Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdB und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses (Foto: Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann)
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdB und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses (Foto: Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann)
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Kaarst/Düsseldorf. Seit Wochen finden auf Deutschlands Straßen Corona-Demonstrationen getarnt als sogenannte „Spaziergänge“ statt. Die Bilanz: Eine kleine aber laute Empörungsklientel, die sich – angestachelt auch durch Telegram – zunehmend radikalisiert. Wie reagiert die Politik auf die Proteste? Sind dem demokratischen Rechtsstaat die Hände gebunden? „Nein“, sagt die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (63) jetzt in einem Interview mit der Initiative Gesichter der Demokratie und ergänzt: „Wir sollten uns nicht von einer Minderheit treiben lassen!“

 

Frau Dr. Strack-Zimmermann, Sie sind Mitglied des Deutschen Bundestages – daher ist unsere erste Frage eigentlich obsolet: Welchen Stellenwert haben Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich bin in einer Demokratie aufgewachsen. Unser demokratisches System – die repräsentative Demokratie – ist eine wunderbare Regierungsform. In einer Demokratie werden die Menschen gewählt. Wenn diese ihren „Job“ nicht gut machen, laufen sie Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden. Als Verteidigungs- und Sicherheitspolitikerin bin ich viel in der Welt unterwegs. Daher wird mir jeden Tag bewusst, wie wertvoll unser demokratisches System ist und welches Geschenk es ist, in einer Demokratie leben zu dürfen.

 

Die Empörungsklientel auf Deutschlands Straßen radikalisiert sich immer weiter. Höhepunkt: Der „Sturm auf den Reichstag“. Wie durchsetzungsstark darf der demokratische Rechtsstaat reagieren, ohne die eigenen Werte zu verraten?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Das, was vor dem Reichstag passiert ist, war kriminell. Natürlich muss eine Demokratie hier wehrhaft sein. So ein Vorgang gehört entsprechend hart bestraft. Es gibt freie und geheime Wahlen. Dieses elementare Gut ist verfassungsmäßig garantiert und gehört geschützt. Wenn man mit der Arbeit von Politikerinnen oder Politikern nicht zufrieden ist, ist es jedem Bürger unbenommen, diese wieder abzuwählen. Aber hier wird nichts gestürmt.

Das Demonstrationsrecht ist ein verfassungsmäßiges hohes Gut. Und selbstverständlich darf man auch gegen Corona-Maßnahmen oder eine Impfpflicht demonstrieren. Was wir aber derzeit erleben, ist der Versuch, das Anmelden einer Demo und damit die Regeln zu unterlaufen, indem man sich zu sogenannten „Spaziergängen“ trifft. An vielen Stellen gleichzeitig wird es für die Polizei natürlich sehr schwer, diese entsprechend zu begleiten. Die Demonstranten untergraben also bewusst die Corona-Schutzverordnung, die angesichts der Pandemie große Versammlungen aus gesundheitlichen Gründen momentan nicht zulässt.

Was mich befremdet ist nicht, dass diese kleinen aber sehr lauten Gruppen demonstrieren – sondern wie radikal sie sich mittlerweile verhalten. Sie spiegeln nicht die Meinung der Mehrheit wider. Die Mehrheit der Bevölkerung hält sich nämlich an die Corona-Regeln. Hier werden durch eine Minderheit gezielt Regeln außer Kraft gesetzt und immer häufiger Gesetze untergraben. Das dürfen wir nicht hinnehmen und uns schon gar nicht daran gewöhnen. Polizei und Ordnungskräfte stoßen phasenweise an ihre Grenzen, das heißt aber nicht, dass wir uns von einer Minderheit treiben lassen sollten.

 

Die Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Dennoch werden – insbesondere auf „Corona-Spaziergängen“ – zunehmend Journalist*innen bedroht, bepöbelt oder angegriffen. Muss der Staat mehr tun, um Medienschaffende zu schützen?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die freie Berichterstattung in einer Demokratie ist ein zentrales Gut. Wir sehen in anderen Ländern, beispielsweise in der Türkei oder in Russland, wie Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung inhaftiert werden – also nicht frei berichten dürfen. Ich spreche mit vielen Journalistinnen und Journalisten über diese Lage. Sie gehören also so geschützt, wie alle Bürgerinnen und Bürger, die bedroht werden. Auch Abgeordnete werden übrigens vermehrt angegriffen, nicht nur verbal.

Wenn also eine Journalistin oder ein Journalist auf einer Demonstration angegriffen wird, dann ist das ein Straftatbestand – der geahndet werden muss. Das ist nicht immer einfach, weil solche Angriffe teilweise „verdeckt“ aus der Menge heraus geschehen. Das Recht auf freie Berichterstattung muss jederzeit und überall in Deutschland gewährleistet sein.

 

Die USA, Russland und China treiben die Entwicklung von Hyperschallwaffen im Eiltempo voran. Was bedeutet der Hype um Hyperschallwaffen für die globale Sicherheitsarchitektur? Sind Sie für eine Reglementierung dieser Waffentechnologie?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Schauen Sie, es ist doch wie im zivilen Leben. Wir führen – aufgrund der Pandemie – dieses Interview via Zoom. Das ist übrigens das einzig „Gute“ an der Pandemie: Wir haben gelernt, digital zu kommunizieren. Die Technologie entwickelt sich rasant weiter. Eine ähnliche Entwicklung findet auch im militärischen Bereich statt: höher, schneller, weiter.

Natürlich muss es in unserem Interesse sein, dass wir – insbesondere, wenn es um die Entwicklung und Weiterentwicklung letaler Waffen geht – die Grenzen des Zulässigen ziehen und mit anderen Staaten im Gespräch darüber bleiben, gegebenenfalls diese Entwicklung einzudämmen. Dazu bedarf es der Mitwirkung aller Akteure und internationaler Verträge, die das regeln.

 

Apropos globale Sicherheitsarchitektur: Der Russland-Ukraine-Konflikt spitzt sich zu. Was können EU und NATO tun, um die Krise zu entschärfen? Halten Sie die Wiederbelebung des Normandie-Formats für erfolgsversprechend?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die erste und wichtigste Option ist immer: Miteinander zu sprechen und im Gespräch zu bleiben, auch wenn es schwierig ist. Dazu haben wir unterschiedliche Formate und Gremien, wie beispielsweise den NATO-Russland-Rat, das Normandie-Format oder die OSZE, um mal drei zu nennen. Gespräche auf allen Ebenen sind elementar. Und selbst, wenn die Welt am Ende des Tages keine neue ist – solange geredet wird, schweigen in der Regel die Waffen.

Darüber hinaus dürfen wir natürlich nicht den Ernst der Lage verkennen. Uns muss klar sein, dass Wladimir Putin die Daumenschrauben so lange anzieht, bis wir dem etwas entgegenzusetzen haben. Ich bin die Letzte, die das nicht bedauert. Meine Generation hat den Kalten Krieg miterlebt und ich habe es offen gestanden nicht für möglich gehalten, dass wir im Jahr 2022 offensichtlich wieder an diesem Punkt ankommen sind. Realität ist, dass Russland seit Monaten über 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ostukraine aufmarschieren lässt und militärisch Druck ausübt. Dieses Szenario kann Europa nicht einfach unbeantwortet lassen. Es gibt viele Optionen, wie man darauf reagieren kann. Keine dieser Optionen sollte man zu früh vom Tisch nehmen. Wladimir Putin muss wissen, dass ein solches völkerrechtswidriges Verhalten nicht unbeantwortet bleibt.

Neben wirtschaftlichen Maßnahmen, die sich gegen Russland richten, hat der Hohe Kommissar für Sicherheitsfragen in der Europäischen Union Josep Borrell, einen Vorschlag unterbreitet, nämlich eine Trainings- und Beratungsmission auf den Weg zu bringen und der Ukraine ein Angebot zu machen, deren Soldaten militärisch zu beraten und gegebenenfalls auszubilden, sofern die Ukraine Interesse daran hat. Die Ukraine ist ja kein Mitglied der NATO, insofern gibt es bei einem möglichen Angriff auf deren Staatsgebiet keine Bündnisverpflichtung diese zu verteidigen. Bei der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 und den Kämpfen seinerzeit in der Ostukraine hat der Westen diesen völkerrechtswidrigen Einmarsch geschehen lassen. Das hat auch Putin registriert. Um die Ukraine letztlich zu unterstützen, bedarf es daher einer abgestimmten europäischen Reaktion. Europa muss geschlossen an der Seite der Ukraine stehen, denn die Souveränität der Ukraine und deren territoriale Integrität darf nie und nimmer in Frage gestellt werden!

 

Die FDP steht für Digitalisierung, Netzausbau und schnelles Internet. Doch was tun, wenn sich Meinung mit Hass und Hetze vermischen? Wie umgehen mit „Fake News“ oder der Einflussnahme ausländischer Akteure?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Das ist die Schattenseite des Netzes. Auf der einen Seite profitieren wir durch den schnellen Austausch, die schnelle Information, auf der anderen Seite sehen wir eine unglaubliche Flut von Desinformationen und Fake News – bis hin zur Cyberkriminalität. Nicht umsonst hat die Bundeswehr, im Gegensatz zu anderen Streitkräften, diesbezüglich eine eigene Teilstreitkraft aufgebaut. Weil wir wissen, dass der Angriff auf das Netz, der Angriff durch Falschinformationen, durch Geschichten und Narrative zunehmend zum Problem wird. Auf diese Art möchte man das Land von innen destabilisieren. Der Versuch ist nicht neu, in dieser Dimension aber einzigartig. Deswegen beschäftigen wir uns intensiv damit, solche Angriffe zu verhindern beziehungsweise abzuwehren.

Auf der anderen Seite haben wir im privaten Bereich Plattformen, wie Telegram, die uns Sorgen bereiten. Plattformen, die unter anderem für die Organisation von den sogenannten „Spaziergängen“ genutzt werden. Die Verantwortlichen entziehen sich ihrer Pflicht, Verabredungen mit kriminellem Charakter auf ihrer Plattform zu unterbinden. Das können wir nicht zulassen. Und ich sage das als Freie Demokratin, weil wir da besonders sensibel sind. Wenn die Freiheit missbraucht wird, um die Freiheit des anderen zu gefährden, dann pervertieren wir diese Freiheit und schaffen sie am Ende ab. Deswegen muss sich der Gesetzgeber mit dieser Problematik auseinandersetzen. Dabei geht es nicht um das Unterbinden individueller Kommunikation, sondern um den Missbrauch einer Plattform.

 

Frau Dr. Strack-Zimmermann, Sie sind passionierte BMW R 1200 C-Bikerin. Laut Google, sind Cruiser-Fahrer*innen „Natural Born Leader“. Eine Verteidigungsministerin Strack-Zimmermann wäre 2025 eine logische Konsequenz, oder?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Also, dass ich „cruise“ hat auch etwas mit meinen Lebensjahren zu tun. Auf Rennmaschinen zu liegen und die Beine gewissermaßen hinter die Ohren zu legen, ist schon physiognomisch ein Problem. Das ist was für 20-Jährige.

Im Vorfeld der Regierungsbildung fiel in der Öffentlichkeit in der Tat immer mal wieder mein Name im Kontext einer neuen Verteidigungsministerin. Das hat mich geehrt. Die FDP-Fraktion war aber immer daran interessiert, die Ministerien in den Bereichen Digitalisierung, Bildung, Rechtsstaatlichkeit und Finanzen zu verantworten. Also in den Fachbereichen, in denen wir viel Kompetenz haben, und die wir für zentral erachten, möchte man die Zukunft verändern. Es freut uns sehr, dass wir dieses jetzt mit unserer Ministerin und unseren drei Ministern angehen können.

Für mich ist es eine große Ehre, dass ich in der neuen Legislaturperiode den Verteidigungsausschuss leiten darf. Eine spannende und herausfordernde Aufgabe, auf die ich mich jetzt mit Freude stürze.

 

Vielen Dank für das Interview Frau Dr. Strack-Zimmermann!

InfoKlick: Initiative Gesichter der Demokratie

© Sven Lilienström/LokalKlick

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