Rechtsanwalt Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer beim Essener Unternehmensverband (EUV) (Foto: EUV)
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Essen. Die Woche des Ausnahmezustands hat heute begonnen: Die Lokführergewerkschaft GDL hat ihre Mitglieder zu mehrtägigen Streiks aufgerufen. Von Mittwoch bis Freitag wollen sie im Personenverkehr die Arbeit niederlegen. Und obwohl die Bundesregierung ihre geplanten Kürzungen im Agrarbereich teilweise zurückgenommen hat, gehen die Bauern seit heute Morgen bundesweit auf die Barrikaden. Auch andere Branchen wie Gastronomie und Spedition wollen sich möglicherweise noch beteiligen. „Die innerdeutsche Schienen-Infrastruktur für drei Tage auszuschalten und mit Traktor-Kolonnen und -Sternfahrten wichtige Verkehrswege lahmzulegen, hat nichts mehr mit Warnstreiks zu tun. Beide Vorhaben sind vollkommen unverhältnismäßig und führen zu enormen ökonomischen Schäden“, warnt Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbandes (EUV).


Kanders: „Mit dem anstehenden Superstreik der Bahn und den heutigen Bauern-Protesten werden eindeutig Grenzen überschritten. Dies ist unverhältnismäßig und schadet dem ganzen Land.“

„Die Vorhaben sind beispiellos und nehmen ganz Deutschland in Geiselhaft. Auch wenn Tarifpartner und Politiker die Adressaten der Aktionen sind, so sind es aber die Menschen in unserem Land, die ihre Folgen stemmen müssen“, so Kanders weiter. Es entstünden massive volkswirtschaftliche Schäden in Zeiten, in denen Bürger und Betriebe durch Energiekrise, internationale Auseinandersetzungen und Inflation schon genug zu kämpfen hätten.

Ausdruck purer Egomanie

„Anders als pure Egomanie lassen sich die Aktionen kaum beschreiben“, kritisiert Kanders. „In Deutschland ist das Streikgebaren ohnehin schon groß. Zuletzt öffentlicher Dienst, Piloten, Gesundheitswesen, Kinderbetreuung usw. Wenn aber jeder in unserem Land bei Unzufriedenheit streikt, gehen die Lichter bei uns sehr schnell aus. Das sollten diejenigen nicht vergessen, die diese Woche nicht ihrer Arbeit nachkommen, sondern dazu beitragen, dass ein Großteil der Gesellschaft sich um Alternativen für die eigene Mobilität kümmern muss“, appelliert Kanders.

Wegerisiko

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht gibt Kanders noch zu bedenken: „Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das sogenannte Wegerisiko: Er muss selbst zusehen, dass er rechtzeitig von seinem Zuhause aus zum Arbeitsort gelangt. Kommt er zu spät, darf der Arbeitgeber den Lohn für die nicht gearbeitete Zeit einbehalten. Die Protestaktionen und Streiks finden nicht kurzfristig statt, weshalb Arbeitnehmer ausreichend Zeit haben, sich um Alternativen zu bemühen. Streiks oder bäuerliche Sternfahrten sind also kein Freibrief für Verspätungen oder gar Fernbleiben vom Arbeitsplatz.“ Arbeitgeber können aber aus Kulanz flexibel reagieren. „Ist Arbeiten im Homeoffice ausgeschlossen, kann auch kurzfristig Urlaub, der Abbau von Überstunden oder die Nutzung von Gleitzeit im Unternehmen gewährt werden. In vielen Unternehmen gelten bereits Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, in denen zu diesen Fällen bestimmte Regelungen getroffen wurden“, schließt Kanders.

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