Kinder aus der afghanischen Hauptstadt Kabul landeten am Donnerstag, 09. November 2023 am Flughafen Düsseldorf. Das Friedensdorf International mit Sitz in Oberhausen, lässt die Kinder in Deutschland medizinisch versorgen (Foto: André Hirtz / Friedensdorf)
Anzeige

Oberhausen/Dinslaken. Auf dem Jahr 2023 lag die große Hoffnung, endlich einmal Durchatmen zu können. Eine kurze Pause zu bekommen von neuen Kriegsschauplätzen, globalen Krisen und (Natur-)Katastrophen. Doch es sollte anders kommen. Für die Kinderhilfsorganisation „Friedensdorf International“ aus Oberhausen war ein Durchatmen und Zurücklehnen ohnehin keine Option. Zu nah ist sie, durch ihre Partnerorganisationen und selbst vor Ort, an den Kindern und Familien in den Hilfseinsatzländern, die keine medizinische Versorgung erhalten. Zu präsent ist die Gewissheit, dass vielerorts die Lebensbedingungen von Kindern noch prekärer werden. So in Angola, Kambodscha oder Zentralasien, wo starke Armut den Alltag diktiert. Dort konnte die Friedensdorf-Hilfe fortgeführt werden. Auch in Afghanistan war der Bedarf an Unterstützung enorm. Das Land wird nicht nur von einer Hungersnot geplagt, sondern auch immer wieder von schweren Naturkatastrophen erschüttert. Also hieß es auch 2023 für Friedensdorf International und seine zahlreichen Unterstützer: Weitermachen, Hinschauen und Handeln.

Spendenentwicklung

Dass das Friedensdorf handeln kann, verdankt es der Spendenbereitschaft vieler treuer Spenderinnen und Spender, die die Organisation trotz eigener, steigender finanzieller Unsicherheit nach Kräften unterstützen. Nichtsdestotrotz verzeichnet die Organisation 2023 einen leichten Spendenrückgang. Die allgemeinen Spenden sind um 8,09 Prozent gesunken. In Zahlen ausgedrückt waren dies rund 376.000,00 Euro weniger als noch 2022. Auch bei den richterlich angeordneten Auflagen, die dem Friedensdorf zugeführt werden, gab es einen Rückgang von rund 21.000 Euro. Dies entspricht einem Minus von rund 45 Prozent. Die genauen Zahlen legt das Friedensdorf nach der Mitgliederversammlung am 25. Mai 2024 vor.

Einzelfallhilfe

Ein Highlight im Rückblick auf das vergangene Jahr: Erstmals seit der Pandemie führten Friedensdorf International und seine Partner wieder einen großen Hilfseinsatz durch. Im November wurden gleich mehrere Länder, nämlich Georgien, Usbekistan, Tadschikistan und Afghanistan, angeflogen. Für 67 Mädchen und Jungen bedeutete dies die Rückkehr in ihre Heimat, 91 neue Patientinnen und Patienten wurden im gleichen Zug nach Deutschland geflogen. Ein logistischer Kraftakt, der allein dank enger, teils jahrzehntelanger Kooperationen gelingen konnte. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Friedensdorf, seinen Partnerorganisationen, vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern am Flughafen und in der Oberhausener Heimeinrichtung sowie in den Kliniken ermöglichte im letzten Jahr über 200 Kindern aus acht Nationen in Deutschland den Start in ein gesundes Leben.

Fast genauso viele Kinder (207) wurden nach Abschluss ihrer medizinischen Behandlung zu ihren Familien zurückgebracht. Und das nicht nur per Charterflug: „Mit der Pandemie sind wir flexibler geworden“, erklärt Birgit Stifter. „Wir möchten, sofern es die Spendenlage zulässt, auch flexibel im Sinne der Kinder reagieren und sie, wenn möglich, vermehrt fernab der geplanten Charterflüge in Begleitung unserer Partner in kleineren Gruppen nach Hause bringen.“

Zu einer allgemeinen Flexibilität trägt auch das im Sommer 2021 erbaute Medizin-Zentrum auf dem Gelände des Friedensdorf-Heimbereichs bei. Dort führen ehrenamtliche Ärzte und Anästhesisten ambulante Eingriffe durch. Somit können nicht nur zusätzliche Patienten, wie bspw. Kinder mit Bewegungseinschränkungen durch Narbenkontrakturen, aufgenommen werden, auch kooperierende Kliniken werden durch die Möglichkeit einer ausführlichen Nachsorge in der Friedensdorf- Rehabilitationsabteilung entlastet. 2023 wurden am Standort Oberhausen insgesamt 70 ambulante Eingriffe durchgeführt.

Projektarbeit

Wenn das Friedensdorf Kinder für eine dringend benötigte Operation nach Deutschland holt, sind sie vorübergehend von ihren Eltern getrennt. Einigen Familien können das Friedensdorf und seine Partner diese Trennung ersparen. Schon seit Jahren werden in Armenien, Kirgistan und Usbekistan Operationsprojekte finanziert, um Kindern eine Chance auf Heilung in ihrer Heimat zu ermöglichen. Im vergangenen Jahr konnte diese Hilfe fortgeführt werden. Seit November 2023 finanziert das Friedensdorf auch in Afghanistan Operationen. „In Kabul werden uns immer mehr Kinder mit schweren Knochenentzündungen vorgestellt“, berichtet Birgit Stifter. „Da der Bedarf an Hilfe seit der Machtübernahme so rasant gestiegen ist, haben wir uns gemeinsam mit dem Afghanischen Roten Halbmond dazu entschieden, in Kabuler Kliniken die Kosten für Behandlungen von Kindern zu übernehmen.“ Seit Anlaufen des Projekts im November 2023 konnten bis zum Ende des Jahres fast 20 Mädchen und Jungen operiert werden. Für die nahe Zukunft hofft Birgit Stifter, dass Friedensdorf International auch in seinem Projektland Angola mit der Finanzierung von Operationen zu sicheren medizinischen Bedingungen vor Ort nachhaltig beitragen kann.

Dieses Ziel ist in Kambodscha bereits zu großen Teilen erreicht worden: mittlerweile verbessern 42 Basisgesundheitsstationen (BGS) die medizinische Versorgungslage in sehr ländlichen Gebieten. Für die 43. BGS wurde der Grundstein bereits gelegt.

Neben den planbaren Projekten, die 2023 weiter fortgeführt wurden, galt Hinschauen und Handeln erneut für Kinder in Gebieten, die auf akute, medizinische Soforthilfe angewiesen waren. Im Februar 2023 reagierte Friedensdorf International auf den Hilferuf seiner Partnerorganisation in Kurdistan im Irak, der Barzani Charity Foundation (BCF). Sie plante im Nachbarland Syrien nach dem verheerenden Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet die Erstversorgung schutzbedürftiger Kinder. Das Friedensdorf half mit der Finanzierung von Grundnahrungsmitteln, Decken und warmer Bekleidung, insgesamt Hilfsgüter von circa 300 Tonnen. Für das Erdbebengebiet in der Provinz Herat in Afghanistan unterstütze das Friedensdorf sofort mit medizinischem Material und Medikamenten (Health Kits) für Überlebende. Auch auf die Vertreibung von Millionen Afghanen aus Pakistan ab November 2023 reagierte das Friedensdorf akut mit der Finanzierung von Medikamenten, Aufbaukost und Windeln für hunderttausende Kinder, die unter schlechten Bedingungen in provisorisch errichteten Zelten leben müssen. Verteilt wurden die Hilfsgüter von der Partnerorganisation „Afghanischer Roter Halbmond“, die an den direkten Grenzen in Torkham und Kandahar die Menschen medizinisch versorgen. „Wir sind, genau wie unsere Partner, erleichtert, dass wir unsere Projekte 2023 ohne größere Einschränkungen fortführen konnten. Wir bieten vielen Familien eine verlässliche Hilfe, schenken Hoffnung. Dafür sind wir dankbar“, so Birgit Stifters Resümee.

Friedensdorf Bildungswerk

Für das Friedensdorf-Bildungswerk, welches seit fast 40 Jahren den friedenspädagogischen Auftrag des Friedensdorfes umsetzt, war das Jahr 2023 in vielerlei Hinsicht ein erfolgreiches Jahr. Alle Angebote des Bildungswerkes erfreuten sich großer Beliebtheit. Für 2024 wird wieder ein vielfältiges Angebot an digitalen und analogen Veranstaltungen in der Familien- und Erwachsenenbildung angeboten. Das neue Programmheft ist bereits erschienen und kann auf der Friedensdorf-Webseite www.friedensdorf.de eingesehen werden.

Ausblick 2024

Die medizinische Einzelfallhilfe wird auch 2024 fortgesetzt. Für das Jahr sind zwei Charterflüge geplant, jeweils einer für die Partnerländer Angola und Afghanistan. Für das Friedensdorf ist es bitter, angesichts des steigenden Bedarfs an medizinischer Hilfe „nur noch“ zwei Charterflüge durchführen zu können und nicht mehr vier, wie noch vor der Pandemie. „Wenn wir unsere Hilfe von der emotionalen Seite betrachten, würden wir am Liebsten zehn Charterflüge füllen und so viele Kinder wie nur möglich eine medizinische Behandlung ermöglichen. Aber unserer Hilfe sind Grenzen gesetzt, der Bedarf in unseren Partnerländern ist zu groß. Für uns muss es die oberste Maxime bleiben, dass wir verantwortungsvoll mit den Kindern umgehen und nur so viele nach Deutschland holen, wie wir bestmöglich versorgt wissen. Das Schulden wir auch allen Eltern“, sagt Birgit Stifter. Nach wie vor ist auch die Situation in den Krankenhäusern entscheidend für die Friedensdorf-Hilfe. Besonders in den Bereichen Unfallchirurgie, Orthopädie und Urologie werden aktuell dringend Behandlungsplätze gesucht.

Auch die Hilfe für die weiteren Projektländer Armenien, Gambia, Irak, Kambodscha, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan soll weiterlaufen. Aus Kostengründen hatte das Friedensdorf den traditionellen Versand von Paketen nach Tadschikistan 2022 einstellen müssen. Die Hilfe sollte trotzdem weiterlaufen, denn zu viele Familien, gerade alleinerziehende Mütter, müssen sich um ein oder mehrere pflegebedürftige Kinder kümmern und können so keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen. Alternativ werden Mehl, Reis, Zucker, Tee, Öl und Seife nun vor Ort gekauft und von der Partnerorganisation „Dechkadai Sulh Derewnja Mira“ verteilt. Dies schafft Arbeitsplätze im Land und hilft nachhaltig. „Diese Hilfe ist weiter bitter nötig“, betont Claudia Peppmüller, die die Lebensmittelverteilungen 2022 und 2023 in den ersten Tagen begleitet hat. Ziel ist es auch für dieses Jahr, mit der Winterhilfe für tadschikische Familien nach dem Sommer zu beginnen. „Es hat sich bewährt, den Einkauft und die Verteilung schon im September von unserem Partner vornehmen zu lassen, bevor die ohnehin hohen Lebensmittelpreise zum Winter noch weiter steigen“, erklärt Claudia Peppmüller. Um die Lebensmittelhilfe fortführen zu können, freut sich das Friedensdorf über zusätzliche Spenden.

Beitrag drucken
Anzeige