Um das Mahnmal werden brennende Kerzen abgestellt (Foto: Birte Hauke)
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Monheim am Rhein. Bürgermeister Daniel Zimmermann mahnt zur Zivilcourage in einer Zeit, in der die Wahrheit immer wieder in Frage stehe

Mit einer Gedenkstunde in der Altstadtkirche und anschließender Kranzniederlegung vor dem Holocaust-Mahnmal am Kradepohl gedachten am Mittwochabend zahlreiche Monheimerinnen und Monheimer der Opfer der Pogromnacht vor 84 Jahren. Der 9. November 1938 war der Auftakt zur systematischen Ermordung von Millionen von Juden in ganz Europa.

In Monheim am Rhein begannen die Pogrome schon am 8. November auf dem jüdischen Friedhof an der Hasenstraße. Die Täter warfen Grabsteine um und zerstörten sie. Anschließend beschmierten sie die drei jüdischen Wohnhäuser auf der Frohnstraße, der Grabenstraße und der heutigen Franz-Boehm-Straße mit Teer und roter Farbe. Es war nur die Vorbereitung auf den nächsten Abend: Am 9. November 1938 trafen sich die Täter zunächst im Saal Menrath, über der heutigen „Spielmann“-Kneipe, in der Altstadt. Sie tranken reichlich Alkohol und planten dabei ihre Anschläge. Dann machten sie sich auf den Weg zum ersten der drei jüdischen Wohnhäuser. Sie warfen Steine in die Fenster, zerstörten Wohnungseinrichtungen und warfen Schränke, Porzellan, Lampen sowie andere Dinge auf die Straße. Sie verprügelten die Bewohnerinnen und Bewohner und zogen weiter zum nächsten Haus. Augenzeugen berichten, dass an einem der drei Wohnhäuser, die am 9. November geplündert wurden, ein Klavier in den Vorgarten geworfen wurde und am nächsten Morgen noch Bettwäsche und Handtücher in den Telefonleitungen vor den Häusern hingen.

Im Rahmen der Gedenkstunde berichteten Schülerinnen und Schüler des Otto-Hahn-Gymnasiums von ihrer Israel-Reise und ihren Eindrücken des Besuchs der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Das Jugendblasorchester der Peter-Ustinov-Gesamtschule und der städtischen Musikschule gestaltete das musikalische Programm.

Pfarrer Falk Breuer erinnerte daran, dass auch die Kirchen damals, als die Synagogen brannten, geschwiegen haben. Im Oktober 1945 kam es dann zum sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis durch den Rat der Evangelischen Kirche. Wörtlich hieß es damals: „Wir klagen uns an – dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet und nicht fröhlicher geglaubt haben.“ Breuer freue sich, dass so viele junge Menschen an der Gedenkstunde teilnehmen: „Es ist ganz wichtig, dass Ihr dieses Erinnern weitertragt und wachhaltet.“

Bürgermeister Daniel Zimmermann rückte in seiner Ansprache das durch städtische Recherchen an den Tag gebrachte Schicksal der Monheimerin Helene Wagner, des Monheimers Ernst Kolisch und der Monheimer Familien Herz und Blumenfeld in den Mittelpunkt. „Eine ältere Monheimerin erinnert sich, dass es Anwohner und Nachbarn gab, die am Straßenrand standen und applaudierten, als Bewohnerinnen und Bewohner des Judenhauses zum Rathaus geführt wurden, um von dort aus in den Tod deportiert zu werden“, berichtete Monheims Bürgermeister. Ernst Kolisch, Johanna, Sara, Joseph, Goldine, Alfred und Emanuel Herz wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Auch in Monheim am Rhein haben sich Denunzianten schuldig gemacht für das Verbrechen der Shoah. „Mitschuldig haben sich aber auch die gemacht, die weggesehen haben, obwohl sie etwas hätten tun können. Das Gegenteil von Wegschauen heißt Zivilcourage“, betonte Zimmermann. Zivilcourage sei besonders wichtig in einer Zeit, in der die Wahrheit immer wieder in Frage stehe: „Verschwörungstheorien und Falschinformationen haben auch in den 1920er und 1930er Jahren eine große Rolle gespielt. Die Medien waren andere, weil es noch keine Sozialen Netzwerke wie Facebook, Telegram oder Twitter gab, die Effekte sind jedoch damals wie heute die gleichen. Es wird Verunsicherung geschürt, gegeneinander geschaffen und es werden Werte infrage gestellt.“ Insofern müsse man allen Demokratiefeinden, Schwurblern und Agitatoren immer wieder zwei Dinge entgegenhalten: „Es gibt erstens zwar das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eine eigene Wahrheit. Und zweitens sind Rassismus und Diskriminierung niemals eine Meinung, sondern immer ein unzulässiger Übergriff auf das Leben Anderer.“ Sein Appell: „Weil wir uns gemeinsam erinnern, werden wir nicht zulassen, dass andere ausgegrenzt werden, dass Menschen, die in ihren Rechten gleich sind, zu Ungleichen gemacht werden, – damit das, was zwischen 1933 und 1945 auch in Monheim am Rhein als Unrecht geschehen ist, sich niemals wiederholt.“

Im Anschluss an die Andacht in der Altstadtkirche wurden Kerzenlichter hinaus zum Mahnmal an den Kradepohl getragen. Unter dem Motto „Erinnern statt vergessen“ erinnert die Stadt auch mit einer umfangreichen Broschüre und einer digitalen Karte, die die Verlegeorte der Stolpersteine zeigt, an die Schicksale von früheren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sowie an das Leid zahlreicher Zwangsarbeitskräfte, die ihre engsten Angehörigen in Monheim am Rhein verloren oder hier die Jahre der NS-Terrorherrschaft selbst nicht überlebten. Informationen gibt es hier: www.monheim.de/stolpersteine

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