Prof. Dr. Heiner Barz (Foto: privat)
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Düsseldorf. „Schule ist mehr als eine Lernfabrik“

„Elektronisch verschickte Lückentexte und Arbeitsblätter, mit denen Eltern, Schülerinnen und Schüler alleine gelassen werden – das ist kein Homeschooling, das ist noch nicht einmal Fernunterricht. Das ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung und eine pädagogische Zumutung!“, so der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Heiner Barz, Leiter der Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der seit vielen Jahren zu Bildungsinnovation forscht. Und außerdem: „Schule und die Gemeinschaft der Gleichaltrigen stellen äußerst wichtige Sozialisationsinstanzen dar, die kein noch so gut gemachtes Online-Tutorial je ersetzen könnte.“

Barz sieht mit zunehmender Sorge, wie schnell Eltern plötzlich zu Heimunterricht wechseln mussten, einer Beschulung, die noch bis vor einem halben Jahr an der Grenze zur Illegalität stand.

Die Überforderung trifft dabei Eltern wie Kinder gleichermaßen: „Selbst, wenn die Mütter oder Väter nichts Anderes zu tun hätten, als ihre Kinder in den eigenen vier Wänden zu unterrichten, wäre es eine Überforderung – denn dafür sind sie weder fachlich noch didaktisch ausgebildet. Und wenn dann in den höheren Klassen auch noch erwartet wird, dass die Schülerinnen und Schüler sich die Inhalte im Selbststudium erarbeiten, sie übend anwenden und dann das Problemlösen und den Lerntransfer selbstständig hinbekommen – um anschließend über entsprechende fachliche und überfachliche Kompetenzen zu verfügen … dann frage ich mich, ob eigentlich die gesamte Bildungsforschung der letzten Jahrzehnte und sämtliche Lehrerbildungskurse nur Selbstzweck gewesen sind – denn offenbar geht Schule auch ganz ohne all das.“

Diverse Untersuchungen belegen, dass zudem die Angebote, die die Schulen machen, nur von einem sehr begrenzten Teil der Schülerinnen und Schüler überhaupt genutzt werden. Nur etwa sieben Prozent der Kinder nehmen nach einer Studie der Vodafone Stiftung im April täglich an digitalem Unterricht teil, so Barz.

Er bedauert, dass zudem ein ganz anderer Aspekt derzeit in der öffentlichen Diskussion meist zu kurz kommt: „Jenseits der Bewertung eventueller gesundheitlicher Gefahren, denen Kinder oder ihre Angehörigen laut Virologen im normalen Schulbetrieb möglicherweise ausgesetzt sind, kommt aber eine Dimension in der aktuellen Diskussion zu kurz: Schule ist mehr als die Wissensvermittlung, von der man glaubt, dass sie durch digitale Endgeräte übernommen werden könnte. Aus Sicht der Bildungssoziologie ist sonnenklar, dass die Schule eben nicht nur ein Ort des Kenntniserwerbs ist, sondern ein sozialer Organismus, der in der Gesellschaft aber auch für die einzelnen Heranwachsenden ganz bestimmte Funktionen erfüllt, die weit über darüber hinaus gehen.“

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