(Foto: privat)
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Kreis Viersen. Der Katholikenrat des Kreises Viersen hat im Rahmen der laufenden „Woche für das Leben“ in Viersen einen Sozialbericht vorgelegt. Darin geht es um Jugendliche in der Pandemie und die Folgen. Gabi Terhorst, Vorsitzende des Katholikenrates: „Die Pandemie zeigte, wie schnell sich Leben verändert, wenn gesundheitliche Risiken unkontrolliert ausbrechen. Sicherheiten lösen sich auf. Isolation statt Gemeinschaft. Nach einem Abklingen der Pandemie erleben wir einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Der Krieg wird zur neuen „Normalität“. Hinzu kommen Klimaveränderungen, die unsere Gewohnheiten und den damit verbundenen Konsum fundamental in Frage stellen. Mit den Ereignissen immer wieder verbunden ist die eigene und gesellschaftliche Ohnmacht. Gewissheiten zerfließen. Die Zeit ist im Umbruch.“ – Im Zentrum dieser Krisen stehen Kinder und Jugendliche in den Entscheidungsphasen ihrer persönlichen Zukunft. Über 100 Schüler wurden nach ihren Befindlichkeiten vor und nach der Pandemie befragt. Von der Förderschule bis zum Gymnasium. Die Suche nach Halt und Werten spiegelt der Sozialbericht wider.

 

I. Anerkennung und Wertschätzung

Kinder und Jugendliche erlebten in der Pandemie, dass nicht mehr der soziale Kontakt gewünscht ist, sondern die Isolation. Abstand wurde der neue Anstand. Sie ertrugen Vieles aus Rücksicht vor den Menschen, die besonders gefährdet sind. Dabei wurde schnell, auch überzogen, über ihre Köpfe hinweg entschieden. Wie der Bericht zeigt, sind Kinder und Jugendliche initiativ geworden und haben während der Lockdowns neue Formen der Begegnung gelernt. Sie haben Verantwortung übernommen. Hybride Treffpunkte, Aktion und Bildung in der Natur bis hin zu Einkaufshilfen für Senioren waren einige ihrer kreativen Antworten.

Ob in der Freizeit oder in der Bildung: Das Virus musste immer mitgedacht werden. Ein kreativer Umgang und schnelles Lernen halfen auch den Eltern und Mitarbeitenden in den Bildungsbereichen die neue Herausforderung zu bewältigen. Homeoffice und digitales Lernen halfen dabei. Im Spannungsfeld von Familie Schule und Beruf mussten sich Alt und Jung neu organisieren. Für das Leben in einer Pandemie gab es keine Blaupause. So wurde mit den sich täglich verändernden wissenschaftlichen Erkenntnissen schnell bis in das privateste Leben hinein entschieden. Oft vorausschauend um Leben zu schützen, nicht wissend, ob die Entscheidung im Lichte neuer Erkenntnisse richtig ist.

 

II. Sorgen und Herausforderungen

Die verstärkte Individualisierung und Vereinsamung vieler Jugendlicher hat das soziale Miteinander beeinträchtigt. In der Gemeinschaft sich selbst und andere mit ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit zu erfahren wurde vielfach verlernt. Die Fähigkeit zur sozialen Konfliktlösung nahm ab. Eine geringere Frustrationstoleranz und mehr Gewaltbereitschaft haben sich entwickelt und müssen aufgearbeitet werden. Emotionale Verarmung und psychischer Herausforderungen stoßen in eine therapeutische Versorgungslücke. Lange Wartezeiten, selbst für Erstgespröche in akuten Notlagen, treffen diejenigen besonders, die familiär und sozial herausfordernd sind. Die systemischer Überlastung von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, beruflich und in der Sozialarbeit sind weiterhin ungelöst.

 

III. Forderungen an die Politik

Vor diesem Hintergrund kann es keine Rückkehr in die Zeit vor der Pandemie geben. Es brennt, Probleme, die nicht angegangen werden, eskalieren in soziale Konflikte. Das gilt für die Lebenssituation der Menschen, das gilt für das gesellschaftliche Miteinander, dass sich zu einem scharfen Gegeneinander entwickelt. Ohne Zeitverlust sind Prävention und Akutversorgung zu verbessern. Fachpersonal im Erziehungs- und Schulbereich, bei der sozialen Betreuung muss schneller qualifiziert und dauerhaft eingestellt werden. Deshalb Schluss mit Kurzzeitbeschäftigungen, die verhindern, dass eine dauerhafte Vertrauensarbeit mit jungen Menschen gelingen kann. Neben den Lehrenden sind Schulsozialarbeit und Schulpsychologen bedarfsorientiert zu beschäftigen. Jugend- und Kinderpsychologische Angebote müssen schnell erreichbar sein. Gut hilft, wer früh hilft. Mehr „Geh-Hin-Angebote“ an den Orten und Plätzen, wo Jugendliche erreichbar sind.

Gegen den Trend zur Individualisierung braucht es die Erfahrung von Gemeinschaft. Dazu tragen Gruppen, Initiativen und Vereine für Sport und Kultur bei, die von Jugendlichen geleitet werden oder die Jugendarbeit besonders im Blick haben. Erfahrung und Offenheit für neue Formen der Solidarität können helfen, die Herausforderung der Postpandemie zu bewältigen. Jugendparlamente, Kinderräte, kommunalpolitische Praktika und Seminare erhöhen die Beteiligung junger Menschen im demokratischen Prozess. Konflikt und Konsens, die kreative Suche nach einem Kompromiss und die mediale Begleitung eigener Projekte immunisieren gegen Konfliktideologien. Sie zeigen die Selbstwirksamkeit, wenn ich mich engagiere und mit anderen Menschen kooperiere. Die Digitalisierung kann technisch helfen, wenn es darum geht, mehr Menschen in Entscheidungen einzubinden. Kompetenzgeschiebe schafft dagegen Verdruss.

 

IV. Forderungen an die Kirche

Die Seelsorge steht im Zentrum kirchlichen Handelns. Der Mensch und die Sinnhaftigkeit seines Lebens sind Kern der Verkündigung. Die Kirche, ihre Verbände als Sensoren in die Gesellschaft und die Gemeindearbeit sind ein Potential. Junge Menschen suchen Orientierung, Kirche gibt Orientierung; nIcht mit gestelzten Worten, sondern im täglichen Leben. Kirche muss ein Hort der Hoffnung sein. Angst lähmt, Hoffnung bewegt. Dies zeigt sich auf lokaler Ebene mit einem bunten Reigen an haupt- und ehrenamtlicher Seelsorge und vielfältigen Gliederungen der Jugendarbeit. Mit ihrer Option für die Schwachen, dem Ansatz zum bewußten Leben und dem Auftrag, die Schöpfung zu bewahren kann Kirche Stimme junger Menschen sein. In Ergänzung zu anderen sozialen Angeboten ist auch die Jugendseelsorge an den Schulen zu verstärken. Hierbei hilft der Dreiklang von Sehen, Urteilen, Handeln. Werkapostel sind überzeugender als Sonntagsreden.

Von Uwe Schummer

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