Die 2 DM-Münze mit Theodor Heuss von 1969 (Foto: iStock 513543718 / wrangel).
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Brackenheim/Bonn/Willich. Vor 140 Jahren wurde Theodor Heuss im schwäbischen Brackenheim geboren.

Nach dem Studium der Ökonomie und Promotion in München wirkte Theodor Heuss als Redakteur der Zeitschrift „Die Hilfe“. Ihr Herausgeber, der Sozialreformer und Pfarrer Friedrich Naumann brachte ihn zum Liberalismus. Schon 1901 sprach Friedrich Naumann in Frankfurt/Main über den „Niedergang des Liberalismus“. In der Jahrtausendwende waren auch die politischen Verhältnisse im Umbruch – Ein immer wiederkehrendes Thema im Liberalismus. Über ein Jahrhundert läutet ihr Totenglöcklein; suchen sie nach den Wählern. Der erste industriell geführte Krieg brachte das Ende der alten Systeme. In Weimar begann der erste Demokratieversuch auf deutschem Boden. Theodor Heuss arbeitete als Redakteur, profilierte sich mit linksliberalen Ideen und wurde 1924 erstmals in den Reichstag gewählt.

1919 erhielten die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) fast 23 Prozent. Führend war die DDP. Der Liberalismus hatte nach der Kaiserzeit die zentrale Botschaft: Individualismus und bürgerliche Rechte. Nicht Herkunft, sondern Leistung sollte den Platz in der Gesellschaft bestimmen. Am Ende der Weimarer Zeit 1932 sanken die liberalen Parteien auf 2,9 Prozent. Sie hatten kaum Mitglieder, eine hohe Abhängigkeit von Spenden aus der Wirtschaft. Bekanntester Vertreter der Linksliberalen war Außenminister Walter Rathenau, der 1922 einem Attentat zum Opfer fiel. Für die DVP hatte Gustav Stresemann wichtige Ämter: Erst Reichskanzler, dann Außenminister. Dass er mit dem „Stresemann-Anzug“ auch noch zur „Modeikone“ wurde, steht auf einem Nebenblatt. Den Kapp-Putsch 1920 bezeichnete Theodor Heuss als „Verbrechen gegen die Nation“. Sein Werkzeug war die Feder und das gesprochene Wort. Als Sachwalter der fragilen Demokratie, die im Zangengriff von Links- und Rechtsaußen gefährdet blieb. Die Spaltung der Liberalen schwächte auch die Demokratie.

Bei den Gesprächen über die „Weimarer Koalition“, dem Zusammenschluss der Demokraten um SPD und Zentrum 1929, profilierten sich die Liberalen generell mit ihrem Kampf gegen höhere Steuern und Abgaben. 1930 zerbrach das „Weimarer Bündnis“ an der Beitragsfrage zur neu geschaffenen Arbeitslosenversicherung. Reichskanzler Heinrich Brüning vom Zentrum musste eine Minderheitsregierung bilden und regierte mit Notverordnungen. Die Weltwirtschaftskrise, galoppierende Inflation und Arbeitslosigkeit überforderten den Zusammenhalt der Demokraten. Ein Jahr später unterstützte die DVP ein Misstrauensvotum gegen Brüning; mit den Konservativen suchten sie das Bündnis mit den Nationalsozialisten. Ein Grund, weshalb Konservative und Nationalliberale nach dem Scheitern der Nazidiktatur in der sich neu bildenden Bundesrepublik belastet waren.

Anders als die DVP grenzten sich die Linksliberalen gegen die Demokratiefeinde nach beiden Seiten klar ab. Ihre wichtige Stimme war Theodor Heuss, der in seiner Publikation „Hitlers Weg“ vor einer „Innenpolitik des Hasses“ und einer „Außenpolitik des Krieges“ warnte, weiter schrieb er vorausschauend „man würde sich täuschen, dass es sich um eine isolierte Blutrünstigkeit handelt.“ – Anders die Verbände der Wirtschaft: Statt Abgrenzung forderten sie von Reichskanzler Brüning die Einbeziehung der NSDAP in eine rigide Sozialpolitik. Dies lehnte Brüning ab. Drei Millionen Reichsmark spendete ein Kreis von Industriellen, mit dabei Thyssen und Krupp in die Wahlkampfkasse der Nationalsozialisten. Der preußische Innenminister Hermann Göring, der zu einem Spendenessen geladen hatte, ermunterte die Herren mit den Worten, dies sei in den „nächsten hundert Jahren der letzte Wahlkampf“, da lohne sich „eine gewisse Großzügigkeit.“ – Adolf Hitler im Flieger dominierte den Wahlkampf. Alfred Hugenberg und seine Medien trommelten für das Bündnis der Bürgerlichen mit den Völkisch-Braunen und stieg später selbst als Minister in ein Kabinett mit Adolf Hitler ein. Die Warnungen von Theodor Heuss verhallten. Am 5. März 1933 wurde er erneut in den Reichstag gewählt. Nach dem Ermächtigungsgesetz kurz darauf war der erste Demokratieversuch auf deutschem Boden Geschichte. Die Barbarei nahm ihren Lauf.

Nach dem Zusammenbruch 1945 gehörte Theodor Heuss zu den „unbelasteten Politikern“, die den „Parlamentarischen Rat“ in Bonn bildeten. Darin wurden unter der Präsidentschaft des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer die Weichen für das Grundgesetz und die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik gestellt. Aufgrund der Fehler des Zentrum von 1933 gehörte der rheinische Katholik Konrad Adenauer zur Führung der ökumenischen Union. Auch die Liberalen lernten aus ihren Fehlern und bildeten aus verschiedenen Gruppen die FDP, deren erster Vorsitzender der schwäbische Protestant Theodor Heuss wurde. 1949 erreichten bei der Bundestagswahl die Christdemokraten 31 Prozent. Im Wahlkampf das Motto „Wir wollen ein christliches Deutschland“. Die Sozialdemokraten propagierten Sozialismus und erreichten 29 Prozent, die Liberalen warben mit der Kernaussage „Nur freie Wirtschaft bricht Not“, und erhielten fast 12 Prozent. In den ersten 50 Jahren der Bundesrepublik schafften sie es, 46 Jahre an der Regierung zu bleiben.

Zunächst warben CSU und die nordrhein-westfälische CDU, der Sozialflügel um Johannes Albers für eine große Koalition mit der SPD. Konrad Adenauer wollte eine langfristige Bindung mit den Liberalen und empfahl Theodor Heuss zum Bundespräsidenten. Gegen den Einwand aus der CSU, Heuss sei aber nicht sehr kirchenfreundlich entgegnete Adenauer, er habe „eine fromme Frau, das genügt.“ Elly Knapp, die Theodor Heuss geheiratet hatte, gehörte zu den christlich inspirierten Frauen- und Sozialrechtlerinnen. Adenauer, der die führenden Leute der Union zu gutem Essen und reichlich Wein in sein Haus nach Rhöndorf bewirtete, setzte sich durch. Theodor Heuss und er bildeten über eine Dekade die Doppelspitze in der Bundesrepublik. Am 12. September 1949 wurde der liberale Professor zum Bundespräsidenten gewählt. Ein Amt, dass er bis zum September 1959 ausübte. Beide standen für den zivilen Weg der „Bonner Republik“. Nach der Weimarer Erfahrung sollte der Bundespräsident nicht wieder so mächtig sein, wie es Paul von Hindenburg war. Ein frei gewähltes Parlament sollte den Regierungschef bestimmen.

Viele, auch persönliche Briefe, zeigen ihren engen Austausch. Heuss, Schüler von Friedrich Naumann, war nahe bei dem evangelischen Franken Ludwig Erhard und dem Modell der ordoliberal geprägten Sozialen Marktwirtschaft. Es war die „Bekennende Kirche“, die 1938 im Widerstand zum Naziregime zum „Freiburger Konzil Evangelischer Wissenschaftler“ einlud, um eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu entwickeln, die wertebasiert ist. Im Dezember 1949 leitete Theodor Heuss das neue deutsch-israelische Verhältnis ein. Nicht „kollektive Schuld“, sondern „kollektive Scham“ und die daraus resultierende Verantwortung für das Existenzrecht Israels waren Botschaften, die heute noch lebendig sind. 1959 versuchte “Der Alte“, wie Adenauer bald genannt wurde, den acht Jahre jüngeren „Papa Heuss“, wie der Bundespräsident liebevoll bezeichnet wurde, für eine dritte Amtszeit zu überreden. Dieser lehnte ab; es wäre eine Verfassungsänderung notwendig gewesen. Mit fast 80 Jahren starb Theodor Heuss 1963 in Stuttgart.

Theodor Heuss und Konrad Adenauer waren nie ideologisch, sondern pragmatisch – Freidenker mit Moral. Der irische Dichter Oscar Wilde brachte es wunderbar auf den Punkt. „Wo stehen sie politisch, Mr. Wilde?“ fragte ihn ein Redakteur der „Philadelphia Press“. Seine Antwort: „Ich kenne nur zwei Begriffe – Zivilisation oder Barbarei. Und ich stehe auf der Seite der Zivilisation.“

Von Uwe Schummer

Uwe Schummer, MdB von 2002 bis 2021 (Foto: Christian Thiel)
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