu finden. Leider war die Ampel dazu nicht bereit. Wir müssen nun erwägen, den Weg vor das Verfassungsgericht anzutreten – mit der Abschaffung der Grundmandatsklausel dürften die Chancen für die Normenkontrolle sehr gut sein.”

Heutiger Tweet von Matthias Hauer MdB
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