Der Vorstand vor der Mack Stele im Bunten Garten: Iljana Heine-Schmitt, Frank Mühlen, Dr. Jörg Hornivius, Jochen Schell, Michael Heinemann (Foto: Andreas Baum)
Anzeigen

Mönchengladbach. Eigentlich wollte Zornröschen in 2020 ihr dreißigjähriges Bestehen groß mit einem Benefizkonzert von „Feine Herbe“ und all ihren Freunden, Sponsoren und Kooperationspartnern in dieser Stadt feiern . Zornröschen konnte aber immerhin eine Mitgliederversammlung am 15. September 2020 unter strenger Einhaltung der Hygienevorschriften durchführen. In Zeiten des Corona-Lockdown ist es daher besonders wichtig die wertvolle Arbeit des Vereins mit seiner Kontakt- und Informationsstelle im Kampf gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen ständig vorzustellen und bekannt zu machen.

Die Gründung und Weiterentwicklung des Vereins

„Wenn Liebe zuschlägt – Gewalt in der Familie” – unter diesem einprägsamen Titel fand im Januar 1989 in der Familienbildungsstätte Mönchengladbach ein Symposium statt, welches die thematische Geburtsstunde von Zornröschen sein sollte. Dieses Symposium weckte das Bedürfnis nach weiterer Information und die Einsicht in die Notwendigkeit der Arbeit an diesem stark tabuisierten Thema. Die Familie als Hort von Sicherheit, Liebe und Geborgenheit geriet in die Diskussion.

lm Oktober 1989 bildete sich der Arbeitskreis „Gewalt in der Familie”, an dem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verschiedenster Einrichtungen und Berufsgruppen in Mönchengladbach, die mit der Thematik der sexuellen Gewalt konfrontiert waren, teilnahmen.

In der Untergruppe „Sexueller Missbrauch” wurde die Hilflosigkeit im Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern sehr schnell deutlich. Die Notwendigkeit, ein besonderes Hilfsangebot für sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen im Bereich Mönchengladbach zu schaffen, schien dringend geboten. Inhalte, Ziel und 0rganisationsform einer solchen Einrichtung wurden in den „Schriftlichen Ausführungen zur besonderen Problematik der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen im Hinblick auf notwendige Hilfsangebote” dargelegt.

lm August 1990 wurde dann der Verein gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen gegründet, um das konzeptionell ausgearbeitete Hilfsangebot in Form einer Kontakt- und Informationsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen und deren Bezugspersonen umzusetzen.

Die 13 Gründungsmitglieder, die sich alle beruflich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch” auseinandersetzten, kamen u.a. aus den Bereichen der Psychologie, der Sozialpädagogik/Sozialarbeit, der Polizei und Anwaltschaft, der Schulpädagogik, dem Kinderschutz.

Der Name ,,Zornröschen” soll Kinder ansprechen, die meist über Jahre sprach- und wehrlose Opfer sexuellen Missbrauchs sind, Diese Kinder leben mitten unter uns und sind doch von einer fast unüberwindbaren Dornenhecke des Nicht-Verstehens, Nicht-Glaubens und der Bedrohung umgeben. Dornröschen fiel in einen 100-jährigen Schlaf in 100 Jahre Stummheit. Sexuell missbrauchte Kinder sollen den Mut finden, Zorn gegenüber ihrem Schicksal zu entwickeln, und so die Kraft finden, die Dornenhecke zu überwinden.

Ab Januar 1991 arbeiteten Vereinsmitglieder ehrenamtlich in der Kontakt- und Informationsstelle an der Regentenstraße. Die große Resonanz auf dieses niederschwellige Angebot für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene aus dem sozialen Umfeld der Betroffenen machte eine Erweiterung der Arbeit und damit die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiterinnen unumgänglich. Im 0ktober 1991 wurden eine Diplom-Sozialpädagogin und eine Diplom-Psychologin bei Zornröschen eingestellt.

Seither arbeitet ein interdisziplinäres Team – mal mit 3, mal mit 4 Mitarbeiter*innen für die Kontakt- und Informationsstelle des Vereins und gewährleistet eine professionelle Arbeit, die auch über die Stadtgrenzen Mönchengladbachs hinaus Anerkennung findet.

 

Ziele

Besondere Ziele der Arbeit von Zornröschen waren und sind:

  • Unterstützung sexuell missbrauchter Kinder und Jugendlicher und ihrer Vertrauenspersonen
  • Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs durch Information und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema
  • Vernetzung kommunaler Hilfsangebote.

 

Finanzierung

Der Verein Zornröschen finanziert sich mittlerweile zu 1/3 über die Finanzierung von Fachleistungsstunden durch die Stadt Mönchengladbach zudem über Bußgeldzuweisungen der Gerichte, den Mitgliedsbeiträgen und vor allem durch Spenden.

Der Vorstand des Vereins arbeitet rein ehrenamtlich.

 

Entwicklung der inhaltlichen Arbeit

Die Entwicklung der Arbeit in der Kontakt- und Informationsstelle lässt sich nicht trennen vom gesellschaftlichen Prozess im Themenbereich des sexuellen Missbrauchs. Sexuelle Ausbeutung von Kindern durch Erwachsene gab es schon immer. Jedoch erst als sich im Zuge der Frauenbewegung die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Normen bezüglich der Rechte von Frauen und Kindern änderten, wuchs auch das Bewusstsein über die Unrechtmäßigkeit sexueller Übergriffe an Kindern. So begann Ende der 80er Jahre die öffentliche Diskussion über sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen. Durch die zunehmende Thematisierung wurde das Ausmaß der sexuellen Gewalt immer deutlicher. Alles Vorstellbare – und ebenso alles Unvorstellbare – kam nach und nach aus dem gesellschaftlichen Tabu heraus: Missbrauch in Institutionen, Missbrauch in der Therapie, organisierter und ritualisierter Missbrauch von Kindern, Frauen als Täterinnen, Kinderpornografie/sexueller Missbrauch im Internet u. v. m. Die fortschreitende Enttabuisierung schlug sich u. a. auch in strafrechtlichen Gesetzesänderungen nieder.

Immer wieder wurden Strafrechtsreformen vorangetrieben – wie auch gerade wieder – vor allem dann, wenn das Ausmaß und vor allem das Entsetzen über das Geschehen deutlich machen, wie wenig faktisch erreicht wurde.

Im aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung (Oktober 2020) zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder werden die Straftatbestände gesetzlich neu bezeichnet und werden künftig nicht mehr als Vergehen, sondern grundsätzlich als Verbrechen geahndet.

 

Professionalisierung in der Kontakt- und Informationsstelle

Zornröschen ist eine der ersten Fachstellen bundesweit, die speziell zum Thema sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen arbeitet.

Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Kontextes wurde in den Jahren 1992 bis 2000 das Konzept der Arbeit zum sexuellen Missbrauch weiterentwickelt. Die Reflexion der praktischen Erfahrungen erfolgte

– im Team
– im Austausch und in der Zusammenarbeit mit anderen Beratungsstellen
– in Fort-und Weiterbildungen.

Die personelle Entwicklung von zwei 25 Wo/Std. Stellen im Jahr 1991 über vier 30 Wo/Std. Stellen im Jahr 2000 zu aktuell 3 Stellen mit insgesamt 84 Wo/Std. (eine 4. Stelle mit 25 Wo/Std. wird derzeit besetzt) ermöglichte eine professionelle Schwerpunktsetzung und damit ein differenzierteres Angebot in der Kontakt- und Informationsstelle.

 

Schwerpunkte der Arbeit

Krisenintervention, Diagnostik, Prävention

Psychosoziale Prozessbegleitung

Zornröschen hat bereits von Anfang an die Begleitung von Opfern sexuellen Missbrauchs im Rahmen eines Strafprozesses angeboten. Seit dem 01. Januar 2017 haben Opfer von Straftaten einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf die psychosoziale Prozessbegleitung (§ 406g StPO).

Oftmals erleben die Verletzten im Strafprozess erneut Hilflosigkeit und Ohnmacht, da sie in der Regel dort wieder auf ihre Täter*innen treffen. Das qualifizierte Angebot der Psychosozialen Prozessbegleitung dient dazu, Kindern und Jugendlichen Informationen zum Ablauf eines Strafverfahrens zu vermitteln und die Belastungen der Betroffenen sexuellen Missbrauchs so niedrig wie möglich zu halten.

InfoKlick: https://www.zornroeschen.de/de/

Beitrag drucken
Anzeige