: Zum Gedenken waren viele Bürger/innen an die Oehde gekommen. Unser Foto zeigt Bürgermeister Stephan Langhard, seinen Amtsbruder Daniel Level aus Fourqueux, Marc Miloutinovitch aus Saint-Germain-en-Laye, Rüdiger Leckebusch als Leiter des Musikzuges der Freiwilligen Feuerwehr Schwelm und MGS-Lehrerin Susanne Schütte-Gerold mit den Schüler/innen Magalie Bansemir, Nele Isken, Julia Lohbeck, Giada Reese, Leticia Isik, Laura Bittner, Moritz Kamrath, Alena Dilly, Jan-Lukas Ernst, Nick Schönfeld, Yannick Diegel, Oskar Wirth-Forsberk, Jolina Bongwald, Niklas Mrosek, Lennart Püls, Lina Johann, Jannik Fischer, Amelie Beckmann, Justus Nikolay, Nils Kuhnen, Fynn Starker, Lotta Mittelmann, Lara Schoger und Anna Widersprecher (Foto: Stadt Schwelm)
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Schwelm. Auf Friedhof Oehde und in Linderhausen

Nach einem – wegen der Pandemie – stillen Gedenken in 2020 fand am diesjährigen Volkstrauertag wieder ein öffentliches Gedenken der Stadt Schwelm statt, zu dem sich die Teilnehmer/innen heute am Ehrenfeld für die ausländischen Kriegstoten – dem Gräberfeld für die während des Krieges in Schwelm verstorbenen Zwangsarbeiter/innen – an der Oehde versammelten.

Gestaltet hatten das Gedenken mit musikalischen Beiträgen der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Schwelm unter Leitung von Rüdiger Leckebusch und mit Fürbitten, Plakaten und einer Kurzgeschichte Oberstufenschüler/innen des Märkischen Gymnasiums Schwelm (Lehrerin: Susanne Schütte-Gerold, Lehrer: Joachim Paulick).

Die Gymnasiast/innen hatten einige ihrer Beiträge in mehreren Sprachen vorbereitet, darunter in Französisch, worüber sich Daniel Level als Maire déléguée von Schwelms Partnerstadt Fourqueux besonders freute, der mit einer kleinen Delegation nach Schwelm gekommen war, der erstmals auch Marc Miloutinovitch angehörte, der als Ratsmitglied von Saint-Germain-en-Laye Beauftragter für Städtepartnerschaften ist. Noch lange nachklingen dürften die berühmten Zitate, die die Schülerin Magalie Bansemir in eine Kurzgeschichte eingebunden hatte: „Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist!“ (William Shakespeare) – „Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind“ (J.K. Rowling). Im Anschluss an den Vortrag legten die jungen Leute diese Texte an den Grabsteinen nieder.

In seiner zentralen Ansprache nahm Bürgermeister Stephan Langhard die Einweihung des Immanuel-Ehrlich-Platzes im September dieses Jahres in der Kirchstraße zum Anlass, um über darüber nachzudenken, dass eine Stadtgesellschaft nur dann vollständig und intakt ist, wenn jeder, der in ihr lebt, auch wirklich dazugehört.

Die Platzeinweihung mit ihrer Vorstellung von Schwelmer Juden und deren eindrucksvollen Lebensläufen habe verdeutlicht, wie wichtig jeder einzelne Mensch für das Ganze sei. „Ich begreife erst jetzt, dass dieses starke pulsierende Leben der jüdischen Bürgerinnen und Bürger ein wichtiger Teil unserer Stadtgeschichte war. Jüdische Bürgerinnen und Bürger haben diese Stadtgeschichte durch die Jahrhunderte kraftvoll mit entwickelt. Ja, sie wurden Opfer des nationalsozialistischen Terrors, aber sie waren lebensvolle unverwechselbare Persönlichkeiten, die stark in das Gemeinwesen hineingewirkt haben, und mir scheint, erst jetzt erfassen wir mit aller Klarheit, wie viel Tatkraft und Phantasie, Geschick und Aufklärung wir ihnen verdanken und mit ihnen verloren haben“.

Stephan Langhard ist sich sicher, „dass eine Stadt wie unser Schwelm, ein Land, eine Nation, ja, die ganze Welt nur dann im Frieden existieren kann, wenn sie Heimat für Bürgerinnen und Bürger gleich welcher Herkunft und welchen Glaubens ist. Erst diese Fülle an unterschiedlichen Lebensvorstellungen und gelebter Alltagspraxis, an individuellen Temperamenten und Energien bedeutet wahren gesellschaftlichen Reichtum. Wir kommen nur zu uns selbst, wenn wir die Vielfalt menschlicher Gemeinschaft als Gewinn verstehen, in unser Leben hereinlassen und konsequent gegen hasserfüllte Einflüsse schützen“.

„Kriege“, so der Bürgermeister, „funktionieren in aller Grausamkeit nur deshalb, weil es den Tätern gelingt, sich als überlegene Elite zu überhöhen und andere Menschen zu rechtlosen Wesen herabzuwürdigen. Immer sollen einige wenige die Schuld an vermeintlichen oder tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Problemen tragen, weswegen sie dann verfolgt oder zur Zwangsarbeit erniedrigt oder getötet werden“.

Mit dem Blick auf die Geschichte falle auf, „dass immer Minderheiten zu Opfern gemacht würden oder Menschen, die auf unsere besondere Fürsorge und unseren Schutz angewiesen sind. Auch heute gibt es solche Auswüchse Schwächeren gegenüber, ich meine die furchtbaren Attacken z.B. auf Menschen ohne Obdach, die mitten in der Nacht heimtückisch auf der Straße angegriffen werden. Und nach wie vor können wir nicht fassen, dass sich Menschen, die sich zum jüdischen Glauben bekennen, in Deutschland – in unserem Land – auf offener Straße verprügelt werden oder befürchten müssen, in den Synagogen angegriffen zu werden. Wie fatal es ist, wenn wir nicht zusammenstehen, sondern uns auseinanderbringen lassen, das haben die Umstände rund um die NSU-Morde gezeigt, als man lange Jahre in den betroffenen Familien der Opfer nach Tätern suchte, statt in rechtsextremen Milieus, wo sich die Mörder tatsächlich verbargen“.

Zwar werde man nie verhindern können, dass gewisse Menschen und Gruppierungen Systeme einer organisierten Gewalt durchsetzen wollten. Aber man könne als freie Bürgerin und freier Bürger „Nein“ sagen, statt opportunistisch zu schweigen. Stephan Langhard: „Wer uns schmeichelt, damit wir als ebenfalls scheinbar Privilegierte zu Instrumenten böser Kräfte werden, der macht uns mit unserem Einverständnis zu Mittätern. Auch dürfen wir unsere Mitmenschen nicht durch Schweigen in Gefahr bringen. Und keinesfalls sollten wir die feigen Täterinnen und Täter in der Überzeugung wiegen, ihnen doch irgendwie zuzustimmen. Meiner Meinung nach gibt es nur eine Wahrheit, und die lautet, dass es in einer Gesellschaft nicht ,die einen‘ und ,die anderen‘ gibt, sondern nur uns als die eine große Gruppe. Wie die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann glaube ich an die ,Tapferkeit vor dem Freund“‘.

Und weiter: „Als Bürgermeister von Schwelm sehe ich jeden einzelnen Menschen in dieser Stadt als einmalig, unverwechselbar und kostbar an. In unserer Stadt spiegelt sich die Vielfalt menschlichen Lebens. Und wenn wir heute am Volkstrauertag hier zusammenstehen und der Millionen Opfer der Kriege weltweit gedenken, dann tun wir das, weil wir nicht wollen, dass künftig noch Menschen zu Opfern gemacht werden“.

Als Maire déléguée von Fourqueux, wo Schwelms Bürgermeister erst vor wenigen Tagen am dortigen Volkstrauertag teilgenommen hatte, erinnerte Daniel Level daran, dass er und seine Freunde trotz der schrecklichen Terroranschläge auf Pariser Einrichtungen vor genau sechs Jahren zum Volkstrauertag nach Schwelm gekommen seien, während dies wegen der Coronapandemie im letzten Jahr nicht mehr möglich gewesen sei. Er beschwor die Werte der Freundschaft und die gemeinsamen Aufgaben, die man habe, nämlich den Kampf gegen Rassismus, Nationalismus und Diktatur, das gemeinsame Bemühen z.B. um Medikamente, die gegen die Pandemie helfen können, und vor allem den starken Einsatz für „unsere Erde, unseren Planeten, den wir unseren Kindern hinterlassen!“

Dem Gedenken an der Oehde war – und auch dies ist schon Tradition – ein Gedenken zum Volkstrauertag in Linderhausen vorausgegangen, das der Bürgerverein organisiert hatte. Dessen Vorsitzende Dr. Ilona Kryl betonte in ihrer Begrüßung in deutscher und französischer Sprache die Notwendigkeit, gegen Nationalismus und Rassismus einzutreten und die demokratischen Werte gemeinsam zu stärken. Auch hier hatten Bürgermeister Stephan Langhard und sein Amtsbruder Daniel Level die Ansprachen gehalten und, wie an der Oehde, so sprachen auch hier Pfarrer Rainer Schumacher und Dr. Ilona Kryl das Totengedenken. Musikalisch hatte Enikö Miklos die Veranstaltung in Linderhausen auf ergreifende Weise begleitet, und Jörg Grütz und Ulrich Plutart hatten auf Deutsch und Französisch wegweisende Überlegungen prominenter Menschen zum Thema Frieden vorgetragen, ehe am Erinnerungsstein die Kranzniederlegung erfolgte.

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