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Mülheim. Bewährtes Beratungsangebot des Kinderschutzbundes in Mülheim bricht ersatzlos weg

Der Kinderschutzbund (DKSB) in Mülheim muss zum 30. Juni seine Beratungsstelle gegen Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch von Kindern aus wirtschaftlichen Gründen schließen. „Wir haben bereits vor einem Jahr auf die Unterfinanzierung hingewiesen, aber weder durch das Land noch durch die Kommune effektive Unterstützung bekommen“, erklärt Melanie Oechler, Vorsitzende des DKSB Ortsverbandes Mülheim. „Unser großer Eigenanteil wird in erster Linie aus Spenden finanziert. Für uns als gemeinnütziger Verein ist es eine immense Anstrengung, auf dieser Basis die Finanzierung der Beratungsstelle alljährlich sicherzustellen.“ Land und Kommune übernehmen zusammen nur knapp die Hälfte der Kosten der Beratungsstelle.

„Missbrauchsfälle wie in Lügde oder aktuell in Münster erschüttern NRW. Und in Mülheim wird sehenden Auges hingenommen, dass die primäre Anlaufstelle für Kinder unter 14 Jahren wegbricht“, kritisiert Mauno Gerritzen, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Mülheim. Die Bevölkerung soll genauer hinschauen, wird dieser Tage gefordert – Beratungsstellen sind für besorgte Nachbarn und Angehörige eine weitaus niedrigschwelligere Anlaufstelle als das Jugendamt. Auch in Mülheim nehmen die Meldungen möglicher Kindeswohlgefährdungen seit Jahren kontinuierlich zu, wie der aktuelle Bericht des Kommunalen Sozialen Dienstes zeigt. In 246 Fällen stellte das Jugendamt 2019 eine latente oder akute Kindeswohlgefährdung fest; auch dieser Wert ist gestiegen. Kurz gesagt: Immer mehr Kinder in Mülheim erleben Gewalt. „Es ist mir unbegreiflich, dass der öffentliche Träger vor diesem Hintergrund keine Lösung finden konnte, um das bewährte Beratungsangebot des Kinderschutzbundes zu erhalten“, so Gerritzen. „Gerade in Zeiten von Homeschooling und Kurzarbeit ist die Lage in vielen Familien mehr als angespannt.“

Auch die Beratung für Lehrer*innen und Erzieher*innen in Verdachtsfällen gehörte bislang zum Tagesgeschäft der Beratungsstelle des Kinderschutzbundes – ab Juli bricht dies ebenfalls ersatzlos weg. Der Landesverband des Kinderschutzbundes kennt die wirtschaftlichen Nöte der Fachberatungen aus zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens. „So wie in Mülheim sind landesweit viele spezialisierte Beratungsstellen unterfinanziert“, sagt Landesgeschäftsführerin Krista Körbes. Seit den 1990er Jahren habe es keine Anpassung der Fördergelder des Landes gegeben. Gerade im Hinblick auf die Präventionsbemühungen des Landes im Bereich sexualisierter Gewalt müsse bei der Finanzierung der Fachberatungsstellen dringend nachjustiert werden.

Auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege beschäftigt sich mit der Finanzierung der Fachberatungsstellen in NRW. „Die Notwendigkeit, einen Eigenanteil in oft nicht unerheblichem Maße erwirtschaften zu müssen, bindet einen Teil der vorhandenen Ressourcen, die besser in die Beratung und Konzeptentwicklung einfließen sollten“, heißt es in einer Stellungnahme vom Mai 2020 – und weiter: „Eine gesicherte Finanzierung und die Ausweitung der Aufgaben sollten vorrangige Ziele auf der politischen Agenda sein.“

Jugenddezernent Buchholz: kein Verständnis für Entscheidung des Kinderschutzbundes

Mit völligem Unverständnis und einem Kopfschütteln reagiert Jugenddezernent Marc Buchholz auf die Ankündigung des Kinderschutzbundes Mülheim seine Beratungstätigkeit im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen einstellen zu müssen. „Wir waren mit dem Kinderschutzbund in intensiven Gesprächen, wie das Angebot aufrecht erhalten werden könne, die jetzige Ankündigung macht mich sprachlos“, so Marc Buchholz. Die Titelzeile der Pressemitteilung des Kinderschutzbundes sei schlichtweg falsch, so der Dezernent, es breche kein „Beratungsangebot in Mülheim ersatzlos weg“. Andere Träger, wie beispielsweise die AWO, sind auch in diesem Betätigungsfeld unterwegs, so der Dezernent.

Die in der Pressemitteilung des Kinderschutzbundes erhaltenen Vorwürfe gegen die Stadt, es hätte keine ausreichende Finanzierung gegeben, kann Buchholz so nicht stehen lassen. „Vielmehr war es so, dass trotz einer vertragsgemäßen Finanzierung teilweise aufgrund von fehlenden personellen Ressourcen beim Kinderschutzbund die Leistung nur zur Hälfte oder gar nicht erbracht werden konnte.Trotz alledem haben wir den Kinderschutzbund nicht im Regen stehen lassen und gezahlt. Jetzt werden wir andere Wege gehen – ich bedauere die Entscheidung des Kinderschutzbundes sehr. Ohne Not wird hier eine Jahrzehnte lange bewährte Partnerschaft beendet.“

Grüne: Umgehend handeln!

Die Grünen sind entsetzt angesichts der Ankündigung des Mülheimer Kinderschutzbundes, seine Beratungstätigkeit gegen Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellen Missbrauch von Kindern aus wirtschaftlichen Gründen niederlegen zu müssen.

„Dies wäre angesichts der schockierende Fälle von Kindesmissbrauch in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster das absolut falsche Signal“, zeigt sich ihre kinderpolitische Sprecherin Franziska Krumwiede-Steiner fassungslos.

Diese Horrortaten seien aber nur die Spitze des Eisbergs. Deshalb brauche man alle Ressourcen, um Anlaufstellen für Kinder oder auskunftswillige Erwachsene anbieten zu können. Neben dem kommunalen Jugendamt bedürfe es niederschwelliger Angebote, wie sie der Kinderschutzbund bereithalte. Dies, um jenen den Zugang zu erleichtern, die den Weg zum Amt scheuten. Gerade, wenn Sie selbst im öffentlichen Dienst beschäftigt seien etwa in Kitas oder Schulen.

„Dass das Aus jetzt so plötzlich kommt, ist absolut unfassbar. Das Corona-Brennglas, hat jedem verdeutlicht, wie wichtig Beratungsstellen zum Schutz der Kinder sind“, erklärt Parteisprecherin Kathrin Rose. Die Schließungsnachricht sei einzig eine gute für Täter.

Die Grünen werden der Dringlichkeit halber den Hauptausschuss mit der Angelegenheit befassen. Zudem wollen sie ihre Landtagsfraktion einschalten. Rose: „Land und Bund sind gemeinsam in der Pflicht, die Beratungsstelle zu retten.”

Hartmann: Entsetzen und Bedauern über Schließung der Beratungsstelle

Mit Entsetzen und Bedauern hat der fraktionslose Stadtverordnete Jochen Hartmann auf die Ankündigung des Mülheimer Kinderschutzbundes reagiert, seine Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch von Kindern schließen zu müssen.

Hartmann, der selbst seit vielen Jahren beruflich mit Kinderpornographie befasst ist, meint dazu: „In einer Zeit nach Lügde, Bergisch Gladbach und Münster ist dies ein gänzlich falsches Signal. Es zeigt, dass die Landesregierung zu spät aufgewacht ist.“

Aber auch Mülheim habe offensichtlich seinen Anteil an dem Desaster. Während man keine Probleme damit hat, ein elitäres Nischentheater am Tropf zu halten, fehlt das Geld für die Kleinsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft. Hartmann kündigte an, etwa mit der Polizeistiftung David und Goliath mit der Anfragesprechen zu wollen, ob eine finanzielle Unterstützung möglich sein würde.

„Ich hoffe, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen worden ist.“ Hartmann schloß mit den Worten, dass wenn der Oberbürgermeister trotz Krankheit Zeit für Aufsichtsratssitzungen habe, sich auch um die Kinder unserer Stadt kümmern möge. Gleiches gelte im übrigen für den OB-Kandidaten der CDU und Sozialdezernenten, Marc Buchholz.

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