Vorstellung Spielzeit mit "Emil und die Detektive, Katharina Hannappel, Sara Zimmermann, Jonathan Dorando (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, D. Jochmann)
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Krefeld. Ein größerer Kontrast ist kaum vorstellbar: hier Erich Kästners heiterer, turbulenter Kinderbuchklassiker „Emil und die Detektive“, dort Georg Büchners düsteres Seelendrama „Woyzeck“, das von Mord und Wahnsinn handelt und kaum einen Hoffnungsschimmer zulässt. Im Kresch-Theater sind solche Gegensätze Teil des Konzepts: Deshalb erscheinen zur Eröffnung der neuen Spielzeit beide Produktionen selbstbewusst nebeneinander auf dem Spielplan, zunächst am Sonntag, 10. September, um 16 Uhr der „Emil“, dann am Freitag, 15. September, um 19 Uhr der „Woyzeck“, den man vorsichtshalber erst ab 16 Jahren freigegeben hat. „Das Stück ist ein Albtraum, irgendwo zwischen Psychothriller und Horror“, sagt Theaterleiterin Isolde Wabra, die Inszenierung und Bühnenbild verantwortet. Und die offen zugibt: „Wenn ich zwischendurch von den Proben hinübergehen konnte, um ein paar Szenen ‚Emil‘ zu sehen, war das fast eine Erleichterung.“

Tatsächlich sprüht die Kästner-Adaption der jungen Schweizer Regisseurin Selly Meier vor Witz, Energie und kindlicher Spielfreude: Emil Tischbein, Gustav mit der Hupe, der kleine Dienstag und Pony Hütchen dürfen zwischendurch sogar singen, tanzen und die Kinder im Publikum ganz direkt ansprechen. Die Handlung von Erich Kästners „Roman für Kinder“ wurde für das Stück in die 1960er-Jahre verlegt: Bekanntlich reist der kleine Emil allein ins große Berlin, um seine Oma zu besuchen, und wird unterwegs im Zug vom fiesen Herrn Grundeis bestohlen. Gemeinsam mit einer Horde Berliner Straßenkinder macht er den Schurken ausfindig und erobert Mutters Ersparnisse zurück.

Um schnelle Szenenwechsel zu ermöglichen, hat Bühnen- und Kostümbildnerin Beate Krempe zehn flexible Holzwürfel geschaffen, die sich durch Drehen und Wenden in verschiedene Zimmer, einen Bahnhof oder eine komplette Berliner Stadtlandschaft verwandeln lassen. „Wir haben bei den Proben viel Zeit darauf verwendet, die Räume auf- und abzubauen. Das Bühnenbild ist für uns Teil des Spiels geworden“, sagt Selly Meier. Die Schweizerin hat eine besondere Beziehung zu Erich Kästners zeitlosem Klassiker entwickelt: „Er zeigt Kinder als individuelle, starke Persönlichkeiten, nicht als hilflose Geschöpfe“, sagt die Regisseurin. „Sie bringen sich gegenseitig eine große Hilfsbereitschaft entgegen, die rein intuitiv angeboten wird und nicht an Bedingungen geknüpft ist.“ So kann am Ende sogar der Kampf gegen scheinbar übermächtige Erwachsene erfolgreich gelingen.

Ganz anders Woyzeck, der seinen Kampf gegen die inneren Dämonen längst verloren hat. Er wird zum Mörder an seiner geliebten Marie und landet in Isolde Wabras Fassung in der forensischen Psychiatrie. Eine solche Einrichtung in Viersen hat das Regie- und Darstellerteam zur Vorbereitung besucht, um ein Gespür für die Atmosphäre zu bekommen. „Unser Leitmotiv war: Wir verurteilen die Tat, nicht den Täter“, sagt Isolde Wabra. „Uns hat interessiert, welcher Mensch hinter dem Abgrund des Woyzeck steckt.“ Dazu hat sich die Regisseurin auch den Originalfall des Johann Christian Woyzeck angesehen, der Vorbild für Büchners Dramenfragment war. Im Jahr 1821 erstach der damals 41-Jährige in einem Hausflur in Leipzig aus Eifersucht eine Frau: Im Gerichtsprozess wurden Gutachten über seine Zurechnungsfähigkeit präsentiert. Gleichwohl wurde er als Mörder am 27. August 1824 auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet.

Für den „Woyzeck“ im Kresch hat Isolde Wabra eine Bühne entworfen, die auf den ersten Blick erschreckt und verstört. Im hohen Inge-Brand-Saal (Studiobühne I) der Fabrik Heeder baut sich eine schwarze Wand vor den Zuschauern auf, die in Richtung Publikum gekippt ist, als wolle sie im nächsten Moment umfallen. Was dort mit Woyzeck, Marie und den anderen Figuren geschieht, folgt „einem traumlogischen Denken“, wie Wabra formuliert. Kostüme und Requisiten vermitteln einen surrealen Gesamteindruck: So wird der zweijährige Sohn von Marie und Woyzeck durch einen mit Helium gefüllten Luftballon dargestellt, an dem zwei Schuhe baumeln. Aus einem Waschbecken strömt Blut, die Füße des arroganten Hauptmanns erscheinen wie ein Trugbild in einer Wandöffnung. „Dieses Stück zu proben, war wie ein Puzzle, das wir Stück für Stück zusammensetzen mussten“, sagt Isolde Wabra. „Wir mussten in tiefste Abgründe und auf höchste Klippen, und die Wege mussten wir selbst finden.“ Ab 15. September kann das Publikum im Kresch diesen Wegen folgen.

Die Premieren von „Emil und die Detektive“ und „Woyzeck“ sind bereits ausverkauft. Für weitere Vorstellungen gibt es Tickets unter www.kresch.de.

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