Birgit Kerres, Annabelle Derichs Mitbewohnerin, weiß genau, wie ein Mund-Nasen-Schutz richtig angelegt wird. (Foto: LVR-Verbund HPH)
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Straelen. LVR-Verbund HPH setzt auf Leichte Sprache in der Corona-Pandemie

Quarantäne ist ein schwieriges Wort. Und eins, das schwer zu erklären ist. Aber Annabelle Derichs weiß genau, was es bedeutet. Dass jemand zuhause bleiben muss und nicht raus darf. Auf gar keinen Fall. An diese Regeln will sich die junge Frau unbedingt halten: Wenig rausgehen und, wenn doch, Maske auf und Abstand halten. Wann immer Annabelle Derichs eine Frage zum Thema hat, kann sie entweder Elke Hinkelmann und das Team im Wohnverbund des LVR-Verbundes Heilpädagogischer Hilfen (LVR-Verbund HPH) an der Karl-Leisner-Straße in Straelen fragen oder ins Wohnzimmer des Hauses gehen. Dort liegt ein Ordner mit wichtigen Informationen rund um Corona. Die Texte im Ordner sind leicht verständlich, denn sie sind in Leichter Sprache verfasst, damit sie wirklich jeder und jede verstehen kann.

Einfache Sätze, pro Satz nur ein Gedanke und keine Fremdwörter gehören zu den Grundsätzen der Leichten Sprache. Beim LVR-Verbund HPH sind Heilpädagoge Andreas Hansch und Pädagogin Catharina Preuß vom Regionalmanagement die Fachleute für Leichte Sprache. Gerade erst haben sie ein Flugblatt zur Maskenpflicht erstellt. „Im Grundsatz geht es bei der Leichten Sprache um Teilhabe“, sagt Andreas Hansch. Auch Menschen mit Behinderung müssen Zugang zu Informationen haben, gesellschaftliche Entwicklungen nachvollziehen können. „Sinn und Zweck der Leichten Sprache ist es, Informationen, die aufgrund der Komplexität nicht verstanden werden, verständlich zu machen.“ Ob das gelungen ist, wird in einer sogenannten Prüfgruppe von Menschen mit Behinderungen auf Herz und Nieren getestet.

Elke Hinkelmann, die Leiterin des LVR-Wohnverbundes an der Karl-Leisner-Straße, hat sich über das Flugblatt gefreut. „Wir haben schon sehr früh angefangen, mit unseren Bewohnerinnen und Bewohnern Masken zu nähen und dabei zu erklären, warum sie wichtig sind, dass sie andere schützen und man deshalb zusätzlich Abstand halten soll.“ Aber es gebe noch mehr Fragen, zum Beispiel, wenn im Fernsehen Nachrichten zur aktuellen Lage kommen oder wenn über das Thema diskutiert wird.

Deshalb hat Annabelle Derichs bereits mehrfach in dem Ordner in Leichter Sprache Informationen nachgeschaut. Deshalb weiß die 29-Jährige genau, wie sie die Maske aufsetzen muss und vor allem auch wann. „Wenn ich zur Bank gehe, oder zum Bäcker, oder zum Supermarkt.“ Manchmal sei es allerdings sehr warm darunter und wie bei allen Brillenträgerinnen und –trägern beschlägt die Brille manchmal. Trotz des Drahtbügels, sagt Annabelle Derichs. Und noch ein Manko: „Ich sehe die Leute nicht mehr lächeln.“

Für die Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, die an der Karl-Leisner-Straße wohnen, hat sich durch die Corona-Pandemie viel verändert. Gingen sie früher selbstständig einkaufen, ist das heute fast nur noch in Begleitung möglich. Elke Hinkelmann: „Wir müssen unsere Bewohnerinnen und Bewohner schützen. Die Stimmung draußen wird aggressiver, und wenn ein anderer im Supermarkt vielleicht laut wird, weil ein Mensch mit Behinderung den Abstand nicht einhalten konnte, dann ist es gut, wenn wir dabei sind. Dann können wir erklären, dass man nicht traurig sein muss, weil man laut angesprochen wurde.“

Leichte Sprache ist keine einfache Sache. Auch für Fachleute nicht. Bei Andreas Hansch war sie Bestandteil des Studiums, Catharina Preuß ist ausgebildete Übersetzerin und hat ein Büro für Leichte Sprache aufgebaut. „Eine große Schwierigkeit ist“, sagt Hansch, „die Fülle von Informationen zu kürzen und einfach auszudrücken.“ Da Leichte Sprache auch bedeutet, die Inhalte der Texte in passenden Bildern darzustellen, nimmt die Suche nach Bildern und Piktogrammen ebenfalls viel Zeit in Anspruch.

Aber es lohnt sich. Catharina Preuß sieht ein enormes Potenzial in der Leichten Sprache. „Ich habe Menschen beim Wachsen zusehen können, die durch Leichte Sprache an Informationen teilhaben konnten und bei der Erstellung der Texte als Fachleute mitgewirkt haben. Das war all die Mühe wert, die mit Übersetzungen einhergeht.“

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