Oberbürgermeister Felix Heinrichs (l.) hat Ende März die Ausstellung „Hochsicherheitsgesellschaft“ der Künstlerin Julia Scher (v.r.) im Museum Abteiberg kuratiert durch Gian Marco Hölk und Museumsdirektorin Susanne Titz (h.l.und r.) eröffnet. Gefördert wird die Ausstellung durch die Kunststiftung NRW hier vertreten durch den Präsident Prof. Dr. Thomas Sternberg (h.r.) und die Hans Fries Stiftung (Foto: © Stadt MG)
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Mönchengladbach. Wer aktuell das Museum Abteiberg besucht, der kann das nicht unbeobachtet tun. Denn schon im Windfang wird man durch die Stimme der Künstlerin Julia Scher in Empfang genommen. Dabei wird man darüber aufgeklärt, dass man nun unter Beobachtung stehen wird. Begleitet wird dies von den Worten „Don’t worry“, dass man sich deswegen keine Sorgen machen solle. Und dies stimmt auch insofern, als Aufnahmen, die durch Überwachungskameras gemacht werden, nicht gespeichert werden. Trotzdem hinterlässt diese Entwarnung nicht wirklich ein besseres Gefühl.

Gleichzeitig befindet man sich dabei direkt in der am letzten Märzwochenende im Museum Abteiberg eröffneten Ausstellung „Hochsicherheitsgesellschaft“ mit Werken der Künstlerin Julia Scher. „Julia Scher hat sich mit dem Phänomen der Überwachungsgesellschaft schon sehr früh beschäftigt“, berichtet Museumsdirektorin Susanne Titz. „Dabei ist dieses Thema hochaktuell. Wenn man bedenkt, dass Systeme wie Alexa und Co. in vielen Haushalten zum Alltag gehören und auch klar ist, dass auch unsere Smartphones unser Tun und Handeln verfolgen. Damit gehen viele Menschen sehr bedenkenlos um. Diese Ausstellung lädt dazu ein, genau das zu reflektieren.“ Dies wird im Besonderen dadurch angeregt, dass man innerhalb der Ausstellung beständig zwei Positionen einnimmt: Man beobachtet und wird dabei beobachtet. Eine Kontrolle ist nicht möglich.

Wer sich beim Gang durch die Ausstellung an den Nummerierungen orientieren möchte, muss dabei ebenfalls feststellen, dass sie sich nicht zur Kontrolle eines „richtigen“ Weges eignen. Die Künstlerin spielt damit, dass Zahlen und deren Zuordnung uns ein Gefühl von Struktur, Ordnung und Kontrolle geben: „Die Welt ist aber mehr. Sie lässt sich letztlich nicht mit dem Denken in Binarität erfassen.“ Die Zahl und das Werk ergeben also keine direkte schlüssige Struktur.

Dass weite Teile der Ausstellung schon älteren Datums sind, lässt sich auch an der Technik erkennen, die jeweils zum Werk gehört. Umso spannender ist der Brückenschlag von Werken aus den 1990er-Jahren bis heute, wie es auch Gian Marco Hölk beschreibt, der die Ausstellung zusammen mit Titz kuratiert hat: „Man muss bedenken, dass ich noch nicht geboren war als die Werke zum ersten Mal in Kunsträumen von Julia Scher installiert wurden. Aber auch mich hat ihre Arbeit beim ersten Kontakt dann im Museum Ludwig in Köln fasziniert.“ Von dieser Faszination können sich nun bis zum 20. August alle Besucherinnen und Besucher im Museum Abteiberg anstecken lassen.

Weitere Informationen zur Ausstellung und zur Künstlerin:

Bereits Ende der 1980er Jahre – also noch vor Formaten wie Big Brother oder Filmen wie The Truman Show – begann die US-amerikanische Künstlerin Julia Scher, sich mit privater und öffentlicher Überwachung zu beschäftigen. Geradezu prophetisch antizipierte sie damit die Entwicklung hin zu unserer heutigen Gesellschaft, in der die permanente Erfassung persönlicher Daten Normalität geworden ist. Einen wichtigen Ausgangspunkt für ihre Arbeit bilden die Überlegungen des US-amerikanischen Soziologen Gary T. Marx (*1938), auf den auch der Begriff „Hochsicherheitsgesellschaft“ (engl. Maximum Security Society) zurückgeht. Schers multimediale Praxis, die durch die kalifornische Kunstszene der 1970er und 80er Jahre geprägt und in den 90er Jahren zu einer zentralen Position der neuen medien- und kulturkritischen Kunstdiskurse wurde, umfasst Kamera- und Rauminstallationen, Internetprojekte, Videos und Filme, skulpturale Arbeiten, Assemblagen, Fotografien und Multiples.

Unter der Pseudo-Marke Security by Julia schafft Scher seit den späten 1980er Jahren Environments vermeintlicher Sicherheit, befragt anhand von Installationen aus Überwachungskameras und -monitoren Kontrollprozesse privater und öffentlicher Orte und führt in einer Strategie, die heute als immersiv – d.h. das Publikum einbeziehend – bezeichnet wird, die Raum- und Realitätswahrnehmung dieses Publikums ad absurdum.

In einer essayistischen Überblicksschau zeigt das Museum Abteiberg das umfangreiche Werk von Julia Scher. Neben raumgreifenden Installationen wie den Surveillance Beds oder Wonderland sowie Leihgaben, u. a. aus der Sammlung von Gaby und Wilhelm Schürmann, versammelt die Ausstellung im Museum Abteiberg auch bislang nie gezeigte Arbeiten aus dem Frühwerk der Künstlerin. Die ausgewählten Werke schlagen einen Bogen über alle Schaffensphasen und nehmen immer wieder auch Bezug auf die Sicherheitsstrukturen der Institution Museum. Ausgehend von Letzterem entsteht eine neue ortsspezifische Version ihrer Kamera- und Monitorinstallation Predictive Engineering (1993-heute), die Julia Scher erstmalig 1993 für das San Francisco Museum of Modern Art entwickelte.

Julia Scher. Hochsicherheitsgesellschaft wird realisiert in Kooperation mit der Kunsthalle Zürich (Julia Scher. Maximum Security Society, 08.10.2022 – 15.01.2023). Das Museum Abteiberg zeigt eine größere retrospektive Konstellation ihrer Werke.

Begleitet wird die Ausstellung von der neuen Publikation Julia Scher – R.S.I. Realität, Sicherheit, Infrastruktur, die im DISTANZ Verlag als ein gemeinsames Projekt der Kunsthalle Gießen, des MAMCO Genève, der Kunsthalle Zürich, des Verlags DISTANZ und des Museums Abteiberg erscheint.

Zur Künstlerin:

Julia Scher wurde 1954 in Hollywood, Kalifornien, geboren. Sie studierte zunächst Malerei, Skulptur und Grafik an der UCLA in Los Angeles und anschließend Studio Arts an der University of Minnesota in Minneapolis. Im Zuge zahlreicher Gastdozenturen und Vorträgen, die sie in oft interdisziplinären Kontexten hielt, gründete sie 1995 am Massachusetts College of Art die erste Klasse für „Surveillance Studies“ in den USA. Von 1997 bis 2001 lehrte sie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge und von 2006 bis 2021 folgte eine Professur an der Kunsthochschule für Medien Köln. Seit Beginn der 1980er Jahre ist ihr Werk in vielen institutionellen Einzelausstellungen gezeigt worden (Julia Scher: Public Travel Area (P.T.A.), MoMA PS1, New York, 1988; Don’t Worry, Kölnischer Kunstverein, 1994; Predictive Engineering², San Francisco Museum of Modern Art, 1998). Schers Arbeiten waren in wichtigen internationalen Ausstellungen wie der Whitney Biennial (1989), Informationsdienst (Künstlerhaus Stuttgart, 1992), The Speaker Project (Institute of Contemporary Art, London, 1992) und der 45. Biennale di Venezia (1993) präsent und befinden sich heute in bedeutenden Sammlungen zeitgenössischer Kunst wie dem Museum of Modern Art, New York, oder dem Museum Ludwig, Köln. Seit 2006 lebt sie in Köln.

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